Regie:
Dror Zahavi, Drehbuch: Ido Dror, Yonatan Dror, Musik: Misha Segal, Kamera:
Carl F. Koschnick, Schnitt: Fritz
Busse, Kostüm: Michael Arbit, Darsteller: Shredy
Jabarin, Hili Yalon, Shlomo Vishinski, Joni Arvid
Regisseur Dror Zahavi gibt mit diesem einfühlsam erzählten
Spielfilm sein Kinodebüt. Er hat sich Zeit gelassen und viel für das
Fernsehen gearbeitet. Aber das Warten hat sich gelohnt, denn mit „Alles
für meinen Vater“ ist ihm ein mutiger, lebensnaher Film gelungen über
eine Problematik, die viele beschäftigt: Ist der Konflikt zwischen den
Palästinensern und Israelis unüberwindbar? Zahavi gibt darauf keine
Antwort, aber er zeichnet die Möglichkeit einer anderen Welt auf.
Um die Ehre seines Vaters zu retten, will der junge Palästinenser Tarek
ein Selbstmordattentat auf einem Markt in Tel Aviv ausführen. Schon während
der Fahrt nach Tel Aviv mit Abed und Salim, die beide Mitglieder der
Tanzim (militärischer Arm der Fattah) sind, wird der Unsinn dieser Tat
deutlich. Es stellt sich in einem Gespräch heraus, dass eine Freundin von
Ihnen heiraten wird und Abed und Salim kommen ins schwärmen, das werde
eine „supergeile Party“ werden. Tarek sitzt dabei und er wird dann tot
sein. Die Frage, warum Abed und Salim nicht selbst das Selbstmordattentat
begehen, wenn dies doch so eine Ehre ist, drängt sich auf. Die Nervosität
und auch der Zweifel sind Tarek ins Gesicht geschrieben, aber er legt die
Weste mit dem Sprengsatz an, die danach nicht mehr geöffnet werden kann,
ohne loszugehen. Also ist die Entscheidung für ihn getroffen, es gibt
keinen Weg zurück. Doch als Tarek auf dem Markt den Zündknopf drückt,
passiert nichts, er versucht es noch einmal, aber ohne Erfolg. Verwirrt läuft
er durch die Straßen und ist kurz davor die Zündung den Tanzim über
eine Fernzündung per Handy zu überlassen, als er den Elektrikladen des
Juden Katz entdeckt. Tarek baut den Schalter von der Zündung ab und will
dort einen neuen Schalter kaufen. Doch Katz informiert Tarek, dass er den
Schalter erst in zwei Tagen abholen kann, da am nächsten Tag Sabbat ist.
Tarek entscheidet sich zu warten und kann auch Abed und Salim davon überzeugen,
ihm die Zündung selbst zu überlassen. Da Tarek jetzt nicht weiß, wo er
hin soll, bietet er dem etwas wunderlichen Katz an, ihm als Bezahlung für
den Schalter das Dach zu reparieren.
Als Katz aus dem Haus geht, findet Tarek dessen Frau mit dem Kopf auf dem
Tisch liegend in der Küche wieder, die sich mit Gas gefüllt hat. Tarek
reißt die Fenster auf und der offensichtliche Selbstmordversuch wird als
Versehen abgetan. Schnell freundet sich Tarek auch mit der jungen
Kioskbesitzerin Keren an. Sie kommt aus einer streng orthodoxen Familie
und versucht ihr eigenes Leben zu leben. Allein wegen ihrer Kleidung wird
sie von jungen Orthodoxen als Schlampe beschimpft.
So lernt Tarek in den zwei geschenkten Tagen seine „Feinde“ kennen.
Der Regisseur Dror Zahavi hat sich als Location für ein Viertel mit
zerfallenen Gebäuden entschieden. Dies spiegelt auch die Verletzlichkeit
der Charaktere wieder. Politische Themen werden nicht verschwiegen. So
spricht ein Polizist des Viertels Tarek mit „Achmet“ an und erklärt,
dass er kein Rassist sei, sondern dass ihn lediglich dessen Gene stören.
Oder Keren erzählt davon, dass sie schwanger war, das Kind aber verloren
habe, und alle sagten, dies sei die Strafe Gottes gewesen. Mehr Gewicht
als auf die „großen Themen“ hat Zahavi aber auf das
Zwischenmenschliche gelegt. So erzählen Katz und seine Frau aus der Zeit,
in der sie in Rumänien gelebt haben und tanzen in freudiger Erinnerung in
der Küche. Oder Katz gibt vor seinem Nachbarn nicht zu, dass er das Loch
im Dach nicht selbst repariert. Tatsächlich ist dieser Film voll Wärme
und Humor. Die Wichtigkeit der Familie wird auch stark betont, und dass
die eigenen Eltern nur wollen, dass es einem gut geht. Auch, dass ihnen
ihre eigene Ehre dabei unwichtig ist, muss Tarek noch erfahren. Der Krieg
hat Katz seinen Sohn verlieren lassen, weil dieser kein Wasser zu trinken
bekam – „Wasserdisziplin“ nannte sich das. Die gezeigte ältere
Generation hat genug von dem Krieg. Aber die jüngere Generation ist
engstirnig und kennt kaum Toleranz.
Zeitweise habe ich die Musik als schwierig empfunden. Tarek und Keren
fahren z.B. auf einem Fahrrad durch die leeren Straßen von Tel Aviv und
wir hören einen leichten Popsong. Auch wenn dies vielleicht ein schöner
Moment ist, vergisst man als Zuschauer nie, dass Tarek eine Bombe unter
seinem karierten Hemd trägt. Es ist einem von Anfang an klar, dass es
kein Happy End geben wird, dass, wenn er die Bombe nicht zünden wird, die
Tanzim dies tun werden, und wenn er versucht, sich die Weste vom Körper
zu reißen, zumindest er sterben wird. Somit empfand ich die fröhliche
Musik als Täuschung.
Aber schnell als Gegengewicht meine Lieblingsszene: Tarek geht gerade mit
Keren durch die Strassen, als sein Handy klingelt. Es ist einer von den
Tanzim der ungeduldig ist und Tarek droht, ihn jetzt fern zu zünden.
Tarek fängt an vor Keren wegzulaufen, damit sie nicht verletzt wird, aber
sie läuft hinter ihm her. Tarek klettert auf einen Baum damit Keren
nichts passiert. Keren hat kein Verständnis für Tareks Verhalten und
schreibt ihn als Idioten ab. Endlich beruhigen sich beide Seiten und die Zündung
wird auf den nächsten morgen verschoben. Auch Keren fasst sich ein Herz
und geht zurück zu Tarek.
Den Abend vor dem Unglück trifft sich Tarek mit Keren am Strand, um ihren
Geburtstag zu feiern. Niemand ist gekommen. Keren ist genauso einsam wie
Tarek. Während Keren im Meer badet, ruft Tarek seinen Vater an, der ihn
bittet schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Tarek sagt ihm nicht die
Wahrheit. Der Weg zurück zu einem normalen Leben scheint zu diesem
Zeitpunkt fast möglich, doch da ist die Bombe und die Zeit ist fast
abgelaufen.
Dror Zahavi gelingt etwas Ungewöhnliches: Er schafft es, dass man am Ende
Mitleid für den Selbstmordattentäter empfindet. Er gibt ihm ein Gesicht,
vermenschlicht ihn, ohne nur den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass
das, was er tut, falsch ist.