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Mann schaut in die Kamera

Warum nur kam die Subjektive als Erzählperspektive ganzer Filme in 120 Jahren Filmgeschichte so extrem selten vor?

 

Subjektive Kamera

Eigentlich kriegen die Schauspieler am Set stets die Anweisung, nie in die Kamera zu schauen, selbst bei Schuss/Gegenschuss sollen sie, wenn sie ihr Gegenüber anspielen, nicht direkt in die Optik, sonder eher leicht daneben, etwa auf den Rand der Mattebox schauen. Sonst wird die Illusion zerstört, dass die Filmhandlung geschieht, ohne dass die Technik, insbesondere die Kamera von den handelnden Figuren bemerkt wird. Doch die Subjektive Perspektive stellt all das auf den Kopf!

Die Idee, dem Zuschauer die Perspektive eines der Protagonisten zu gewähren, war in der Frühzeit des Films revolutionär und kam, wenn überhaupt, nur in kurzen Sequenzen oder Einstellungen vor. Etwa wenn in Edwin S. Porters "The great train robbery" (1903) der Gangsterboss den Zuschauer direkt anschaut (Kamerablick) und mit der Pistole auf ihn schießt. Oder wenn in Dsiga Wertows "Der Mann mit der Kamera" (1929) immer wieder die Perspektive des im Film agierenden Kameramanns verwendet wird. Zahlreiche Schlüsselloch-Einstellungen oder Fernglas-Vignetten brachten ebenfalls die Subjektive als vereinzelte Einstellungen in die Filme hinein.

Um es gleich vorweg zu nehmen, hier soll es nicht um einzelne Shots gehen, wie man sie von Dialogszenen kennt, bei denen man die Perspektive einer blickenden und sprechenden Person durch eine subjektive Einstellung repräsentiert. Auch nicht um vorübergehende subjektive Perspektiven, etwa um die Spannung zu steigern, wie in der Eröffnungssequenz von „Halloween" von John Carpenter, die Visualisierung der Höhenangst der Hauptfigur in Hitchcocks "Vertigo", die Mörderperspektive in "Peeping Tom" von Michael Powell oder die Weltsicht von Travis in Scorseses "Taxi Driver". In dem Thriller "The Conversation" von Francis Ford Coppola, wird die objektive und die subjektive Perspektive visuell und akustisch ständig vermischt.

 

Mann und Frau schauen in die Kamera

Dorothea Fuchs und Jörg Heinemann in "Liebe, Leben, Tod"

 

Abendfüllende Innensichten

Hier geht es um ganze Filme oder größere Teile dieser Filme, die als Subjektive erzählt sind. Die Englisch sprechenden Länder nennen das POV (Point of View) oder "First Person". Wird die Subjektive zugleich etwa durch inneren Monolog in der Subjektivität verdichtet, wird auch der Begriff "Mindscreen" verwendet.

Die Subjektive im Film ist so etwas Ähnliches wie die Erzählperspektive eines Erzählers in einem Roman. Nicht ganz, weil die sogenannte innere Stimme fehlt, die man allerdings akustisch problemlos einer Filmaufnahme hinzufügen kann.

Und trotzdem kommt die Subjektive im Film recht selten vor, da sieht es in der Welt der Computerspiele mit all den Ego-Shootern ganz anders aus. Allerding ist in den Spielen der Betrachter auch nicht zur Passivität verdammt, sicherlich ein wichtiges Unterscheidungskriterium.

Die subjektive Kamera repräsentiert im Prinzip eine der Filmfiguren, die Kamera sieht die Welt und die Szenen des Films stellvertretend mit ihren Augen. Der Zuschauer wird auf diese Weise viel stärker Teil der Handlung. Es geht um nicht weniger als die Identifikation des Zuschauers mit den Filmfiguren, die in seltenen Fällen sogar auf eine harte Probe gestellt wird, etwa wenn die Figur, mit der man sich identifiziert, im Film überraschend Dinge tut, die der Zuschauer ablehnt.

Es gibt unterschiedliche Ansätze, diese ungewöhnliche Kameraperspektive zu erklären. Viele Filme nutzen eine technische Erklärung, um die subjektive Kamera zu etablieren. Dabei ist es meistens eine Kamera, deren Aufnahmen dem Zuschauer als Subjektive präsentiert werden. Viele Filme arbeiten dabei mit der Idee, dass Irgendwer eine Videokassette oder einen Speicherchip findet, worauf sich Videoaufnahmen befinden, welche die Geschichte, häufig Mystery oder Horror, erzählen.

