Dokfest 2008 4000

 

Interview mit Ursula Scheid

Ursula Scheid und Festivalleiter Hermann Barth nach dem Film

Ursula Scheid und Festivalleiter Hermann Barth nach dem Film

Ursula Scheid präsentierte beim Dok. Fest 2008 in München ihren Film "Im Jahr des Hundes". In diesem geht es um die teilweise äußerst bizarren Beziehungen zwischen Mensch und Hund (in China), aber auch um andere Dinge, die "Im Jahr des Hundes" geschehen.

 

MC: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, „Im Jahr des Hundes“ zu drehen?

US: Also, ich war mir sicher, dass ich in China drehen will, dadurch, dass ich im Studium auch auf China spezialisiert war, dass ich einfach dieses Hintergrundwissen, was ich mitbringe, auch in einem Film umsetzen will. Ich kam im Rahmen eines anderen Filmes (…) wieder nach China, nach mehreren Jahren. (…) Dann hat sich das einfach gefügt durch die Menschen, die ich da kennen gelernt habe. Der Grund für diese Art des Films ist, dass ich mir überlegt habe, dass ich einen Film zeigen will, der sozusagen die Menschen ein Stück mittenrein wirft, mittenrein wirft unter chinesische Menschen, wo man normal nicht hinkommt, in chinesisches Leben, was hoffentlich ein Stück abseits des Touristenbildes ist.

 

MC: Wo haben sie zuvor Erfahrungen in China gesammelt?

US: Ich habe politische Wissenschaft studiert und bin auf China spezialisiert. Ich kenne China noch ohne Hochhäuser, nach der Kulturrevolution also, mit existierendem und noch intaktem Hotongleben, wo man als Ausländer noch richtig angestarrt wurde, als also noch sehr wenige Ausländer unterwegs waren.

 

MC: Stammen aus dieser Zeit auch Ihre Kontakte?

US: Nein. (…) Da war es sehr schwierig, Kontakte zu haben, weil es sehr geregelt war, es war nicht so frei wie jetzt, man konnte sich nicht so frei bewegen.

 

MC: Wo haben Sie die Leute in ihrem Film kennengelernt?

US: Sehr unterschiedlich. Zum Beispiel die Künstler auf dem Land, da wurde ich einfach mitgenommen, von einem Freund, den ich aus Deutschland kannte, einen Tibeter. Und die anderen, das hat sich so durch diesen Film, den ich gemacht habe, irgendwie gefügt. Der chinesische Kameramann hat einmal eine Frau mitgebracht, mit der habe ich mich befreundet, und ich wurde dann sehr viel eingeladen, ich habe sehr viel mit Chinesen meine Zeit verbracht. Ich habe auch bei einem Teil meiner Protagonisten am Anfang gewohnt, bevor ich etwas eigenes hatte, dadurch war der Kontakt ziemlich eng.

 

MC: Wie wurde der Film finanziert?

US: Am Anfang habe ich für die Recherche das Gerd Ruge-Stipendium bekommen und danach habe sozusagen erst einmal ich finanziert. Ich habe Förderung bekommen, der Bayerische Rundfunk ist eingestiegen, der FFF Bayern, Filmstiftung NRW und der WDR. Aber die Gelder sind halt noch nicht geflossen, und da habe ich das Geld ausgelegt, allerdings wissend, dass ich es  wiederbekomme, sonst hätte ich das nicht machen können.

 

MC: Wieviel Zeit hat es gedauert, den Film vorzubereiten und zu produzieren?

US: Ja, die Vorbereitung ist eigentlich auch schon meine Zeit vor dem Ruge-Stipendium. Das heißt, das eine Jahr, als ich für mich das Exposé vorbereitet habe. Während der gesamten Drehzeit habe ich (dadurch, dass auch eine Protagonistin ausfiel) recherchiert und vorbereitet. Das ist in China ganz schwierig. Man kann nicht ungefähr im Januar sagen: Also ich komme am 3. Mai und bitte haltet Euch um zehn Uhr bereit. Da ist niemand da und alles hat sich verändert. (…) Das heißt, ich muss selber Wochen vorher da sein, ich muss die wieder einstimmen, ich kann auch nicht einfach hinkommen und sofort drehen. (…) Ich muss mit denen erst weggehen und singen und so einen Alltag wieder einziehen lassen. Also zwei Jahre habe ich in China fortdauernd gearbeitet.

 

MC: Sind Sie während der Produktion auf Schwierigkeiten gestoßen?

p>US: Ja, aber das sind so viele, die kann man jetzt gar nicht erzählen! Am schwierigsten war, dass gleich nach der Ankunft die Protagonistin für den übernächsten Tag abgesagt hat. Sie wohnte in einem Armee-Komplex, es gibt so Wohnanlagen, die gehören der Armee. Ihre alte Mutter hat das diesem Ober-Armee-Menschen erzählt und damit war das gestorben und da durften wir da nicht drehen. Dann ist die zweite Protagonistin ausgefallen, weil die schwanger wurde und sie nicht gefilmt werden wollte während der Schwangerschaft. Das ging auch nicht so gut. Außerdem hat sie sich komplett verändert: Von langen Haaren, hochhackigen Schuhen zu Birkenstock und kurzen Haaren und schwangerem Gang, also schon im ersten Monat. Es erfordert eine große Kraft, dort zu drehen, sehr viel Einsatz, extrem viel.

