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Shekarchi D, IRN 2010, 92 Min REGIE: Rafi Pitts
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Regie: Rafi Pitts
Kinostart: 8. April 2010
Ein Film zu einem brandaktuellen Thema kommt dieses Jahr aus dem Iran. Der Filmemacher Rafi Pitts der in seinem Film auch die Hauptrolle des Familienvaters Ali Alavi spielt, begibt sich mit seinem Werk "Shekarchi" oder "Zeit des Zorns" auf gewagtes Terrain.
Passend zum Titel erzählt er mit einem unterschwellig spürbarem Zorn von Ali der, nachdem er eine Gefängnisstrafe verbüßt hat, wieder Arbeit in einer Fabrik in Teheran gefunden hat. Er arbeitet nachts und stößt schon bei der Bitte um andere Arbeitszeiten auf den Widerstand einer Obrigkeit. Bei seiner Vergangenheit könne er das nicht erwarten, bekommt er von seinem Chef zu hören. Die Tatsache, dass er seine Familie, seine Frau und die gemeinsame kleine Tochter, praktisch nicht zu Gesicht bekommt, taugt nicht zur Verhandlungsbasis. Eines Tages sind die beiden spurlos Verschwunden als Ali von der Arbeit nach Hause kommt. Nach einer Weile wendet er sich besorgt an die Polizei. Er erfährt häppchenweise, dass seine Frau wohl in einem Straßengefecht erschossen wurde. Ein Unfall sei es gewesen. Wenig später stellt sich heraus, dass auch seine Tochter tot ist. Blind ist er vor Wut über den Staat und auch die aktuellen politischen Umstände, auf die der Regisseur unmissverständlich Bezug nimmt. In einer Szene steht Ali an einem Fenster, aus der Ferne hört man eine Menschenmenge, welche die typischen Sprechchöre skandieren.
Ein wenig erinnern manche Szenen des Films an Mahmud Doulatabadis Roman, der Colonel. Die Szenen in denen Ali einsam und von den Behörden im Stich gelassen die Straßen von Teheran entlang stapft, erinnern sehr an Passagen aus dem Roman. Anders als der Colonel, fügt sich Ali aber keines Wegs seinem Schicksal, sondern schnappt seine Jagdbüchse, und erschießt von einer Anhöhe aus zwei Polizisten die auf der Autobahn vorüberfahren. In einer groß angelegten Fahndung kommen die Behörden ihm auf die Schliche. Im weiteren Verlauf des Films kommt es zu einer Verfolgungsjagd. Alis Auto überschlägt sich und er flieht durch den Wald. Die zwei Polizisten können ihn aber schließlich doch stellen. Ali zeigt sich angesichts der ausweglosen Situation kooperativ und folgt den beiden Polizisten ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Die Art wie der Regisseur hier die Staatsgewalt vorführt, sorgt beim Publikum für einige Lacher. Als es aber anfängt zu regnen, kippt die Geschichte plötzlich und nimmt ein spannendes Ende. Am Ende der Vorstellung ist allen klar, der Film ist ein Favorit im Wettbewerb um den goldenen bzw. silbernen Bären. Sicherlich ist das zu einem großen Teil der Aktualität des Themas geschuldet, aber darüber hinaus ist Shekarchi ein sehr eigenständiges Werk mit künstlerischem Anspruch. Eine Besonderheit an Pitts Erzählstil sind die Andeutungen mit denen er auf subtile Art spätere Ereignisse ankündigt. Die Mimik seiner Darsteller ist sehr starr, doch genau damit kreiert er eine Stimmung in der die Frustration einer Gesellschaft, deren Aufbegehren und Wunsch nach Veränderung keinerlei Früchte trägt, spürbar wird. Auch als Schauspieler vermittelt er ohne viele Worte zu Gebrauchen ein Gefühl von ohnmächtiger Wut. Was einen als Westler allerdings erstaunen lässt - sofern man die aktuellen Ereignisse im Iran verfolgt hat - ist die Eindeutigkeit des Angriffs gegen die aktuelle Regierung und die Staatsgewalt des Landes. Immer wieder hört man von Journalisten und Kulturschaffenden die in Gefängnissen verschwinden und denen jeder Kontakt zu Familie und Freunden abgeschnitten wird. Es ist im politischen Kontext ein sehr mutiger und offensiver Film, der wirklich einen Preis verdient hätte. Über das Ende gab es geteilte Meinungen, und dramaturgisch hätte die Geschichte auch anders aufgelöst werden können, aber es passt auf eine gewisse Art zur derzeitigen absurden Situation im Iran.
Gesehen von Lion Bischof