Die Darstellung von Gewalt ist nahezu Alltag in unseren Medien,- was macht das eigentlich mit den Menschen?
Vorbilder für Gewalt ?
Mit bedrückender Regelmäßigkeit erfahren wir von Verbrechen, ausgeübt häufig von Jugendlichen oder gar Kindern, die nahezu unerklärlich bleiben, gäbe es da nicht diese Bilder aus Kino, Video, DVD oder Fernsehen auf denen uns ähnliche Gewalt zumindest inszeniert, unterhalten will.
Normal brutal
Obwohl unsere Gesellschaft auf klaren moralischen und gesetzlichen Grundwerten ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit") beruht, begegnet uns dennoch Gewalt, die in klarem Widerspruch zu diesen Werten steht. Gewalt ist eine Urerfahrung, welche bereits Kleinkinder im Sandkasten erfahren, wenn ihre Altersgenossen sie an den Haaren reißen, ihnen Sand in die Augen schmeißen. Die Märchen, welche die lieben Kleinen vor dem Einschlafen hören, sind voller Grausamkeiten, denen die Guten stets auf wundersame Weise entgehen können. Auch auf unseren Schulhöfen, an den Arbeitsplätzen, selbst in den Familien ist das Klima häufig ziemlich rau. Es scheint fast, als gehöre Gewalt irgendwie mit zum Leben.
Auf Schlagzeilen reduzierende Medien, aber auch manche Politiker nutzen Ängste der Menschen vor Gewalt gerne durch simplifizierende Thesen zur Steigerung der eigenen Popularität. Sozialwissenschaftler, Pädagogen und Psychologen versuchen zu ausgewogeneren Erkenntnissen zu gelangen. Eine Unzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen versucht sein Jahrzehnten das Phänomen Medien und Gewalt zu thematisieren. Welche Aspekte und Erkenntnisse haben diese Studien zu diesem Wirkungskreis herausgefunden, gibt es Gefahren und wenn ja, wo lauern diese wirklich? Wie schädlich sind die Morde in den Krimis, wie schädlich die in der Tagesschau? Was verursachen die Dämonen, Killer, Schläger, die Pump-Guns und Blutspritzer im Abendprogramm?
Totaler Einfluss
Nicht gänzlich auszuschließen ist, dass Gewalt in den Medien den natürlichen Nachahmungstrieb in Menschen beeinflussen könnte, doch dann müsste unsere Welt bei allein durchschnittlich 4000 Morden pro Woche allein im deutschen Fernsehen um ein Vielfaches gewalttätiger sein. Vielleicht sind aber die Zusammenhänge zwischen Gewaltdarstellungen und realer Gewalt viel komplexer. Möglicherweise werden manche Zuschauer nur in einen Zustand der Anspannung versetzt, der durch die angelernten Schutzmechanismen wie Erziehung, Schuldkomplexen, Angst vor Bestrafung in Zaum gehalten wird.
Bedingter Einfluss
Relative Übereinstimmung herrscht bei den meisten Experten darüber, dass es in der Regel keinen direkten Zusammenhang zwischen einer etwa im Fernsehen dargestellten Gewalttat und deren Umsetzung als Folge des Gesehenen gibt. Viele vertreten die Auffassung, dass ein einzelner Film nicht die Charakterstruktur eines Menschen zu verändern vermag. Zudem stumpfen die Zuschauer angeblich durch die permanente Berieselung durch Gewaltszenen langsam ab und akzeptieren diese als übliches Verhalten von Filmfiguren.
Gewaltdarstellung als virtueller Ausgleich
Verteidiger der Gewaltdarstellung in den Medien behaupten gerne, die Beobachtung von Gewaltszenen im Fernsehen etwa erlaube es dem Zuschauer, eigene Aggressionen abzubauen und nicht selbst ausleben zu müssen. Oder dass der Konsum von Gewaltdarstellungen die Phantasie anrege und damit erleichtere, in realen Aggressionssituationen besser damit umzugehen. Die als "Katharsis-Theorie" bekannte Annahme versagt jedoch regelmäßig bei Gewaltverbrechen vor allem unter Kindern und Jugendlichen, bei denen die Nachahmung gesehener Gewaltanwendung in direktem Zusammenhang mit der Tat stehen. Wenn kindliche Neugier etwas Gesehenes ausprobieren zu wollen, auf absurde Waffengesetze wie in den USA trifft, kann das Undenkbare, der Fünfjährige, der seine sechsjährige Schwester erschießt, eben doch geschehen.
Statistisch geringe Wirkung
Will man die Ursachen von realen Gewaltakten prozentual bewerten, so gehen Studien von einem Anteil von ca. 5 bis 8 % aus, den Gewaltdarstellungen dazu beigetragen haben. Einig sind sich die Fachleute aber auch darin, dass das soziale Umfeld aus welchem Jemand stammt, eine entscheidende Rolle dabei spielt, welche Wirkung Gewaltdarstellung auf den Einzelnen hat. Stammt ein Kind oder Jugendlicher aus einer intakten Familie, so werden die Einflüsse von Gewaltfilmen viel geringer sein, als wenn es aus einer Familie stammt in der Gewalt zu den Umgangsformen gehört.
