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Kinosaal Rot 4000

Regie: Matteo Garrano

 

Obwohl Italien in diesem Jahr mit zahlreichen Filmen auf der Berlinale vertreten ist, hat es am Ende nur ein Streifen in den offiziellen Wettbewerb geschafft. Dafür präsentiert sich dem Berliner Publikum mit dem Beitrag "Primo Amore" ein Künstlerteam, das sich bedingungslos den Bildern des Films verschrieben hat. Es sind vor allem die Metaphern und die ruhende Ästhetik langsamer Kamerafahrten, die Regisseur Matteo Garrano zu seinem persönlichen Stilmittel erhoben hat. Für ihn ist die Geschichte lediglich ein Vorwand, um über die Bilder etwas Transzendentales fernab starrer Interpretationen erzählen zu können. "Primo Amore" ist in diesem Sinn vor allem ein künstlerische Artefakt, das anhand der Motive mit der Beobachtung und Aufmerksamkeit des Zuschauers spielt.

Die Story handelt von einer verhängnisvollen Liebe. Vittorio, ein rastloser und unruhiger Mensch, kann die Liebe zu einer Frau nur dann entgegenbringen, wenn sie seinem ästhetischen Ideal extremer Magerkeit entspricht. Im Grunde eine überzeichnete Pathologie, die über Machtbeziehungen in der Liebe spricht. Zu Beginn scheint wie immer noch alles ganz harmlos. Vittorio trifft über ein Blind Date das Model Sonia, eine gestandene Frau, die Ihren Körper gerne präsentiert und nicht selten auch als Aktmodel für Kunstakademien arbeitet. Es ist eine Art geistige Verwandtschaft, die beide sofort verbindet und letztlich dazu führt, dass Sonia bereit ist, alles für die gegenseitige Liebe zu geben. Allein Vittorio verhüllt sich von Beginn an in der psychologischen Ummantelung einer zwielichtigen Gestalt. Er liebt die Einsamkeit und verbirgt sich quasi metaphorisch hinter den strengen Formen eiserner Gitter.

Das Bild der Frau definiert er zunächst physisch, erst zählt der Körper, dann der Geist. Insofern wird im Laufe der Beziehung das Körpergewicht Sonias wie ein Aktienkurs verhandelt. Maßstab für Liebe und Stolz sind die Prozentpunkte der Abmagerung, bis sich die Grenzen zwischen Schönheit und Magerkeit verwischt haben. Sonia (Michela Cescon) verzichtet im Dienste der Anerkennung in der Folge auf jegliche Nahrung, ein gesundes Leben, schöne Kleider und schließlich auch auf das eigene Glück. Garrano unternimmt dabei vor allem in der Darstellung den Versuch einer deskriptiven Dynamik, die den schleichenden Verlust des Gleichgewichts innerhalb des Paares verdeutlichen soll. Vittorio wird zunehmend zum Despoten und Sonia zu seiner physischen und psychischen Gefangenen. Ein Zustand, der geradezu nach einem Aufschrei und der Rebellion ruft. Sonia spürt gegen Ende die Momente der Erkenntnis, die Ihr Unglück verdeutlichen. Es sind vor allem die Gemälde der Kunststudenten, die sie als magere gezeichnete Frau darstellen. Als letztlich die Schieflage innerhalb der Paargemeinschaft seinen Höhepunkt erreicht, greift Sonia zur Waffe und schlägt Vittorio nieder. Es bleibt offen, wer von beiden das Drama überleben wird.

Garrano zeigt hier keine Pathologie einer Magersucht im eigentlichen Sinne. Es ist rein nüchtern betrachtet, die bedingungslose Liebe einer Frau, die Ihrem Mann gefallen möchte. Jean Paul Sartre kreierte einst den Ausspruch "Die Hölle, das sind die anderen Menschen." Mag sein, dass dieser Aphorismus überzeichnet wirkt, jedoch erklärt er treffend die Mechanismen der Gesellschaft. Alle Maßstäbe sind von Menschen Hand kreiert, damit andere Personen diesen Kriterien entsprechen. Das gilt für Leistungen, Verhaltensweisen und nicht zuletzt auch Schönheitsideale, denen Mann und Frau unterworfen sind. Vor diesem Hintergrund scheint das Drama von Garrano mit einem Mal seine Absurdität zu verlieren. Es dreht sich im Detail um das harmlose Motiv, den Partner ändern zu wollen. Erst als sich die Machtverhältnisse innerhalb der Beziehung verschieben, ist die Eskalation in der Extremierung vorprogrammiert. Vor diesem Hintergrund ist es dem italienischen Regisseur Matteo Garrano in der Tat gelungen, einen Film zu drehen, der heterogener nicht interpretiert werden könnte. Dass vor allem das Skript punktuelle Defizite aufweist, indem es Klischees verarbeitet oder Handlungsstränge verliert, soll im Ergebnis nicht über ein Meisterwerk der Filmkunst hinwegtäuschen. Die Betonung liegt dabei auf dem Terminus Kunst, all dies auf einem innovativen, mutigen und hochästhetischen Niveau.

 

Gesehen von Bogdan Büchner

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