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In analogen Filmzeiten war eine One-Take Szene bereits sehr herausfordernd. Hier die One-Take Streitszene aus "Liebe, Leben, Tod" (Susanna Simon und Matthias Eberth, Kamera: Jörg Widmer, Regie: Mathias Allary)

 

Film an sich ist in der Regel eine behauptete Zeitabfolge, welche nur in der Illusion zusammenhängend ist. Was uns als Zuschauer wie eine Folge weniger Stunden erscheint, wurde in der Regel über viele Wochen mühsam gedreht. „Echtzeit"-Filme wie „Victoria",„Russian Arc" (Regie: Alexandr Sokurov, Russ. 2001), "Timecode" (Regie: Mike Figgis GB) mit vier unabhängigen Einstellungen die gleichzeitig als Splitscreen, "Birdman" (Regie: Alejandro González Iñárritu, 2015) oder "1917" (Regie: Sam Mendes, USA 2019) haben dieses Prinzip durchbrochen und sind weitgehend "Echtzeit" oder noch präziser "One Shot"-Filme oder nahezu in einer Einstellung gedreht.

In Zeiten des analogen Films nahezu unmöglich, heute aber durchaus technisch machbar, stellen Filme, die in einer Einstellung gedreht sind, nach wie vor eine große Herausforderung dar.Beim analogen Film war die Lauflänge einer Rolle Film je nach Aufnahmeformat (65, 35 oder 16 Millimeter) begrenzt auf maximal 20 Minuten. Danach musste spätestens die Filmkassette gewechselt werden. Deshalb war es über Jahrzehnte hinweg bereits etwas Besonderes, wenn ganze Szenen in einer Einstellung gedreht wurden. Man nennt das "Plansequenz" und einige besonders herausragende Plansequenzen haben Filmgeschichte geschrieben. Beispielsweise die Eröffnungssequenz von "Touch of "Evil" von Orson Welles oder diverse Einstellungen in "Children of Men" (Regie: Alfonso Cuarón, 2006).

 

 

Ganze Filme aus analogen Zeiten, die von sich behaupten, in einer Einstellung gedreht zu sein, wie beispielsweise Alfred Hitchcocks "The Rope", bei uns unter dem Titel "Cocktail für eine Leiche" erschienen, hatten deshalb eben doch Schnitte, die nur geschickt versteckt waren. Tatsächlich enthält der Film zehn Schnitte, von denen die meisten unsichtbar sind. Man darf nicht vergessen, dass damals mit riesigen und noch dazu schweren Technicolor Filmkameras gedreht wurde, in denen gleichzeitig drei Schwarzweiß-Negativfilme belichtet wurden. Zu den Tricks mit denen Hitchcock, der Altmeister des Suspense versuchte, Schnitte unsichtbar zu machen, gehörten beispielsweise Zufahrten auf die Kleidung von Schauspielern bis das Bild einfach abgedunkelt war und Rückfahrten aus diesem Dunkel in eine neue Einstellung. Nicht ganz außer Acht lassen darf man den Umstand, dass in Kinos meistens zwei Projektoren eingesetzt wurden, die jeweils abwechselnd einen Akt des Films (ca. 20 Minuten) abspielten.

Hitchcock hat diese Arbeitsweise bei "The Rope"  übrigens später bedauert, weil er damit ein wichtiges Werkzeug zur Rythmisierung und Dramatisierung, nämlich den Filmschnitt, aus der Hand gegeben habe. Diese Äußerung macht deutlich, wo eine der Schwierigkeiten von solchen Projekten liegt,- das Timing kann hinterher nicht optimiert, ein Fehler nicht mehr ausgebessert werden.

 

One Shot versus Echtzeit

Doch vielleicht muss man sich genauer ansehen, was denn genau so einen One Take Film ausmacht. Es gibt da so eine gewisse Trennunschärfe zu Echtzeit-Filmen, denn diese können durchaus mit mehreren Kameras aufgenommen sein, also theoretisch wie ein Fußballspiel oder eine ungeschnittene Live-Show. Der One-Shot Film aber ist mit nur einer Kamera und in einer durchgehenden Einstellung gedreht. Das macht dieses Vorhaben so besonders schwierig.