Gewaltkompetenz
Die Kombination aus belasteten Familiensituationen und dem Konsum von Gewaltdarstellungen erst kann möglicherweise in einem spürbaren Maße Aggressivität steigern. Wer in seinem sozialen Umfeld Gewalt alltäglich erlebt, für den ist diese näher, erreichbarer, lebbarer. Alkohol und Drogen begünstigen die Fortführung von Mediengewalt im Alltag deutlich mehr, als die Geborgenheit einer funktionierenden Familiensituation.
Alle Untersuchungen gehen dabei von Programmen aus, die als nicht jugendgefährdend oder Gewalt verherrlichend gelten. Doch wer offenen Auges das tägliche Fernsehprogramm betrachtet, stößt schnell auf Sendungen, die durchaus in der Lage wären, durch wiederholten Konsum Schädigungen im Wertesystem so mancher jugendlicher Zuschauer anzurichten. Abgesehen davon eröffnen Internet und allzu sorglose Eltern ihren Kindern weitestgehenden Zugang selbst zu vehement indizierten Filmen.
Qualen nach Zahlen
Ein weiterer wichtiger Faktor bei dem Wirkungskreis Mediengewalt-Reale Gewalt scheint die Dauer des Medienkonsums zu sein. Untersuchungen haben ergeben, dass wenn Jungen mehr als zwei, drei Stunden am Tag bevorzugt gewalttätige Inhalte im Fernsehen schauen, Zusammenhänge mit höherer Aggressivität deutlicher sichtbar werden. Da Mädchen seltener Gewaltdarstellungen anschauen, ist bei diesen kein derartiger Zusammenhang feststellbar.
Kinder, die von ihren Eltern vor dem Fernseher "geparkt" werden, sehen häufig Sendungen, die für sie gänzlich ungeeignet sind. Solange sie mit ihren Eltern darüber sprechen, statt sich mit ihren Angstphantasien zurückzuziehen, können solche Erfahrungen verarbeitet werden. Wenn das soziale Umfeld stimmt, sind Menschen besser geschützt davor, ihre Aggressionsschwelle zu senken und Gewalt als Lösungsmittel zu begreifen.
Der übermäßige Fernsehkonsum kann unabhängig von der Gewaltfrage ein Anzeichen für Beziehungskonflikte sein. Erfahren Kinder Abläufe, Spielregeln und Regelwerke der Gesellschaft in der sie aufwachsen durch starke Isolation und nicht von ihren Eltern oder Gleichaltrigen, so ist es denkbar, dass sie ersatzweise Verhaltensmodi übernehmen, die ihnen das Fernsehen anbietet.
Was wirkt
Die Menschen, ihre Lebenssituationen und ihre Charaktere sind zu unterschiedlich, als dass man Gesetzmäßigkeiten aufstellen kann, was Gewaltdarstellungen in den Medien bei ihnen anrichten können. Relativ sicher scheint jedoch, dass Gewalt in den Medien Schäden anrichten können, falls bestimmte soziale Bedingungen zusätzlich erfüllt sind.
Nicht ganz unwichtig ist sicher auch die Machart der Filme. Dort wo Autoren und Regisseure sauber gearbeitet, lebendige, atmende Charaktere geschaffen haben, ist Gewalt als dramaturgisches Element eher zu akzeptieren, als beim Gros der Filme in denen Gewalt schlicht dem Gefühls- und Spannungskitzel dient. Filme, die es in einem erzählerischen Umfeld von Gewalt nicht schaffen, zu vermitteln, wie wertvoll ein Menschenleben ist, bieten letztlich kaum mehr als dumpfen Nervenkitzel.
Je besser das Angebot an filmischen Alternativen in den Medien ist, je weniger Kinder und Jugendliche vor den Kisten einfach abgestellt werden, desto unbedeutender wird der Einfluss von dargestellter Gewalt. Die von den Eltern vorgelesenen Märchen mit vielfältigsten Graultaten haben schließlich auch nicht massenhaft Nachahmungstäter hervorgerufen. Sie haben statt dessen Möglichkeiten aufgezeigt, mit übermächtigen Ungeheuern und furchtbaren Schrecken zurecht zu kommen. Und sie boten stets klar verteilte Werte und Sympathien. Die Bösen wurden bestraft und die Guten überlebten.
Solange Filme vergleichbare Werte vertreten, kann man deren Gewaltdarstellung mit Einschränkungen mit der in Märchen vergleichen. Wenn aber brutale und menschenverachtende Filmfiguren als Helden hofiert, ihre Graultaten straffrei bleiben und sie am Ende des Films als Sieger gefeiert werden, spätestens dann sind Zweifel an deren Haltung zu Gewalt und deren Aufführung im Fernsehen angebracht.