Psychologische Wahrnehmung und akustische Gegebenheit
Die Zusammenhänge zwischen psychologischer Wahrnehmung und akustisch-technischen Gegebenheiten sollten jedem, der mit Ton gestaltet, bekannt sein. Grundprinzip der Psychoakustik ist es, den (technischen) Schallreiz mit der Empfindung des Hörenden zu vergleichen. Geräusche können die Qualität von Musik haben. Wir sind in der Lage, sie in ihrer Charakteristik und Ausstrahlung in vielfältiger Weise zu verändern. Sie können zurückhaltend und begleitend sein, wie der Hintergrund einer Musik, sie können aber auch deutlich wahrnehmbar im Vordergrund sein. Wie hören sich Gefühle, Stimmungen, Ängste an?
Schallgeschwindigkeit
Was wir wie und wann hören, ist von vielen Faktoren abhängig. Zum Beispiel von so merkwürdigen Faktoren wie der Temperatur. Je wärmer es ist, desto schneller verbreitet sich Schall, während es umgekehrt bei Kälte einfach etwas länger dauert, bis ein Tonereignis bei uns ankommt. Will man Kälte oder Arktis akustisch erzählen, kann man – wenn man „trockene“ Studiogeräusche verwendet – die akustische Erfahrung der Kälte durch entsprechende Laufzeitunterschiede (Hallgerät) nachbilden.
In der Realität werden Klänge nur zu einem geringen Prozentsatz direkt von ihrem Ursprung zum Hörenden abgestrahlt. Der weitaus größere Anteil kommt beim Zuhörer reflektiert durch Decken, Wände, Gegenstände etc. an. Die Winkel, Frequenzen und Laufzeiten verändern sich. Das direkte Hören vom Lautsprecher zum Ohr ist also eher eine ungewöhnliche akustische Situation.
Der Klang macht die Musik
Auch unser Empfinden von Atmos oder Geräuschen kann gesteuert werden. Man kann individuelle Geräusche sowohl nervig und unangenehm als auch durchaus harmonisch wirken lassen. Ein Autogeräusch kann angenehm sonor brummen, kann aber auch unangenehm knarzen oder bedrohlich klingen; es hängt alles von den Frequenzen und der Filterung ab.
Rhythmische Geräusche (Klappern, Windmühle, Druckerpresse etc.) können den Charakter eines Rhythmusinstruments annehmen, wenn sie entsprechend gefiltert werden. Umgekehrt können auch normale Geräusche (z. B. Geschirrklappern beim Essen oder ein vorbeifahrender Zug) etwas bedrohliches bekommen, wenn man sie entsprechend bearbeitet. Diesen Arbeitsbereich gehört zu den Aufgaben des Sound-Design.
Unsere Hörgewohnheiten ordnen in Filmen auch bestimmten Frequenzbereichen instinktiv entsprechende Wertigkeiten zu. Sehr tiefe Frequenzen werden häufig mit Unwetter oder Naturkatastrophen in Verbindung gebracht. Donnergrollen, Stürme oder Erdbeben werden durch tiefe Frequenzen repräsentiert. Auch die Musik arbeitet häufig mit Notenwerten im unteren Spektrum, wenn Bedrohung vermittelt werden soll. Der erfahrene Ton-Cutter weiß, dass es speziell tiefe Frequenzen sind, die diese Saiten unseres Gefühlsklaviers besonders berühren.
Inzwischen verwenden Tongestalter in geradezu inflationärem Maße tieffrequentes Grollen und Brodeln, wann immer die Film-Situation bedrohlich wird. Und dies nicht nur bei Szenen in unmittelbarer Erdbebennähe, sondern auch in Büros, Bankfilialen, Säuglingsstationen etc., bei denen es wirklich keinerlei noch so weit hergeholten Bezug zu Erdbebengeräuschen gibt.
Fühlen statt Hören
Die tiefste vorhandene Frequenz eines Klanges nennt man Grundschwingung. Die auf dieser basierenden Teilschwingungen mit (so genannten ganzzahligen) Vielfachen der Grundschwingung werden als Oberwellen oder Harmonische bezeichnet. Wer schon einmal einen Hörtest gemacht hat, dem wurde vermutlich bescheinigt, dass irgendwo bei 16.000 Hz (16 KHz) der Bereich der hörbaren Frequenzen aufhört. Aber wussten Sie auch, dass der Mensch darüber liegende Frequenzen noch bis über 40.000 Hz (40 KHz) wahrnehmen kann? Diese hohen Frequenzanteile, die auch in Form von Oberwellen in der Natur und Musik vorkommen, kann man nicht bewusst hören. Wenn sie jedoch – etwa beim Hörvergleich Orchester direkt/analoge Vinyl-Schallplatte/CD-Aufnahme – fehlen, spürt man den Unterschied.