 

MC: Haben Sie dann kurzfristig einen Ersatz gefunden oder hatten Sie von vornherein ein Repertoire an möglichen Protagonisten?

US: Nein, ich habe kein Repertoire gehabt. Ich war schon sehr auf die fixiert. Es sollte eigentlich auch ein alter Mensch vorkommen, das war dann der Dritte, bei dem es Schwierigkeiten gab. Der hat sich dann die Haare gefärbt, und er war sehr traurig, also alt und traurig, und seine Frau ist gestorben. Und jetzt hatte der kurz vorher eine Neue kennen gelernt,  hat die Haare schwarz gefärbt und war halt lustig und nicht alt und … Und hat einfach so das Konzept auch durchbrochen. Ich habe dann rumgefragt, ich habe bei meinen Freunden gefragt, ich bin auch in die Nachtclubs gegangen, weil eben die reiche Protagonistin abgebrochen hat. Ich habe halt geguckt (die musste ja auch einen Hund haben), wen ich jetzt finde, habe mir Verschiedene zu Hause angeguckt und habe dann tausend Kilometer entfernt eine Neue gefunden.

 

MC: Das heißt, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem Film, den Sie am Anfang machen wollten und dem, der letztendlich entstanden ist?

US: Gefühlt ist es derselbe Film. Die Personen sind andere. Natürlich geht es um die Menschen. Aber sie sind Stellvertreter, indem auch Heiratende, Familien mit Kind und alte Menschen vorkommen Es ist ein Blick in die Gesellschaft, wo diese Menschen natürlich nicht als Individuen austauschbar sind, aber für das, was sie im Film leben, auch eine andere Schattierung möglich gewesen wäre. Also es war mir zum Beispiel sehr wichtig, dass ich jemanden mit Kind habe, mit Kind und Hund. So gesehen fühlt sich der Film sehr so an, wie ich ihn vorgehabt habe.

 

MC: Hatten Sie in China hinsichtlich des Filmes Probleme, zum Beispiel mit Behörden?

US: Mit Behörden hatte ich ja nichts zu tun. Ich habe ohne Drehgenehmigung gedreht. Ich hatte am Anfang Angst, dass es schwierig wird, einzureisen, also ein Teil des Equipments haben wir mitgebracht. (…) Das Gepäck wird bei allen Möglichkeiten durchleuchtet. Es gab aber kein Problem. Es ist freier, als man hier glaubt, auf der einen Seite. Es gibt bestimmte Grenzen, die man wahren muss, wo die Freiheit ein abruptes Ende hat. Das ist sicher, wenn ich an politisch sehr brisanten Orten gedreht hätte. Alles andere lief wieder über Beziehungen. Auch im Polizeimuseum, was natürlich ein absolutes Drehverbot hat.

 

MC: Aber einmal hatten Sie doch ein Problem, als jemand auf Ihren Dreh aufmerksam wurde …

US: Ich habe ihn in ein Gespräch über Hunde verwickelt. Ich hatte halt Glück, dass dieser Uniformierte zwei Hunde hatte. Und ich habe eben den Hund beschrieben, den ich habe und sein Nachbar hatte auch diesen Hund. Aber dann fiel ihm die Pflicht wieder ein und da wurde er wieder sehr streng, aber in dieser Zeit haben wir weitergedreht.

 

MC: Machten sich  die Leute, sie Sie in Ihrem Film interviewen, Sorgen aufgrund der Dinge, die sie Ihnen erzählten?

US: Die jetzt drin sind, nicht. Aber ich hatte auch Protagonisten, die abgesprungen sind. Weil, zu der Zeit, wo ich gedreht habe, war eben wieder eine Hundedemo, also eine organisierte. Da werden dann Bürger zusammengerauft, die tragen Riesentransparente. Da sieht man zerfleischte Körper drauf und Photos von Golden Retrievern daneben, also was wirklich ein Witz ist, die können es nicht gewesen sein. Die sehen oft unfassbar grausame Bilder und dann steht dort: Stopp mit den Hunden über 35 cm. Und dann wird das im Fernsehen gezeigt, durch die ganze Presse geht das. Einige Protagonisten mit den großen Hunden haben dann Angst bekommen und sind ausgestiegen oder wollten dann nur heimlich zu Hause gefilmt werden. Aber das habe ich dann gelassen, weil ich das nicht gut fand.

 

MC: Warum sind Hunde über 35 cm verboten? Haben die Leute Angst vor solchen Hunden?

