Starke Filme erzählen von den Gefühlen der Menschen. In manchen Situationen im echten Leben überwältigen uns diese Gefühle und wir vergießen Tränen. Wahrscheinlich ist der Mensch sogar das einzige Lebewesen, welches ausgelöst durch Emotionen, weinen kann. Dabei können die emotionalen Gründe, weshalb wir weinen höchst unterschiedlich sein. Wenn Menschen glücklich oder auch unglücklich sind, sich einsam, hilflos oder überfordert fühlen.
Wenn wir nun also in Filmen von genau solchen Situationen unserer Filmfiguren erzählen wollen, könnte es sein, dass auch das Weinen eine Rolle spielt. Was genau ist damit gemeint und wann genau wäre das der Fall? Die Psychologie sagt, dass Menschen immer dann, wenn innere Grundbedürfnisse nicht, oder gerade besonders intensiv erfüllt werden, Tränen fließen können. Fehlende oder aber sehr intensive Nähe, fehlende Selbstbestimmtheit, das Scheitern, wenn man Ziele nicht erreichen kann, sind da häufige Grundsituationen.
Diesen Grundkonflikten folgend, sind Liebeskummer, Trennungsschmerz, Heimweh, Verluste aber auch Freudentränen besonders häufig. Weinen ist im Grunde genommen eine Ausnahmesituation des Menschen, in der alle sonst üblichen Reaktionen und Kommunikationsweisen nicht mehr ausreichen. Man ist schlichtweg überfordert mit dem, wie sich die Welt gerade darstellt. Man weint, weil man sich in einer Grenzsituation befindet. Und natürlich sind Tränen auch Kommunikation, man möchte in seinem Gegenüber etwas auslösen. Manchmal sollen Tränen, oft am Ende eines Filmes, erzählen, dass eine äußerlich gefühlsarme Person ihre Maske fallen lässt und eben doch Gefühle zeigt. Nicht selten passiert das, kurz bevor diese stirbt.
Filmfigur und Zuschauer
Menschen können sogar, quasi stellvertretend für Andere, wenn sie von etwas, was sie sehen, hören oder lesen sehr berührt sind, weinen. Also genau das, was wir vielleicht mit manchen Filmgeschichten auslösen möchten. Hier lauert allerdings ein mögliches Missverständnis. Es sind nämlich nicht die Tränen der Filmfiguren, welche möglicherweise Tränen in den Zuschauern auslösen. Es sind die emotionalen Bedingungen, die Filmhandlung, welche in Zuschauern stellvertretend das Bedürfnis wecken, zu weinen. Eine Filmfigur muss keine einzige Träne vergießen und die Zuschauer sind dennoch zu Tränen gerührt. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis.
Es sind nämlich zwei völlig verschiedene Dinge, die Tränen der Protagonist*Innen und die Tränen oder die Traurigkeit der Zuschauer. Man denke nur an Stan Laurel, der immer wieder in Momenten besonderer Hilflosigkeit anfing zu weinen, was im Publikum größte Lachsalven auslöste. Sicherlich spielt dabei auch die Verabredung mit dem Genre "Komödie" oder "Slapstick" eine Rolle, doch an dem Prinzip, dass diese beiden Tränenebenen komplett voneinander abgekoppelt sind, ändert das gar nichts.
Entscheidend ist, dass die Zuschauer im Film emotional auf ein mögliches Weinen vorbereitet werden. Dafür ist Empathie oder besser noch Identifikation sehr wichtig. Das Publikum sollte mit der Filmfigur mitfühlen können, dafür sollte man sie verstehen und ihre Reaktionen innerhalb der Filmstory nachvollziehen können. Wenn Zuschauer Weinen, kommt das einer Selbstaufgabe gleich, sie können sich nicht mehr dagegen wehren und fallen in eine unwillkürliche körperliche Reaktion. Mein weint also im Affekt.
