Interview mit Miklós Gimes
<< Ja, du hast es ja gedruckt! >>
Movie-College: Eisenstein hat damals gesagt: " In einem guten Film geht es um die Wahrheit und nicht um die Wirklichkeit". Stimmen Sie dem zu?
Miklós Gimes: Ja.
Movie-College: Und in wie fern entspricht ihr Film "Bad Boy Kummer" der Wahrheit?
Miklós Gimes: Jetzt müssen wir mal unterscheiden. Was Eisenstein natürlich meint, ist nicht eine juristische Wahrheit. Es ist nicht die Wahrheit, die sich mit juristischen Begriffen oder mit Begriffen "so genau geschah es", erklären lässt. Sondern Eisenstein, glaub ich, meint eine innere Wahrheit - und die Wirklichkeit ist das, was wir wahrnehmen. Hinter dieser Wirklichkeit gibt es innere Wahrheiten. Ich habe versucht in diesem Film, das was ich als die innere Wahrheit mir vorstelle, hervorzugraben. Ob mir das gelungen ist, weiß ich nicht, aber ich habe es auf jeden Fall versucht. Dieser Film ist nicht eine Art Kritik des Medienbetriebes oder eine Abrechnung mit irgendjemand - sei es mit Kummer, sei es mit dem SZ - Magazin - das hat mich in erster Linie nicht interessiert. Mich hat interessiert, wie funktioniert dieser Mensch. Und wenn ein Mensch so und so funktioniert, was passiert dann. Denn dann gibt es eine Geschichte und die wollte ich erzählen.
Movie-College: Was denken Sie denn, wie objektiv Ihr Dokumentarfilm ist? Oder wollten Sie ihn überhaupt objektiv machen?
Miklós Gimes: Ja, klar. Es ist ja ein journalistischer Stil - ich erkläre mich und mache Kommentare. Verschiedene Male hat man mir gesagt, warum ich denn nicht so einen Trick mache, das ich Kummer durch ein Double spielen lasse oder das man sagt, das ist alles sowieso eine Erfindung, was ihr da seht und das hat alles gar nicht statt gefunden. (…) Aber das wollt ich nicht. (…) Der ganze Film geht ja um Fake, deshalb musste er auch ganz trocken erzählt werden.
<< Ich bin der Garant für die Glaubwürdigkeit. >>
Movie-College: Sie haben sich ja selber mit in den Film eingebaut - warum?
Miklós Gimes: Wegen der Glaubwürdigkeit. Ich bin der Garant für die Glaubwürdigkeit. Ich bin immer dabei. Mir kann man so zu sagen trauen.
Movie-College: Auf der einen Seite bringen Sie sich selber mit ein und man kann Ihnen vertrauen - auf der anderen Seite werden Sie greifbar, weil sie Protagonist und gleichzeitig der Regisseur sind.
Miklós Gimes: Ja, das stimmt. Vielleicht hätte ich auch mehr Protagonist sein sollen - ich hätte mehr in diese Rolle hineinwachsen sollen.
Movie-College: Wie einfach war das dann selber die Distanz zu wahren?
Miklós Gimes: (...) Es ist einbißchen wie der Spieler -Trainer beim Fußball - der Trainer und Spieler zugleich ist. Das ist nicht unbedingt ideal - man muss vielleicht auch mehr Zeit haben und hineinwachsen.
Movie-College: Ich weiß nicht, ob es falsch wäre, Tom Kummer als notorischen Lügner zu bezeichnen, aber war die Gefahr nicht auch beim Dreh, das man in Kummers Mikro-Kosmos versinkt?
Miklós Gimes: Ja, das war auch ein Problem. Man muss die ganze Zeit alles was man hört gleichzeitig interpretieren. Und das schafft eine Distanz, aber diese Distanz ist auch nicht immer gut - dann kann man auch nicht mehr normal reagieren. Man ist ja immer gleichzeitig am überlegen - aha, was ist jetzt wieder. Man kann nicht spontan reagieren. Ich hab das gesehen, dass der Stab spontaner reagiert hat als ich. Vielleicht, weil der Stab nicht das Problem hatte zuviel zu überlegen, ob das Gesagte von Kummer alles so stimmt.
