Das Wahlmotto eines Zirkus, "Menschen, Tiere, Sensationen" könnte auch für das Kino gelten, der Zirkusfilm ist eine der größeren Kategorien unter den Themenfilmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der frühe Stummfilm eine große Nähe zu Jahrmärkten und Zirkus hatte, denn das neue Medium galt zu Anfang vor allem als weitere Attraktion für große Shows. Für die rsten öffentlichen Filmvorführungen wurden häufig Zirkuszelte oder Varietés gemietet, einerseits weil es zu Beginn der Kinoära noch keine Kinos gab und andererseits, weil es bereits Zuschauer gab, die regelmäßig in die zum Teil ortsfesten Zirkusgebäude gingen. Und so ist es wenig verwunderlich, dass es bereits früh Filme gab, welche den Zirkus als perfekten Handlungsort für sich entdeckten. Schließlich gehörte der Zirkus damals im ausgehenden 19ten Jahrhundert zu den absoluten Publikumsmagneten.
Gerade weil das Medium Film noch so jung war, holte man sich Attraktionen aus bereits etablierten Unterhaltungsformen. Nicht wenige Stars des neuen Mediums hatten zuvor in Varietes oder im Zirkus gearbeitet, so auch Charly Chaplin oder auch Buster Keaton, der schon mit 3 Jahren Teil der Varieté-Show seiner Eltern, "The Three Keatons" war. Zirkusnummern waren in frühen Stummfilmen sehr beliebt, sie lieferten tolle und häufig eng geschnittene Kostüme und jede Menge Unterhaltungsfaktoren gleich mit. Festgelegte Rollen, wie die des Zirkusdirektors, des Clowns, der Akrobaten, der Jongleure, der Tierdresseure, der Zauberer, der Feuerschlucker, der Bodenakrobaten, der Trapezkünstler, der Zirkusmusiker und der Techniker, erlauben es den Zuschauern, ohne große Einführung und Erklärung zu erfassen, was diese für eine Aufgabe und Bedeutung haben.
Und schon bald waren es nicht nur abgefilmte Zirkusnummern sondern Geschichten über die Artisten und Clowns, Schicksale, Tragödien hinter den Zirkuskulissen. Das Kino hat dem Zirkus ganz neue, andere Perspektiven abgerungen. So konnten die Zuschauer in dem Film "Trapez" (1956, mit Burt Lancaster und Gina Lollobrigida) dank der Kameraposition hoch oben unter der Kuppel der Manege hautnah miterleben, wie einen der Artisten die Kraft verlässt, und wir ahnen, er wird abstürzen.
Bereits ultrafrüh gab es eine animierte Darstellung einer Zirkusnummer in dem Film "Le Clown et ses chiens" (1892) – Regie: Émile Reynaud. Und natürlich hatten auch die Lumiere Brüder in ihren ersten Programmen Zirkusluft verbreitet, so etwa in dem Film "Le Cirque" (Regie: Auguste und Louis Lumière1896) (Jongleure, Artisten und Clowns) Ebenfalls eine Zirkusnummer im Film war "The Boxing Kangaroo" (Regie: Birt Acres 1895–1896)
Spätere Stunts
Der typische Zirkus-Mix aus Spannung, Artistik und Humor fand sich in abgewandelter Form in vielen Stummfilmen wieder. Körperliche Comedy, Stunts und artistische Fähigkeiten aus Zirkus,- und Varieté Shows wurden einfach vor der Kamera adaptiert. Denkt man an die unglaublichen Stunts von Stummfilm-Stars wie Buster Keaton oder Harold Loyd, so könnten viele ihrer artistischen Auftritte direkt aus einer Zirkusmanege stammen. Insbesondere Buster Keaton hat unglaubliche artistische Fähigkeiten in seine Filme mit eingebracht.