US: Von Regierungsseite aus werden Hunde über 35 cm verboten, wir haben ja etwas ähnliches mit der Maulwurfpflicht … Die Gefährlichkeit eines Hundes hängt ja nicht von der Größe ab. Wenn man es wohlwollend sieht, ist es vielleicht der Versuch, Bedrohung durch Hunde auszuschalten. Ich sehe das selbst nicht so, ich finde das eine vollkommen unsinnige Regelung. (…) Der Golden Retriever ist der beliebteste Hund dort im Moment (…), und Labradore, also besonders friedliche Hunde. Und die fallen unter dieses Verbotsgesetz. Es wird behauptet, dass Hunde über 35 cm eben für den Menschen gefährlich sind. Und diese Beweise werden dann mit diesen Photos angetreten, wo wirklich Fleischstücke aus den Armen herausgerissen sind, also von wem auch immer.

 

MC: Gab es während des Drehs besondere Anforderungen, was den Einsatz von Licht betrifft?

US: China besitzt ein schwieriges Licht. Die Umwelt ist extrem verschmutzt. Zum Teil ist die Sichtweise zwischen 50 und100 Metern, je nachdem, ob gerade Fahrverbote sind oder nicht. Also, wenn keine Fahrverbote sind und alles fährt, was fahren darf, sieht man drei Häuser weit oder vier. Es war schwierig vom Licht. Es war unheimlich viel Staub. Durch die Umweltzerstörung kommt der Staub aus dem Norden ungehindert nach Peking. Und das gibt ein Riesenstaubproblem dort und das sieht man halt auch beim Dreh zum Teil. Aber es lässt sich meistern.

 

MC: Wie sind Sie zum Dokumentarfilm gekommen?

US: Ich wusste es spät. Ich bin nicht mit der Kamera zur Welt gekommen, habe nicht mit vier schon meinen ersten Film gedreht. Ich komme eigentlich vom Schreiben. Ich habe irgendwann festgestellt, dass ich einen größeren Raum brauche. Ich war dann am Theater. Und habe dann gemerkt, dass ich am Theater, wo die Hierarchien sehr stark sind, nicht die Möglichkeiten haben werde, das zu entwickeln, was ich vorstelle. Ich habe mich in den Film hineingearbeitet, was für mich am Anfang schwierig war, weil ich nicht so ein großer Technikfan bin. Das Kreieren von Geschichten, das mag ich sehr, das Arbeiten mit Menschen mag ich extrem. Ich habe dann die technische Seite halt gelernt. Ich hatte die Möglichkeit, an der Filmhochschule München als Gaststudentin auch viel zu lernen. Ich habe Seminare und alles Mögliche gemacht

 

MC: Gibt es Dinge, auf die Sie beim Drehen besonderen Wert legen, zum Beispiel im logistischen oder zwischenmenschlichen Bereich?

US: Das ist wahnsinnig wichtig. Das Logistische ist auch wichtig, aber das kann man besser improvisieren oder da findet man irgendwelche Wege. Das war ja in China sehr schwierig. Ich habe die Produktion in China selber gemacht, das ging irgendwie. Aber das Menschliche kann man, glaube ich, nur begrenzt organisieren. Ich habe ganz schwierige Erfahrungen am Anfang gemacht, dann aber den Kameramann gefunden, Armin Dierolf, und wir haben uns einfach wahnsinnig gut verstanden, vom ersten Moment an. Wir haben sehr lange Drehtage gehabt, ich hatte einen sehr straffen Drehplan gehabt, damit wir das überhaupt durchkriegen. Es war sehr anstrengend für alle durch die Protagonisten. Die bleiben nicht vor der Kamera sitzen, sondern die stehen auf und zwischendurch rennen die raus und wollen was trinken. Das fordert viel, die in den Griff zu nehmen. Da ist es wichtig, dass das Team Humor behält und sich versteht.

 

MC: Haben sie Ratschläge für junge Leute, die gerne Dokumentarfilme drehen wollen?

US: Ich finde, dass es gut ist, wenn man das Handwerk richtig lernt. Ich habe oft darüber nachgedacht, weil ich das ganz toll finde, dieses unbekümmerte Reinspringen und einfach machen. Ich glaube, dass dann ein Punkt kommt, an dem es ganz wichtig wird, dass man wirklich das Handwerk lernt. Ich denke, wenn man weiterkommen will, wird man das mit do it yourself nicht mehr erreichen. (...) Und was ich sehr gut finde, ist so ein bisschen Filmtheorie oder auch alte Filme gucken, also zum Beispiel Plansequenzen suchen in alten Filmen. Und Filmtheorie hat, finde ich, was ganz spannendes, weil man es in dem Moment, in dem man vor einer Situation steht, und sich in der Regie oder hinter der Kamera entscheiden muss: So, was mache ich jetzt?, meldet sich das ja wieder, wenn ich es kenne. Wenn ich es nicht kenne, kann es sich auch nicht melden. Und das ist so was, was ich als Tipp geben würde, auch wenn es trocken ist und nicht soviel Spaß macht wie das Drehen selbst. Ich finde ganz toll, wenn man sich einen solchen Hintergrund schafft. Und auf Dinge einen heimlichen Zugriff hat.

 

MC: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Interview geführt von Paul Mittelsdorf