 

Wirkung

Darüber lässt sich natürlich vortrefflich diskutieren, ob der Aufwand sich lohnt und was es letztlich bewirkt. Sicher hat die in einem Durchgang aufgenommene und durchgespielte Geschichte gewisse Vorteile gegenüber dem in Einstellungen aufgelösten Film. Sie wirkt, weil Schnitte fehlen, authentisch, ja geradezu dokumentarisch. So wie das Hin,- und Herschwenken zwischen zwei Personen im Dialog echter wirkt, als das Prinzip Schuss & Gegenschuss, also der Schnitt, so ist der in einem Take gedrehte Film eine Grantie für die Tatsächlichkeit des Geschehens.

Auch werden viele Schauspieler es begrüßen, ihre Emotionen innerhalb einer Geschichte logisch und folgerichtig entwickeln zu können, statt sie zeitversetzt in kleinen Dosen an unterschiedlichsten Drehtagen erzeugen zu müssen. Es ist viel einfacher, in einem Timing, einer Emotionalität drin zu sein und Durchzuspielen, als das an unterschiedlichsten Drehtagen jeweils wieder neu erzeugen zu müssen. Die Arbeit erinnert viel mehr an ein Ensemble, wie beim Theater und eröffnet den Schauspielern im Idealfall Freiräume. Nicht ganz unwichtig ist auch der Thrill, die Herausforderung, solch ein komplexes Projekt tatsächlich zu schaffen. Adrenalin kann manchmal Höchstleistungen hervorrufen.

Manchmal gibt es auch rein praktische Aspekte, die eine solche Arbeitsweise rechtfertigen. Etwa, wenn das gewünschte Drehmotiv nur für ganz kurze Zeit, also sicher nicht für 20 bis 30 Drehtage zur Verfügung stehen würde, oder wenn es schlichtweg zu teuer wäre, es für einen entsprechenden Zeitraum anzumieten. So stand etwa der Winterpalast der Eremitage in Sankt Petersburg für "Russian Arc" einfach nur für zwei Tage zur Verfügung.

Bei Dani Levis One-Shot Tatort "Die Musik stirbt zuletzt" hätte das Kultur,- und Kongresszentrum Luzern nur für maximal zehn Tage zur Verfügung gestanden. Ob dies die finanzielle Limitierung der Produktion war, wie viele Drehtage man die Motivmiete zahlen konnte oder ob das Theater tatsächlich nur maximal zehn Tage pausieren konnte, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen.

Bei "Utøya: 22. Juli" (Regie: Erik Popp) wird der Amoklauf Anders Breviks nacherzählt, der auf der norwegischen Insel Utøya 69 Teenager tötete. Der Film ist in einer Einstellung gedreht und dauert genau 72 Minuten, so lange wie der Amoklauf des Anders Brevik.

 

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Standfoto aus "1917" (© 2019 Universal Pictures and Storyteller Distribution Co., LLC. All Rights Reserved.)

 

Voraussetzungen

Damit ein abendfüllender Film in einer Einstellung oder durch geschicktes Verstecken von Schnitten in wenigen Einstellungen gedreht werden kann, sollte das Equipment entsprechend angepasst werden. Wenn man nicht nacheinander, sondern in Echtzeit verschiedene Räume und Drehorte zu bespielen hat, wird mehr Equipment benötigt. Die verschiedenen Sets müssen alle ausgeleuchtet und vorbereitet sein, das erfordert deutlich mehr Licht,- und Tonequipment.

Für besondere Situationen hilft es, wenn Requisiten und Ausstattung beweglich, verschiebbar, veränderbar sind. So können Kamerabewegungen ermöglicht werden, die eigentlich in einem realen Gebäude gar nicht denkbar wären. Viele Arbeitsabläufe, welche bereits bei einem konventionellen Dreh nicht so einfach sind, wie etwa die konstant genaue Schärfe, sind bei seinem One-Take Film unglaublich herausfordernd. Ohne Funkschärfe, präzise Vorbereitung und technische Hilfsmittel ist es sonst unmöglich, bei Kameras mit großen Sensoren, durchgehend auf dem Punkt scharf zu bleiben.

