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Thorsten reflektiert über seine
Vergangenheit
als "Diplomat" |
"Er ist ein guter Mensch. Ja, das stimmt. Im Inneren ist er ein
guter Mensch." Für seine Eltern wird Mark Z., 35, wohl immer der
brave Sohn bleiben, der fleißige Junge aus behütetem Hause - auch, wenn
sie mittlerweile wissen, dass Mark mit erschreckender Skrupellosigkeit als
angeblicher Vermögensberater einen Familienvater langsam ruinierte,
nachdem er sich durch taktisches Vorgehen dessen Freundschaft erschlichen
hatte. Thorsten S., 40, der seine kriminelle Karriere in
Spezialkinderheimen der DDR begann, schlug sich als angeblicher Arzt,
Diplomat, persönlicher Freund Joschka Fischers, oder sogar als
amerikanischer Major durch, der eine NATO-Sicherheitskonferenz
organisierte, und das so glaubhaft, dass die Polizei ihn laufen ließ. Die
verblüffende Leichtgläubigkeit, ebenso wie den Geiz der Menschen, machte
sich auch Jürgen H., 45, zunutze. Er verkaufte Anteile eines Vermögens,
das er nie besaß, Wohnungen auf Mallorca, die er nur kurz als
Urlaubsdomizil gemietet hatte, oder ließ sich sogar einen angeblichen
Mondflug finanzieren... und erleichterte so u.a. die besten Kreise
Hamburgs um Millionen. Während diese drei Hochstapler noch heute ihre
Haftstrafe verbüßen, lebt Peter G., 60, ehemaliger Scheckbetrüger und
Urkundenfälscher, nach 28 Jahren Haftstrafe mit anschließender
Sicherheitsverwahrung nun wieder in Freiheit.
Regisseur Alexander Adolph brauchte Jahre, um geeignete Hauptdarsteller
zu finden und ihr Vertrauen zu gewinnen: Die Mitwirkenden mussten bereit
sein, Akteneinsicht über ihre Straftaten zu erteilen und ihre Anwälte
von der Schweigepflicht zu befreien. Mit diesen Fakten ihres Lebens wurden
sie dann in mehrtägigen Interviews konfrontiert. Zum Glück verzichtet
Adolph auf reißerische nachgestellte Szenen, sondern lässt die
Vergangenheit einzig durch die Erzählungen der Betrüger selbst aufleben,
aufgelockert durch Filmische oder fotografische Dokumente aus der
Vergangenheit der Protagonisten. Man erkennt schnell, dass die
Interviewten sich ich ihrem Element befinden: mit viel Witz, aber auch
großer Nachdenklichkeit und Ernsthaftigkeit, tun Thorsten S., Mark Z.,
Peter G. und Jürgen H. das, was sie am besten können - etwas, wofür sie
vom Leben gleichermaßen belohnt und bestraft wurden: Reden. Was aufgrund
der packenden und unterhaltsamen Erzählweise zunächst wie ein Loblied
auf das Betrügerleben wirkt, wandelt sich bald zu einer Analyse über den
Mechanismus des Lügens. Es kommt ans Tageslicht, welche Erfahrungen aus
der Kindheit der Hauptdarsteller als Angelpunkt zur Entwicklung zum
Verbrecher fungierten, wie der Wunsch, eine andere Persönlichkeit zu
sein, die Protagonisten mehr und mehr vereinnahmte, wie sie schließlich
in ihrer neuen Rolle gefangen waren und ihre eigene Identität zerbrach.
Meist war nicht die Gier nach Geld, sondern nach Anerkennung, Freundschaft
und Liebe der Grund zur Flucht in eine imaginäre Welt.
Ein grandioser Film, der im gleichen Moment amüsiert und schockiert,
unterhält und tief berührt. Jeder, der schon einmal gelogen hat oder
betrogen wurde, wird sich auf die ein oder andere Weise in diesem Film
wiederentdecken.
Gesehen von Daniela Kellner
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