Auch die Tonhöhe empfindet man oft in Abhängigkeit von dem akustischen Umfeld und der Lautstärke völlig unterschiedlich. Es ist nicht allein die Frequenz, die bestimmt, wie hoch oder tief wir einen Ton empfinden. Ob wir einen Ton als scharf oder schrill empfinden ist sehr davon abhängig, wie die übrigen Frequenzen im Klangbild angelegt sind. Ab einer Frequenz von ca. 2.000 Hz werden Töne, wenn man sie lauter wiedergibt, höher empfunden. Interessanterweise werden Töne unter 1.000 Hz, wenn man sie lauter wiedergibt, tiefer empfunden. Ein merkwürdiger Widerspruch.
Lautmacherei
Lautstärke gehört ebenfalls zu den Phänomenen, die sehr relativ sind. Ein Tonereignis, etwa ein Schuss oder das Zuschlagen einer Tür, wird abhängig vom akustischen Kontext unterschiedlich laut empfunden. Ist das Ereignis eingebunden in eine ohnehin laute Atmo (lärmende Fabrikhalle), wird man es kaum als besonders laut empfinden. Fällt der Schuss aber mitten in der Stille einer leisen Kirchenatmo, dann empfinden wir ihn als sehr laut.
Ein weiteres wichtiges Moment ist die Überraschung. Sind wir auf ein drohendes lautes Tonereignis vorbereitet, empfinden wir es als weniger laut, als wenn wir davon überrascht werden. Auch die Hörerfahrung spielt eine Rolle. Erfahrene Tonleute nehmen Tonereignisse, die laut wirken sollen, gerne mit Magnetband auf (z. B. Nagra). Der Grund liegt in den damit möglichen leichten Verzerrungen (Distortion) und Kompressionseffekten in der Nähe der Bandsättigung (leichte Übersteuerung über 0 dB). Diese erhöhen bei uns den Eindruck von Lautstärke. Ein technischer Fehler dient hier also als Hilfsmittel, die Wirkung in Hinblick auf Lautstärke zu optimieren.
Wird ein Ton nur ganz kurz wiedergegeben, empfinden wir ihn leiser, als wenn er länger zu hören ist. Das menschliche Ohr ist für Frequenzen zwischen 2.000 Hz und 5.000 Hz besonders empfindlich. Um mit einer niedrigen Frequenz (z. B. 200 Hz) den gleichen Lautstärkeeindruck zu erzielen wie mit einer Frequenz von 3.000 Hz, ist wesentlich mehr Schalldruck erforderlich.
Transparenz oder Perfektion?
Ein weiterer Bereich, in dem technische Fehler der Optimierung der akustischen Wirkung dienen, ist die Transparenz, die Räumlichkeit der Toninformation. Während früher ohne effektive Rauschunterdrückung oder digitale Verfahren die Tonsignale zwangsläufig immer von leichten Verzerrungen und Rauschen überlagert waren, ist es heute möglich, absolut saubere, trockene Tonspuren zu erzeugen. Seltsamerweise empfinden viele Menschen diese aber als dumpf und steril. Einige Effektgeräte fügen diesen sauberen Tonsignalen „schmutzige“ in Form von unterschiedlichen Rauschanteilen zu, sodass das Ergebnis als „räumlicher und luftiger“, als wohlklingender empfunden wird.
Wer zuerst kommt, hört zuerst
Für die Bestimmung von Richtungen ordnet das menschliche Gehirn ähnliche Frequenzen, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, zeitlich zu. Der Schall, der zuerst an unserem Ohr eintrifft, bestimmt die Richtung, die wir der Schallquelle akustisch zuordnen (Direktschall und Echo).
Wechselbäder
Auch in der Tonebene ist es wichtig, mit dem Wechsel von Anspannung und Entspannung zu arbeiten – ähnlich wie bei der Bildsprache und Dramaturgie. Wenn man möchte, dass bestimmte akustische Ereignisse wirklich wirken, müssen davor Phasen der Belanglosigkeit oder Ruhe liegen, damit eine Sensibilität für die Wirkung angelegt wird. Lautstärke kann man nur empfinden, wenn man auch die Stille kennt. Die Endmischung ist der ideale Zeitpunkt, um diese dramaturgischen Spannungsfelder optimal aufzubauen.