Gefühle
Kino interessiert die Menschen stets am meisten, wenn Emotionen in ihrer ganzen Bandbreite ins Spiel kommen. Neben den eher unangenehmeren wie Hass, Verachtung, Neid beschäftigt sich das Kino mit unermüdlichem Verve mit der Liebe. Was nicht bedeutet, dass die vorgenannten Gefühle eine Liebesgeschichte nicht zusätzlich bereichern könnten.
In Zeiten, in denen man unschuldig in die Ehe ging und diese in aller Treue andauerte, bis der Tod einander trennte, hatte die Partnerwahl etwas Absolutes, etwas Archaisches. Deshalb beschäftigten sich viele Filme mit dem Motiv der Rivalität zwischen zwei Kontrahenten, die um die Gunst einer Dame kämpften, sei es mit Degen, den Colts oder schlicht mit Charme und Rethorik.
Die Leiden von Rhett Butler (Clark Gable) und Scarlett O‘Hara (Vivien Leigh) in „Vom Winde verweht“ („Gone with the Wind“, USA 1939) oder Ilsa Lund Laszlo (Ingrid Bergmann) und Rick Blaine (Humphrey Bogart) in „Casablanca“ (USA 1942) sind für ein sexuell befreites (?) Publikum mit häufigem Partnerwechsel doch eher einer überhöhten, irrealen Kino-Traumwelt zuzuordnen.
Auch wenn Ungewissheit, Sehnsucht oder Verzicht auch heute noch die Liebenden bewegen, wird es immer schwieriger, diese mit der großen Tiefe und Absolutheit der frühen Kino-Liebenden auszustatten. Die Veränderungen unseres Alltags, der Kultur und Moralbegriffe haben auch die Zeichen und Signale der Filme verändert.
In Zeiten, in denen moderne Beziehungen vor allem durch den Mangel an gemeinsamer Zeit gekennzeichnet sind, und die Attraktivität des Partners für manchen gleichrangig mit der Fahrzeugwahl zu den Statussymbolen zählt, erfüllen Liebesszenen in Filmen veränderte Aufgaben.
Sex Sells
Jene kurze Formel, die uns im Werbealltag inzwischen ständig begegnet, gilt auch für das Kino. Liebe, Lust, Romantik und Leidenschaft gehören in die Rührschüssel der Filmzutaten, aus denen Kinofilme hergestellt werden. Der Kinoindustrie ist nicht entgangen, welchen Erfolg Porno-Seiten haben, oder wie viele Menschen sich Sex-Maschinen kaufen. Zuschauer sind an allen Facetten des Liebesthemas interessiert, an den seltsamen, schmerzlichen oder beglückenden Schritten des uralten Paarungstanzes.
Ganz gleich, ob es Zuneigung, Neugier oder erfüllte Sehnsucht ist, vom ersten Flirt bis zur Erschöpfung halten die Protagonisten die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Das gilt auch für die unerfüllte Liebe, schließlich teilen die meisten Menschen mit manchen Filmhelden die verzwickte Angewohnheit, die Liebe nicht da zu finden, wo sie ist, sondern sie dort zu suchen, wo sie garantiert unerreichbar ist. Um eine Romanze zwischen den Hauptfiguren auch emotional glaubhaft dem Zuschauer vermitteln zu können, orientieren sich viele Filme an den jeweils aktuell gültigen Moralvorstellungen. Das bedeutet: Die Liebe eines Filmhelden zu einer Frau bekommt für den Zuschauer weniger Bedeutung, wenn der Held noch andere Liebschaften hat. So etwas tötet jede Filmromanze. Das amerikanische Mainstream-Kino kennt auch heute noch zahllose Tabu-Themen, die den Kassenerfolg eines Filmes gefährden könnten.
Darüber hinaus gibt es auch Themenbereiche, die beim Publikum eine übergroße Aufmerksamkeit erreichen und möglicherweise die Bedeutung der Geschichte reduzieren. Voyeurismus, Nacktheit in der Öffentlichkeit oder Liebe zu dritt können leicht die eigentliche Handlung und die Emotionen der Hauptfiguren überdecken. Deshalb sollten diese nie zur bloßen Attraktivitätssteigerung in ein Drehbuch hineingeschrieben werden. Nur wenn die Filmhandlung zwingend danach verlangt, besteht eine Chance, sich nicht in vordergründige Attraktionen zu verlieren.
