TarOrchester 4000

Cate Blanchett als Lydia Tàr, Nina Hoss als Sharin Goodnow, @ 2022 Focus Features, LLC

 

Regie: Todd Field, USA 2022
158 Minuten

 

Die fiktive Geschichte einer Stardirigentin , inszeniert von Todd Field, erzählt vom Machtmissbrauch aus einer anderen Richtung. Cate Blanchett ist die amerikanische Stardirigentin Lydia Tár, die Chefin der Berliner Sinfoniker ist. Sie ist verheiratet mit der ersten Geigerin des Orchesters, Sharon (Nina Hoss) und sie leben in einer großzügigen Berliner Altbauwohnung. Die beiden haben Petra, eine kleine Tochter adoptiert. Und ähnlich wie es, so zumindest die Vorwürfe,- männliche Dirigenten-Kollegen wie James Levine, Daniele Gatti, Charles Dutoit und andere angeblich getan haben, gebraucht sie ihre Ellenbogen, missbraucht ihre Macht, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Vorteile, die auch als Love-Interest Menschen ihrer Umgebung sein können, wie man recht bald durch ihre Assistentin erfährt. Dabei geht sie offenkundig manipulativ und rücksichtslos vor, so sehr, dass ihre frühere Assistentin, eine junge Nachwuchsdirigentin in den USA, die offenbar Tars Absichten nicht folgen wollte, sich das Leben genommen hat. Nach und nach wird deutlich, dass Tár aus Rache an verschiedenste Orchester geschrieben und ihr die Karriere verbaut hat.

Doch Tár hat schon längst andere junge Frauen ins Visier genommen, sorgt dafür dass eine junge Chellospielerin beim Vorspielen den Job im Orchester bekommt und probt mit ihr fortan privat. Bei einer der Proben öffnet sie der Musikerin im Bademantel, eher zufällig doch die Anspielung auf Harvey Weinstein & Co sitzt. In den USA streben die Eltern der verstorbenen Nachwuchsdirigentin derweil Ermittlungen gegen Tar an.

Auf die Reise in die USA zu einer Anhörung wegen des Suizids der jungen Dirigentin, begleitet sie die neue junge Chellospielerin, die durch Társ Einfluss die Stelle bei den Berliner Philharmonikern bekommen hat. Doch die Chellistin interessiert sich nicht für die Avancen der Dirigentin.

Cate Blanchett spielt die subtil hinterhältige und intrigante Dirigentin hervorragend. Und sie verhält sich alles andere als politisch korrekt, in einer Vorlesung mit jungen Studierenden weigert sie sich, Gendern und Diversität zu akzeptieren. Bei vielem, was sie tut, wirkt sie eiskalt, nur am Dirigent*Innenpult wirkt sie sie emotional, ja beinahe verletzlich. Eigentlich hat sie das Gefühl, über allem zu stehen, doch es sind immer wieder sehr irdische Ereignisse und Begebenheiten, welche sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Wie etwa die psychisch etwas kranke Nachbarin und deren alte Mutter oder auch ein Sturz auf einer Treppe, als sie der jungen Cellistin hinterhergeht. Tár verliert zunehmend die Kontrolle über ihr scheinbar glanzvolles Leben.

 

TarDirigentin 4000

Cate Blanchett als Lydia Tàr, @ 2022 Focus Features, LLC

 

Todd Field erzählt mit Lücken, die sich die Zuschauer*Innen nach und nach selbst erschließen, was dem Film zusätzliche Spannung verleiht. Die Tonebene ist von Vorne bis hinten subtil durchkomponiert, ständig wabern akustische Klangräume subtil von der Leinwand. Manchmal erwacht Tár mitten in der Nacht und phantasiert oder hört irgendwelche Geräusche. Ein Fiepsen vom Kühlschrank oder das von allein schlagende Metronom im Wohnraum. Da klingen leise Horror-Elemente an, nicht der einzige spannende Genre-Bruch in dem Film. Auch die Filmmusik, der Score von Hildur Guðnadóttir und nicht die Musiksequenzen aus den Orchesterproben, ist sehr subtil eingesetzt, so subtil, dass man die Schwebungen manchmal kaum wahrnimmt. Tatsächlich sind über 40 Minuten des Films durchkomponiert.

Der Film entstand über weite Strecken in Deutschland, die Philharmonie und das Orchester waren in Dresden, wollen aber Berlin sein, was bestens gelingt. Kamera führte der Deutsche Florian Hoffmeister, auch der weitere Stab und Teile der Besetzung stammen aus Deutschland. Editiert hat den Film die Österreicherin Monika Willi. Die Welturaufführung war 2022 bei den Filmfestspielen in Venedig. Der Deutsche Filmförderfonds hat den Film mit 5,2 Millionen Euro mitfinanziert.

Absolut sehenswert, mit einer weiblichen Hauptfigur, die sich alles andere als korrekt verhält und wenig Rücksicht kennt. Ein visuell, akustisch und inhaltlich großartiger, kraftvoller Film, der vermutlich zu kontroversen Diskussionen anregt.

Gesehen von Mathias Allary