Movie-College: Es gibt ja auch die sogenannten Alltagslügen. Wo sind da die Grenzen im Journalismus oder auch bei Tom Kummer?
Miklós Gimes: Im Journalismus sollte man eigentlich generell nicht lügen. Es gibt nicht ein zu weit, zu wenig, oder zu viel. Es gibt ein gar nicht. Manchmal macht man sich lächerlich darüber, aber ich bin da noch alte Schule. Ich finde die Währung des Journalismus ist die Glaubwürdigkeit. Sonst würden sie keine Zeitung kaufen, davon bin ich überzeugt. Ich bin überzeugt, die Leute hätten das auch nicht gelesen, wenn in der SZ gestanden hätte: jetzt lesen Sie das das fiktive Interview mit Mike Tyson. Die Leute haben es gelesen, weil sie dachten, dass das Tyson wirklich gesagt habe.
Movie-College: Gibt es denn einen Unterschied zwischen Sensationsjournalismus und dem Nachrichtenjournalismus?
Miklós Gimes: Ja, sicher. Martin Suter sagt z.B. ein Interview mit Sharon Stone sei Unterhaltung, das muss nicht unbedingt wahr sein. Das finde ich nicht! Aber offenbar wird es so gemacht. Die Bunte, die Gala, (…), die kaufen ein Bild und machen irgendeine Bildlegende dazu - frei nach dem Motto: das hat Brad Pitt gemacht als er (…).Keine Ahnung. Vielleicht hat er auch etwas ganz anderes gemacht oder vielleicht hat er zu seiner Freundin auch etwas ganz anderes gesagt.
Movie-College: Also kann man den Film nicht als Kritik am Journalismus betrachten?
Miklós Gimes: Nein - auch keine Kritik an den Medien. Aber natürlich höre ich auch immer wieder in Diskussionen, dass über die 'scripted reality' gesprochen wird. Wie z.B. diese Gerichtsverhandlungen, die werden ja so dargestellt als wären sie echt. Niemand weiß, ist das jetzt echt oder nicht echt. Es ist ja nicht echt, oder?
Movie-College: Nein.
Miklós Gimes: Da wird geweint, Kinder werden ertränkt und so weiter - aber das ist ja nicht echt. (…) Vermutlich wird es immer mehr in diese Richtung gehen, das ist gut möglich. Dass die Medien immer mehr mit dem spielen, aber Sie sehen ja, Sie studieren Dokumentarfilm - sie wollen ja etwas anderes. Es ist auch ein anderes Interesse da. Authentizität. Etwas was zu erzählen mit diesem Mittel.
Movie-College: Kommen wir nun zu Tom Kummer. Hat Sie eigentlich die Person Kummer mehr fasziniert als der ganze Trubel um ihn herum?
Miklós Gimes: Was mich fasziniert hat, ist diese Person Kummer und gleichzeitig löst diese Person einen Trubel aus. Es kommen verschiedene Sachen zusammen, die verzahnen sich und das gibt eine Geschichte. Der "Held" dieser Geschichte ist Tom Kummer.
Movie-College: Was ist denn so charismatisch an Kummer - warum war er es wert als Protagonist für den Film in Frage zu kommen?
Miklós Gimes: Weil er unbegreifliche Sachen macht. Er betrügt, aber dann weigert er sich, sich schuldig zu fühlen. Er weigert sich sogar Verantwortung für das zu übernehmen, was er gemacht hat. (…) In meiner Weltvorstellung, denk ich, okay er hat jemanden betrogen und gleichzeitig will er aber von den anderen akzeptiert werden. Das sind einfach widersprüchliche Sachen. Und das finde ich interessant genug, um einen Film zu machen - aber es ist erst interessant, weil er einen Trubel ausgelöst hat. Das heißt: es wird greifbar, was er gemacht hat und öffentlich. Dann kommen Wirklichkeit und die Figur Kummer zusammen.
<< Ich gebe die Frage weiter an den Regisseur. >>
Movie-College: War es schwer, diesen Zwiespalt in Kummer bildlich zu zeigen?
