Buch und Regie: Mike Mills, Romanvorlage:
Walter Kirn, Kamera: Joaquín Baca-Asay, Schnitt: Haines Hall, Angus
Wall, Musik: Tim DeLaughter, Elliot Smith, Kostüme: April Napier.
Darsteller: Lou Pucci, Tilda Swinton, Vincent D'Onofrio, Vince
Vaughn, Keanu Reeves, Benjamin Bratt, Kelli Garner
Zunächst einmal ist man froh, dass sich hinter der Kombination des
Titels „Daumenlutscher“ mit Schauspieler Vince Vaughn kein gängiger
Klamauk a la Ben Stiller versteckt, sondern eine liebenswerte
amerikanische Independentproduktion. Justin Cobb ist eigentlich ein ganz
normaler Jugendlicher – mit dem Unterschied, dass er Stress und Frust
durch Daumenlutschen abbaut. Ihn selbst stört eher seine Unsicherheit als
das Lutschen, doch sein Vater Mike (Vincent D’Onofrio) hätte gerne
einen „normalen“ Jungen. Justins Kieferorthopäde und Hobby-Esoteriker
Dr. Perry (Keanu Reeves) versucht, durch Hypnose den Drang zum Daumen zu
unterbinden. Und die Methode funktioniert, allerdings etwas zu gut. Denn
Justin wird immer aggressiver und ruheloser, da er kein Ventil mehr für
seine Gefühle hat. Eines Tages geht er zu weit, und die Schulpsychologin
bietet den überforderten Eltern (ADHS, ganz klare Sache…) Ritalin an.
Ausgerechnet Justin selbst hofft, mit der Wunderpille sein Innenleben
in den Griff zu bekommen. Scheinbar behält er damit auch Recht – nur
dass sich Ritalin und das jetzt arg übersteigerte Selbstbewusstsein
gegenseitig hochpuschen. Justin zieht die Notbremse und setzt das Ritalin
wieder ab. Die entstehende Leere versucht er, durch Sex und Drogen
auszugleichen - bis er lernt, dass Unsicherheiten zum Leben gehören. Und
dass, während er alle mit seinen Problemen beschäftigte, jeder sein
eigenes Päckchen zu tragen hatte – sein Vater, der einer abgebrochenen
Football-Karriere nachtrauert, seine Mutter, die von einer Affäre mit dem
schmierigen TV-Schönling Matt Schramm (Benjamin Bratt) träumt. Und nicht
zuletzt sein Bruder, der darunter leidet, die Neurosen des älteren
Bruders durch übersteigertes Normalsein ausgleichen zu müssen. Diese
Lektion wird in nette Bilder gebettet. Gut, manchmal klugscheißern die
Figuren schon arg und halten sich gegenseitig Vorträge, die man in dieser
Form drucken könnte. Und man merkt, dass sich (bei den bekannten
Schauspielern wie Keanu Reeves) die Synchronstimmen als Manko erweisen:
eigentlich nutzen die Schauspieler die kleinen Rollen, um auch einmal
gänzlich ungewohnte Charaktere spielen zu können. Durch die deutsche
Stimmfassung werden die liebenswerten Außenseitercharaktere jedoch dem
bekannten Schubladenschema einverleibt; Keanu Reeves beispielsweise wird
so zu einem Neo in Gestalt eines Kieferorthopäden. Absolut gerechtfertigt
scheinen auf jeden Fall der Silberne Bär 2005 sowie der Sonderpreis der
Jury beim Sundance Film Festival 2005 für Lou Taylor Pucci, der es
wunderbar versteht, eine breite Palette von verletzlich bis aggressiv
auszuspielen und keine Sekunde unglaubwürdig zu werden.