Origineller Background
Es ist die virtuelle Verbindung aus Drama, Spannung und optischer Ausstattung, welche die Filmemacher lieben, insbesondere, wenn Sie erzählen können, welche Dinge sich hinter der glitzernden Fassade einer beleuchteten Manege abspielen. Das haben sich auch beliebte Reihen zunutze gemacht, wie etwa "Derrick: Der Zirkus" (1984), "Tatort: Circus Circus" (1987), "Columbo: Mord in Pastell" (1989), "Ein Fall für zwei: Tod im Zirkus" (1993), "Inspector Barnaby: Akrobat und Tod" ("Murder on St. Malley's Day", 2002), "Monk: Mr. Monk Goes to the Circus", "CSI: Las Vegas – The Last Laugh" (2004), "Miss Marple: Der Blaue Express" (2005), "Luther: Episode 4" (2010), "Castle: Poof! You’re Dead" (2011), "The Mentalist: Blood Circus" (2012), "Poirot: The Big Four" (2013)
Liste mit Zirkusfilmen
- "Le Clown et ses chiens" (Regie: Émile Reynaud F. 1892)
- "Le Cirque" (Regie: Auguste und Louis Lumière F. 1896)
- "The Boxing Kangaroo" (Regie: Birt Acres 1895–1896)
- "Barnum and Bailey’s Circus" (1898) Zirkusparade
- "A Day at the Circus" (1901)
- "Circus Parade" (Regie: Edwin S. Porter, USA 1902) – Zirkusparade
- "Les Kiriki Acrobates" (F 1907)
- "Variete" (Regie: Ewald André Dupont, F 1925)
- "Laugh, Clown, Laugh" (Regie: Herbert Brenon, USA 1928)
- "The Circus" (Regie: Charlie Chaplin, USA 1928)
- "Freaks" (Regie: Tod Browning, USA 1932)
- "Dumbo" (Regie: Ben Sharpsteen, USA 1941)
- "The Greatest Show on Earth" (Regie: Cecil B. DeMille, USA 1952)
- "Gycklarnas Afton" (1953, Ingmar Bergman)
- "La Strada – Das Lied der Straße" (Regie: Federico Fellini, It. 1954)
- "Trapez" (Regie: Carol Reed, USA 1956)
- "Circus World" (Regie: Henry Hathaway, USA 1964)
- "Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos" (1967/68, Alexander Kluge)
- "I Clowns" (Regie: Federico Fellini, It. 1970)
- "All the Marbles" (Robert Aldrich, USA 1980)
- "Monsieur Chocolat" (F 2016)
Angeblich sind im Verlauf der Filmgeschichte über 600 abendfüllende Zirkusfilme entstanden, unsere kleine Liste gibt also nur einen kleinen Ausschnitt wieder. Bis in die 50er Jahre des 20ten Jahrhunderts hinein haben Kinofilme den Zirkus, die Artisten und Zirkusvorstellungen in den Mittelpunkt gestellt, dann kommt überraschend ein Bruch,- später wurde der Zirkus mehr und mehr zu einer Metapher, einem Symbol auch für eine alte Welt, in der das Körperliche, die artistische Muskelkraft im Mittelpunkt standen. Viele der späteren Entwicklungen, welche die Menschen interessierten, wie etwa die Computertechnologien oder auch ethisch philoyophische Fragestellungen existieren in der Welt des Zirkus einfach nicht. Es gab im Zirkus auch keine Anpassungen, bestenfalls Zitate und Visualisierungen durch Kostüme und Lightshow.
Als das Kino sich immer weniger für den Zirkus interessierte, hat das Fernsehen sich immer wieder den Zirkus als Handlungsort gewählt. Beispiele sind "The Big Top" (1950er Jahre, Kinder-Serie), "The Greatest Show on Earth" (1963–1964), "P.T. Barnum" (1999, Miniserie), "Circus" (2010, Doku-Serie), "Freakshow" (2013), "Twirlywoos" (2015–2017, Kinder-Serie), "Britain's Greatest Circus Families" (2021, Doku-Serie). Zumindest den Namen hat sich die beliebte britische Komikertruppe für ihre erfolgreiche Fernsehserie von 1969 bis 1974, "Monty Python's Flying Circus" geborgt.
Auch im 21ten Jahrhundert hat der Zirkus nichts von seiner Magie eingebüßt. Filme und Serien feiern weiterhin diese uralte Unterhaltungsform. Vieles hat sich geändert, das Tierwohl wird endlich respektiert, andere, modernere Attraktionen stehen im Mittelpunkt und geben uns das gute Gefühl, dass einige der wunderbarsten Erlebnisse unserer Kindheit oder der unserer Eltern und Großeltern auch heute noch eine wichtige Rolle spielen.