Liebe nach Norm
Die mögliche Vermarktbarkeit von Filmen und die Vermeidung von Zensur haben gewisse Standards in der Darstellung von Sexszenen entstehen lassen: In den meisten Filmen sind die Frauen grundsätzlich schön, vorzugsweise von der Rückseite beleuchtet, sodass sie fast zu Silhouetten werden, machen Liebe, indem sie auf ihren Partnern liegen oder sitzen, und hüllen sich in scheinbar L-förmige Bettlaken, deren Format neben der Fläche für die Matratze auch noch eine Erweiterung für sie selbst besitzt. Nackte Haut wird partiell vermieden. Doch sind diese Szenen deshalb unerotisch? Mitnichten. Es ist die Wahrhaftigkeit, die den meisten erotischen Szenen Atem einhaucht. Und dafür sind Blicke, Gesten und Gefühle weitaus wichtiger als nackte Haut. Nur wenn die Rituale und die Motive der Filmfiguren stimmen und wir den Schauspielern abnehmen, dass sie magnetisch voneinander angezogen werden, stellt sich die berühmte knisternde Erotik ein, selbst wenn die Figuren in Winterkleidung gehüllt sind. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie etwa „Sliver“ (USA 1993) oder „Striptease“ (USA 1996), in denen Stripper im grellsten Spotlight herumspringen, die absolut unerotisch wirken.
Selbstverständlich sind es nicht die Darsteller allein, die zur richtigen Atmosphäre beitragen. Das Licht (welches Licht finden Sie romantisch?), die Kostüme (verhüllte Körper sind oft viel aufregender als nackte), die Maske (wie sehen Ihre Frisur und Ihr Make-up „danach“ aus?), die Kameraführung (kann ungemein zärtlich sein) und auch die Montage (welcher Blick wie lange trägt) sind bedeutende Elemente der Gestaltung erotischer Szenen. Im optimalen Zusammenspiel und dem Vertrauen der Darsteller auf die Regie liegt ein wesentlicher Schlüssel zu der notwendigen Wahrhaftigkeit. Längst sind auch Filmteams sensibilisiert, bestimmte Verhaltensregeln beim Drehen von Sexszenen zu berücksichtigen, ein wichtiger, vertrauensbildender Schritt.
Dazu benötigt man zum Beispiel Zeit. Unter Zeitdruck gelingen Liebesszenen so gut wie nie, das ist so wie im richtigen Leben. In amerikanischen Kinofilmen wird durchaus mehrere Tage an einer einzigen Liebeszene gedreht und eine regelrechte Choreographie entwickelt. Bei schwierigen Szenen ist es sinnvoll, das Team so weit wie möglich vom Set zu verbannen, um den Darstellern eine konzentriertere Arbeitsatmosphäre zu ermöglichen. Darsteller und zwei bis drei Teammitglieder können völlig ausreichen, eine sensible Einstellung zu drehen.
Fantasie
Nacktheit und Erotik sind offensichtlich nicht gleichzusetzen. Die wichtigsten Impulse erzeugt die menschliche Fantasie, und dafür ist Nacktheit nicht zwingend erforderlich. Das richtige Glitzern in den Augen, eine Geste, eine Situation, können weitaus aufregender sein. Beispiele dafür sind etwa die Klavierszene mit Richard Gere und Julia Roberts in „Pretty Woman“ (USA 1990), die Tanzszene zwischen Gwyneth Paltrow und Joseph Fiennes in „Shakespeare in Love“ (USA/GB 1998), Julianne Moore und Ralph Fiennes in „Das Ende einer Affäre“ („The End of the Affair“, GB/USA 1999) oder Michelle Pfeiffer am Klavier in „Die fabelhaften Baker Boys“ („The Fabulous Baker Boys“, USA 1989).
All diese Beispiele haben, bei aller Unterschiedlichkeit, eines gemeinsam: Sie erzeugen im Zuschauer Gefühle und Stimmungen durch Dramaturgie, Motive und präzise Schauspielarbeit. Und die werden, völlig unabhängig von künftigen Änderungen der Moralvorstellungen, stets die Grundlage für unsere Emotionen im Kino bleiben.
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