 

Frau mit gelbem Mantel schaut

In der üblichen Erzählperspektive der dritten Person, kommt der Kamerablick nicht vor, selbst wenn die Filmfigur unmittelbar vor der Kamera steht. (Nicole Ansari in "Franta")

 

Innenwelten


The Lady in the Lake (USA 1947)


Dieser Film gilt als erster Film innerhalb der Filmgeschichte, bei dem durchgängig in Subjektive erzählt wird. Dem Genre folgend, wird der Film aus der Perspektive des Detektivs Philip Marlowe erzählt, den man während des ganzen Filmes nur dann sehen kann, wenn er vor einem Spiegel oder reflektierenden Oberflächen steht.

 

Schmetterling und Taucherglocke (F 2007, Regie: Julian Schnabel)


In diesem Film wird die Subjektive Perspektive genutzt, um das Locked-in-Syndrom des früheren Chefs der „Elle" Jean-Dominique Bauby, nach seinem Schlaganfall zu visualisieren. Er kann eigentlich nur noch schauen, zu mehr Bewegungen ist sein Körper nicht mehr fähig.

 

Gefundenes Film,-oder Video-Material:


Beispiele hierfür sind:


Cloverfield (USA 2008, Regie: Dan Trachtenberg)

Hier wird die Subjektive Perspektive als Videokamera etabliert, die Jemand in der Hand hält und die genau über die Länge eines DV Videobandes fünf New Yorker bei der Begegnung mit einem Monster begleitet.

 

Ein Kamerateam dreht...


Der letzte Exorzismus (USA 2010, Regie: Daniel Stamm)

Ein evangelikaler Pfarrer beauftragt ein Kamerateam, ihn bei einem letzten Exorzismus zu drehen. Aber wie sich das für einen richtigen Okkultismus-Streifen gehört, wird alles einfach nur immer absurder.

 

[Rec] (Spanien 2007, Regie: Jaume Balagueró, Paco Plaza)

Eine junge Journalistin und ihr Kameramann drehen die Nachtschicht auf einer feuerwehrwache. Als sie mit einem Einsatzteam zu einem Haus fahren, werden sie bald schon innen eingeschlossen und begegnen etwas Horrorvollen...

 

The Blair-Witch Projekt (USA 1999, Regie: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez)

Drei Filmstudenten wollen einen Dokumentarfilm in einem Wald über die Legende einer Hexe drehen und verschwinden spurlos. Das Einzige, was von Ihnen gefunden wird, ist ein Videoband...

 

La mort en direct (Death Watch) (F, D 1979, Regie: Bertrand Tavernier)

Ein Reporter soll heimlich mit einer in seinen Kopf operierten Kamera das Ableben einer tödlich erkrankten Frau für eine TV Sendung filmen. (Hochkarätig besetzt mit Romy Schneider, Harvey Keitel und Harry Dean Stanton)

 

Sonderformen:


Enter the Void (F 2009, Regie: Gaspar Noé)

Ein sehr ungewöhnlicher Ansatz wird in diesem Film zur Subjektiven. Ein Drogenhändler in Tokyo wird von seinem besten Freund verraten und getötet. Der Film setzt hier an mit der Prämisse, dass seine Seele weiterexistiert und beobachten kann. Der Film visualisiert zugleich Drogentrips.

 

Hardcore (Russ/USA 2015, Regie: Ilja Naischuller)

Durchgehende Perspektive der Hauptfigur Henry, die wiederbelebt aufwacht und kein Gedächtnis mehr hat. Kaum ist er wieder bei Bewusstsein, trachtet man danach, ihn zu ermorden, doch Henry kann schießen und nutzt diese Fähigkeit exzessiv. Ein Action Thriller.

 

Blicke

Bei all den Varianten, in denen eine Kamera als Instrument der Subjektiven angenommen wird, spielen die Schauspieler die Kamera nicht direkt an, sondern schauen ein wenig daran vorbei, auf die angenommene Kamerafrau bzw. den Kameramann.

 

Seltene Ausflüge

Bereits der erste abendfüllende Subjektive-Kamera Film (POV-Film), „The Lady in the Lake" kam bei Publikum schlecht an. Vielleicht liegt es an diesem seltsamen Widerspruch, dass die Subjektive Kamera mehr noch als andere Erzählweisen, zu auffordert, sich zu identifizieren, man aber zugleich nicht einmal eine Chance hat, das Gesicht und die Mimik der Person, mit der man sich identifizieren soll, zu sehen. Die in den Film eingepflegten Momente, in denen man den Detektiv im Spiegel sehen kann, haben das Problem nicht wirklich lösen können.

Der Wechsel zwischen Aktion und Reaktion, erzählt durch Augen, die sich anschauen, durch Lippen, die etwas aussprechen, hat sich zumindest bisher in der Filmgeschichte, als die stärkere Erzählweise durchgesetzt. Dort dominiert unumstößlich die dritte Person als Erzählperspektive. Bisher fehlt es an Beweisen, dass sich das in näherer Zukunft im szenischen Film beispielsweise durch VR verändern wird.

 

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