Miklós Gimes: Ja, ich habe z.B. eine Szene herausgelassen, wo ich einfach wütend werde. Wo ich sage: " jetzt sag mal, was hast du eigentlich gemacht?". Ich hatte 50 Magazine von der SZ, von uns, von Marie Claire und etc. aufgestapelt und sagte: "Schau mal das ist deine Produktion in diesen vier oder fünf Jahren. Du kannst nicht behaupten, dass alle Leute, die Abnehmer von dieser Produktion waren, gewusst haben, dass du betrogen hast. (…) Also dann sag mal, wie es wirklich war!" - und dann hat er mich für einen Moment angeschaut und gesagt: "Ja, du hast es ja gedruckt!"- das war seine Antwort. Ich habe es dann herausgenommen, weil es für mich zu sehr nach Tribunal schmeckte. Vielleicht hätte ich es drin lassen sollen, weil der Film dann weniger missverstanden worden wäre. (…) Ich erinnere mich auch an einen anderen Moment als ein früherer Kollege von Kummer zu ihm sagte: wieso er denn solch einen Charakter habe, wieso er so selbstzerstörerisch sei? - darauf antwortete Kummer: "Ich gebe die Frage weiter an den Regisseur."
Movie-College: Haben Sie denn versucht Kummer durch verschiedene Interviewpartner aus der Reserve zu locken?
Miklós Gimes: Ja, aber das hat nicht funktioniert.
Movie-College: War das frustrierend?
Miklós Gimes: Ja, ein bißchen. Aber dann habe ich gemerkt, das ist seine Art. Das war dann eigentlich der Schlüssel zum ganzen. Ich habe entdeckt, dass er diese Interviews und diese journalistischen Sachen nur erfindet und dieses coole Gehabe eigentlich nur macht, damit man sich mit diesen Sachen beschäftigt und nicht mit ihm als Person. Er zieht eigentlich eine riesen Show ab, um sein verletzliches Ich zu schützen. (…) Seine Freunde sagen in seiner Jugend galt er schon als Hochstapler und er schlägt immer wieder neue Hacken - ihm kommen immer wieder neue Sachen in den Sinn, damit er nicht in die Situation kommt, wo es für ihn bremslich wird. Bremslich in dem Sinn, dass er sich mit sich selbst beschäftigen muss. (…) Zum Beispiel waren wir am Max Öphus Festival mit unserem Film und die Leute dort haben sich bemüht Kummer nach Deutschland zu holen. (…) Zwei Tage vor dem Termin bekomm ich eine Mail, wo er schreibt, dass er nicht kommen kann, da er seine eigene Tennisfirma nun gegründet habe.
Movie-College: Also wieder einen Haken?
Miklós Gimes: Ja, wieder einen Haken geschlagen. Und dann hab ich seine Mutter gefragt, ob er eine Firma hätte und sie sagte, er habe nur ab und zu einen Stellvertreter. Wieder ein Haken!
Movie-College: Haben Sie denn das Gefühl, dass Sie etwas von dem verletzlichen Ich kennen gelernt haben? - Oder das Sie ihm zumindest näher gekommen sind wie z. B. durch die Home-Videos?
Miklós Gimes: Die Home-Videos, das ist wieder eine andere Geschichte. In den Home-Videos vergewissert er sich, dass er das Richtige macht. Wie wirk ich nach außen, wer bin ich? Aber an das verletzliche Ich wirklich herangekommen und offen gelegt, das habe ich nicht.
Movie-College: War das denn der eigentliche Versuch?
Miklós Gimes: Ja, es war ein Versuch, aber erst im Verlauf der Dreharbeiten sind diese Zusammenhänge so klar geworden. Vielleicht wenn ich mehr Zeit gehabt hätte. Ich weiß nicht.
Movie-College: Kennen Sie ihn jetzt besser?
Miklós Gimes: Ja, ich glaube schon.
Movie-College: Hat Sich ihr Verhältnis vor Beginn der Dreharbeiten bis zum Ende hin geändert?