Authentizität
Die Sache mit den Tränen im Film ist seltsamerweise höchst umstritten. Tränen haftet der Ruf an, dass sie für besondere Wahrhaftigkeit stehen. Man betrachtet die Tränen als einen Beweis für Echtheit. Wenn eine Figur weint, dann tut sie es unwillkürlich und das belegt ihre Ehrlichkeit, so die allgemeine Annahme. Müssen Schauspieler*Innen deshalb aus sich heraus auf Kommando Tränen produzieren können? Die wenigsten Menschen können das, man spricht von etwa 4 %. Alle anderen können nicht ohne Anlass weinen. Schauspieler*Innen, die in einer Szene vor laufender Kamera auf Anweisung weinen sollen, konzentrieren sich natürlich nicht auf ihre Tränendrüsen, sondern darauf, in ihrem Innersten ein Gefühl abzurufen, das sie Weinen lässt. Schauspielmethoden wie Lee Strasbergs "Method Acting" setzen auf das Abspeichern innerer Befindlichkeiten aus dem eigenen Erfahrungsfundus, die einem helfen sollen, auch vor der Kamera Tränen zu vergießen. All das kann funktionieren, andererseits sollten Schauspieler*Innen auch stets trennen zwischen der Rolle und ihrer Persönlichkeit. Schauspieler*Innen dürfen schließlich nicht in den eigenen Emotionen ertrinken.
Da beim Film ohnehin alles, was in der Filmhandlung erzählt wird, für den Film entsteht, also künstlich erschaffen wird, geht es eigentlich darum, den Eindruck von Wahrhaftigkeit zu vermitteln. Dafür können die Tränen aber durchaus auch von der Maske per Pipette in den Augenwinkeln aufgebracht werden. Das ändert an der Bedeutsamkeit der Filmszene schlichtweg gar nichts. Deshalb sollte man es mit den Schauspieler*Innen stets vorab besprechen, wie sie eine Szene mit Tränen angehen wollen. Es nützt Keinem, wenn sie sich am Set rumquälen, um etwas Tränenflüssigkeit zu produzieren.
Maske
Tränen gehören zu den Aufgaben der Maskenbildner*Innen. Glyzerin ist am bekanntesten, eine farb,- und geruchslose Flüssigkeit aus Alkoholen die etwas dickflüssiger als Wasser ist und deshalb besser im Gesicht auf der Haut an einer Stelle bleibt. Auch auf Gelatinebasis gibt es Tränenflüssigkeit, oder auch
so genannte "Tränenstifte“ welche unter die Augen gerieben, echte Tränen auslösen, denn die in dem Stift enthaltenen ätherischen Öle lassen das Auge Tränen absondern.
Dabei sind Tränen ohne dies nicht automatisch der Beleg für Traurigkeit. Wenn bei einer Filmfigur die Augen trocken bleiben, ist diese doch nicht automatisch gefühlskalt oder emotional unfähig. Interessanterweise können viel mehr Menschen den Drang zu Weinen unterdrücken oder verhindern, dass sie weinen. Und damit sind wir bei einem sehr interessanten Punkt. Oftmals macht es die Zuschauer sogar trauriger, wenn sie im Film beobachten können, wie die Hauptfigur zwar tieftraurig ist, dies aber niemandem zeigen möchte. Der Versuch, in einer solchen Situation nicht zu Weinen, kann oftmals viel tragischer für die Zuschauer wirken, als wenn Tränen fließen. Vielleicht ist das der viel spannendere Teil des Weinens im Kino.
Die Zahl der Filme, in denen man weinen möchte, ist riesig, es gibt aber sogar Filme, in denen das Weinen es bis in den Titel hinein geschafft hat.
"Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (Regie: Rainer Werner Fassbinder, D 1972)
"Die Frau, die weint"- LA FEMME QUI PLEURE - (von und mit Jacques Doillon F 1979)
"Die Tränen" (Regie: Im Sang-Soo, Korea 2000)
"Tränen der Sonne" (Regie: Antoine Fuqua, USA 2003)