Handy filmt Mann

Theoretisch kann jedes Handy zur Live-Übertragung verwendet werden

Social Media lebt davon, dass User Bilder, Gedanken und Videos teilen und Anderen zugänglich machen. Das ist ein wenig so wie Fernsehen, allerdings gibt es dort Redaktionen und Instanzen, die abwägen und entscheiden, was "sendefähig" ist.

 

Diese Instanzen fehlen allerdings gänzlich, wenn jeder, der ein Smartphone oder sonstiges vernetzte Gerät mit Kamera besitzt, seine Aufnahmen öffentlich machen kann. Niemand fragt diesen Menschen danach, welche geistig moralische Haltung er/sie hat, ob die gemachten Aufnahmen wirklich von allgemeiner Bedeutung für eine Öffentlichkeit, ob sie überhaupt zumutbar sind.

 

Videos vom Wahnsinn in der Welt

Inzwischen filmen Terroristen, geistig Verwirrte oder von blindem Hass gesteuerte Täter ihre Untaten per Handy und senden sie in Echtzeit live via Facebook & Co. Ebenso wie Tatzeugen, Schaulustige oder Mittäter Verbrechen und Unfälle mit drehen und online stellen. Was Fernsehsender, die einem journalistischen Ehrenkodex verpflichtet sind, über mehr als 70 Jahre Fernsehgeschichte hinweg weitgehend erfolgreich in einen Gesamtzusammenhang in Nachrichtensendungen eingeordnet und entsprechend gelenkt und gefiltert haben, wird nun nahezu täglich ungefiltert auf die Welt losgelassen. Ganz gleich ob Erschießungen, Vergewaltigungen, Selbstmorde oder Massaker, wer mag kann live dabei sein. Nach Moral, Menschenwürde oder Recht am eigenen Bild wird nicht gefragt.

 

User generated Content nennen das die Provider, die im Gegensatz zu den Kosten, die ein journalistisches Netzwerk verursacht, kostenlose Inhalte über ihre Kanäle verbreiten. Facebook, Periscope und andere werden damit zu Programmanbietern, die sich allerdings jedweder Verantwortung für das was die dort gezeigten Inhalte anrichten können, entziehen.

 

Animateure für neue Gewalt?

Menschen auf Rolltreppe

Jeder kann TV Journalist und Zuschauer gleichzeitig sein

Als Argument für diese Art von ungefilterter Bilderflut wird immer wieder darauf hingewiesen, dass damit ein gewisser Schutz oder eine gewisse Beweislage geschaffen würde, doch was die Videos mit den Menschen die sie sehen machen, darüber kann man nur mutmaßen. Wäre der massenhafte Polizistenmord von Dallas im Juli 2016 vielleicht nicht geschehen, wenn die Videos von der Erschießung von Philando Castiles durch einen Polizisten nicht durch das Netz gewandert wären. Am Tag nach diesem Vorfall zielte ein Scharfschütze auf die Polizei die einen Protestmarsch in Dallas begleitete. Und auch dort filmte ein Augenzeuge die Gewehrschüsse und die angeschossenen Polizisten.

 

Verlust der Erklärungshoheit ?

Haben die Fernsehsender und Pressemedien endgültig ihre Alleinstellung, die richtigen Bilder und Videos den Geschehnissen in der Welt kommentiert zuzuordnen, verloren? Werden sie durch die ungefilterten Gewaltdarstellungen privater Videos dazu animiert, auch in ihren Nachrichtensendungen gewalttätigere Aufnahmen zu senden, um mithalten zu können mit den im Netz weit verbreiteten Live-Videos? Es scheint, als wäre 2016 eine Schwelle überschritten worden, die vieles, was in der journalistischen Arbeit als gesichert und moralisch abgeklärt galt, abgesichert hatte.

 

Und immer öfter scheint die natürliche Reaktion der Menschen nicht mehr zu sein, den Opfern zu helfen, sondern das furchtbare Ereignis per Handy zu filmen. Der Anschlag von Nizza etwa im Juli 2016 ist hundertfach in Videos festgehalten worden.

 

Da kommen ganz neue Herausforderungen nicht zuletzt auf die Schulen zu, zu lehren, diese neue, andere Live-Bilderflut richtig zuzuordnen und selber Verantwortung zu übernehmen, welche Aufnahmen man öffentlich macht und welche nicht.