Miklós Gimes: Ja, am Anfang ging es um diesen Betrug. Und um Geld bis ich gemerkt habe, dass alles nicht so einfach bei diesem Fall ist.
Movie-College: Kann man sagen, Sie haben nun mehr Verständnis für Tom Kummer?
Miklós Gimes: Ja, vielleicht mehr Verständnis, dass heißt aber nicht das ich das billige, was er getan hat.
Movie-College: Ich erinnere mich, dass Sie sich am Ende des Films dagegen entschieden haben ihn zu fragen, ob auch eine weitere Geschichte erlogen sei!
Miklós Gimes: Stimmt. Ich wollte ihn nicht vorführen!
Movie-College: Haben Sie sich vielleicht dagegen entschieden, weil Sie als Regisseur eine gewisse Verantwortung für den Protagonisten haben?
Miklós Gimes: Ich weiß nicht. Vielleicht hat mir da auch die letzte Konsequenz als Journalist gefehlt. Der Journalist ist eigentlich auch einer, der andere Menschen vorführt und ich wollte das nicht. Ich dachte es ist ja eigentlich alles da, aber vielleicht war es nur in meinem Kopf da. Ich hätte zwei oder drei Mal expliziter sein müssen. Es ist ja ein Film, der sich selbst erklären muss.
Movie-College: Es gab unter anderem Bilder im Film, die farblich herausstechen und wahrscheinlich nachkorrigiert worden - was war die Idee dahinter?
Miklós Gimes: Also, es gab diese Home-Videos, die hatten ein bestimmtes Format - das ist nicht das 16:9-Format. Das heißt, wir mussten uns überlegen, um die Bilder auf die ganze Leinwand zu bringen, müssen wir sie entweder verzerren oder wir machen einen Splitscreen. Wir haben uns dann für den Splitscreen entschieden und haben noch zusätzliches Material dazu genommen. Demzufolge haben wir den Splitscreen an Orten genutzt, die nichts mehr mit den eigentlichen Home-Videos zu tun hatten. Außerdem gibt es gewisse Szenen, die mit einer großen und schweren Videokamera auf Stativ gedreht sind und diese haben eine ganz bestimmte Tiefenschärfe. Die Stativsachen sollen Ruhe reinbringen und selbst erklärend sein. Alles andere ist mit Handkamera gedreht wie z.B. Gespräche, Bewegungen etc. Dieses Prinzip haben wir ziemlich eisern durchgehalten und ich glaub, dass hat funktioniert.
Movie-College: Die Handkamera als Mittel, um die Szenen realistischer wirken zu lassen?
Miklós Gimes: Ja, aber gleichzeitig auch, um sie zu verfremden. Wir haben in der Postproduktion auch noch einwenig nachkoloriert. Das wurde uns später Übel genommen - na ja, wir haben es trotzdem gemacht!
Movie-College: Verfremdet vielleicht auch aus dem Grund, weil bei Kummer selber Realität und Fiktion verschwimmen?
Miklós Gimes: Ja, um dies ein bißchen auf eine fiktionale Eben zu heben. Es ist ja immerhin ein Film.
Movie-College: Tom Kummer hat ja den Film gesehen, wie war seine Reaktion?
Miklós Gimes: Ging so. Er war enttäuscht, dass diese Chefs nicht Stellung genommen haben. Er hätte sich den Film konträrer gewünscht. Mit mehr Spannung. (…) Und vielleicht hätte er sich auch mehr gewünscht, dass ich ihn mehr angreife.
<< Vielleicht muss man mit ihm einen Monat auf eine einsame Insel fahren. >>
Movie-College: Würden Sie einen zweiten Teil mit Tom Kummer machen im Falle er gesteht seine Fehler?
Miklós Gimes: Eingestehen, das würde er nie sagen. Vielleicht muss man mit ihm einen Monat auf eine einsame Insel fahren.
Movie-College: Sind Sie denn zufrieden mit dem Film und dem Ende?
Miklós Gimes: Natürlich. Das muss ich ja jetzt sagen. Und all meine Zweifel können wir ein anderes Mal besprechen.