So ist es wichtig, dass die Kamera möglichst leicht und kompakt ist. Kein Kameraoperator möchte überflüssige Kilos 90 Minuten durch die Gegend schleppen. So wurde etwa bei "1917" eine ARRI Alexa MINI LF verwendet, die kompakt und verhältnismäßig leicht ist. “The Silent House” (Regie: Gustavo Hernandez, Uruguay 2012) verwendete die Canon EOS 5D MKII, die übrigens eine 12 Minuten Limitierung für Videos besaß, also gar keine 88 Minuten Filmlänge bedienen konnte. Deshalb gibt es in "The Silent House" wie schon dereinst bei Hitchock, versteckte Schnitte. Bei "Victoria" (Regie Sebastian Schipper, D 2015) wurde mit einer ebenfalls kompakten Canon C300 gearbeitet.

Eine Ausnahme, was das kompakte Kameraequipment angeht, stellte "Rusian Arc" dar, zu diesem Zeitpunkt existierte schlicht keine kompakte professionelle Videokamera. So hat der Kameramann Tilman Büttner mit der Sony HDW-F900, die an einer Steadicam befestigt war, gedreht und das Signal mit einem Kabel auf einen Festplattenrecorder, den ein Assistent samt Akkus als Rucksack mittrug, aufgezeichnet. Die Sony HD Kamera konnte maximal 45 Minuten intern aufnehmen. Eine unglaubliche Leistung.

 

 

Bei einigen Filmen, wie z.B. "The Silent House" oder "1917" wurde die Kamera auch von verschiedenen Personen geführt und während sie aufnahm, übergeben und es wurde mit unterschiedlichen Systemen wie Handkamera, Schienen, Kamerakran etc. gearbeitet. Besonders kritisch sind in solchen Fällen natürlich die Übergaben bzw. Wechsel. Dort wo es besonders schwierig wird, versucht man nach wie vor, unsichtbare Schnitte einzusetzen um den Erzählfluss nicht zu unterbrechen.

 

 

Ton

Alle relevanten Schauspieler müssen mit Ansteckmikrofonen (Lavalier) und Funkstrecken oder Minirekordern verkabelt sein. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht mit Richtmikrofonen geangelt wird, aber es ist eine gewisse Rückversicherung, dass man trotzdem verwendbaren O-Ton hat, falls der/die Tonangler-in mal nicht so nah an die Schauspieler heran kommen oder das Richtmikrofon nicht perfekt platziert kriegen. Außerdem kann es sinnvoll sein, auch an verschiedenen Stellen in den Räumen Mikrofone zu verstecken um dort dramaturgisch sinnvolle Geräusche oder auch Stimmen präsenter aufnehmen zu können.

Gerade eine hohe Anzahl von Funkstrecken und die möglichen Probleme wie Defekte während der laufenden Aufnahme etc. stellen auch an die Logistik des Tonteams sehr hohe Anforderungen. Manchmal müssen aufwändige Antennensysteme am ganzen Filmset sowie in Außenbereichen verlegt und versteckt werden um einen sauberen Empfang von allen bespielten Orten zu gewährleisten.

Bei "Russian" Arc wurde der Ton übrigens nicht live aufgezeichnet, das erschien zu riskant, man hat den Ton vollständig nachträglich aufgezeichnet und synchronisiert.

 

Proben

Für einen One-Taker wird in der Regel, ähnlich wie bei einer Theateraufführung, die ja seit Jahrtausenden als One-Taker (mit Pause zwischen den Akten) funktioniert, Wochen oder Monate vorher geprobt. Schließlich muss jedes Wort, jede Geste, müssen alle Positionen perfekt stimmen und durchchoreografiert sein. Dabei proben nicht nur die Schauspieler mit der Regie, sondern das komplette Filmteam und vor allem natürlich der Licht,- Kamera,- und Tonbereich.

Ob ein Film in viele Einstellungen aufgelöst wurde oder in einer einzigen gedreht, sagt natürlich nichts über die Qualität des Films, der Geschichte und der Inszenierung aus. Auf jeden Fall gehören One-Shot Filme trotz aller technischen Errungenschaften noch zu den ganz großen Herausforderungen des Filmemachens. Wenn Ihr das nächste Mal einen anschaut, werdet Ihr ihn vielleicht mit etwas anderen Augen wahrnehmen...

 

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