MC18 NOV17x2

Social Media Icons Shop 55

 

Vier koordinierte Flugzeugentführungen führten zu einer bis dahin nur aus Kinofilmen bekannten Tragödie

Trauer und Fassungslosigkeit über unermessliches Leid erfasste die Welt. Die menschenverachtenden, tragischen Terroranschläge des 11. September 2001 in den USA wurden in den Medien erschütternd beschrieben: Sie haben ausgesehen wie in einem Hollywood-Streifen. Und tatsächlich: Die Bilder der unbeschreiblichen Tragödie erinnerten an Blockbuster wie „Stirb langsam“, „Independence Day“, „Ausnahmezustand“, „Armageddon“ oder „Pearl Harbor“. Viele Kinos in Deutschland hatten letzteren unter dem Schock der Anschläge sogar aus dem Programm genommen. In den USA wurden viele Kinos vorübergehend geschlossen und aktuelle Dreharbeiten (u. a. "Akte X") unterbrochen.

 

Immer wieder lesen wir Berichte über Amokläufe und Morde aus Neugier oder Realitätsverlust, die uns rasch die augenscheinliche Verbindung zu Vorbildern aus Medien – sei es Film, Fernsehen oder Computer-/Videospiele – herstellen lassen. Freilich, die furchtbaren Terroranschläge in den USA hatten eine ganz andere Qualität. Die terroristischen Schläge waren perfide vorbereitet und mit grausamer Präzision durchgeführt worden; sie entsprangen keineswegs einem kurzen medialen Impuls. Die Terroristen wussten genau, was sie taten; Realitätsferne oder Verwirrtheit kann man ihnen, zumindest was die Umsetzung ihres verabscheuungswürdigen Planes angeht, mit ziemlicher Sicherheit nicht attestieren. Doch auch, wenn die Motivation der Täter Ihren Ursprung nicht in den Medien finden wird, so drängt sich doch die Frage auf, inwieweit die fiktiven Bilder aus Kino und Fernsehen, die interaktive Kriegsführung auf Heimcomputer und Spielkonsole, Vorbildcharakter gehabt haben könnten für die furchtbarsten Terroranschläge in der Geschichte der USA.

 

Welche Verantwortung haben Medien?

Menschen in modernen Gesellschaften sind immer weniger fähig, selbstbestimmt erwachsen zu werden. Schuld daran tragen nicht nur die elektronischen Medien, sondern auch die Konsumindustrie. Seien wir doch einmal ehrlich: Die Werbeagenturen, die für stetigen Augen- und Ohrenkitzel sorgen, spielen doch ohne jede Verbindung mit der wirklichen Welt, der Natur, dem Wissen um das Leben, auf dem Klavier unserer Emotionen. Haben unsere ureigenen Wünsche, Werte und Sehnsüchte noch Platz in unserem Leben oder buchstabieren wir nur noch Markennamen?

 

Kino und Fernsehen erzählen nur in seltenen Glücksmomenten von den wirklichen Dingen in der Welt. Von der Vielschichtigkeit der Menschen, von Liebe, Sehnsucht oder Schmerz, vom Zauber in den Dingen, die uns umgeben, von Geburt und Tod. Stattdessen degradieren Spezialeffekte, Animationen und das Visualisieren des real Unmöglichen Filmfiguren immer häufiger zu Objekten, zu Treibgut im Strudel reißerischer Action. Das Fehlen von individuell dargestelltem Leid, die uneindeutige Haltung eines Films zur Gewalt oder gar ihre Verherrlichung erfordern vom Zuschauer so manchen starken moralischen Filter.

 

Es wäre unsinnig, ein ganzes Kinogenre zu verdammen. Und gewiss lassen sich extremistische Gewalttäter nicht durch moralische Aspekte in Filmen von ihrem Handeln abhalten. Doch die Frage, welche Moral, welches Wertegefüge ein solcher Film transportieren sollte, ist dennoch zu stellen. Pures Entertainment darf nicht der alleinige Maßstab sein.

 

Propheten oder Vordenker

Die Propheten und Weissager unserer Tage scheinen mehr und mehr auch die Autoren, die Filmemacher, die Spiele-Designer zu sein. Während aber die literarische Beschreibung fataler Terroranschläge (Beispiel: „Glamorama“ v. Brett Easton Ellis) noch der Kraft der Vorstellung bedurfte, haben die Compositing-Möglichkeiten der Trickstudios den Konsumenten die Mühsal des Vorstellens abgenommen und das Unvorstellbare sichtbar gemacht. Die fortschreitende Technik, die Tiefe der Auflösung und die perfekte Tonebene im Kino sowie auf den Computern haben die erdachten Szenarien längst aus jeglicher Abstraktion gehoben.

 

Noch eine Stufe weiter gehen gar die Action- und Simulationsspiele, die sogar die interaktive Teilnahme an den virtuellen Katastrophen erlauben. First Person Shooter und militärische Strategiespiele haben eine enorme Verbreitung erfahren. Wo in biblischen Zeiten Gott für Sommer und Winter, Gewitter und Katastrophen verantwortlich war, sind es in der Welt der Computerspiele Joystick und Gamepad. Wer möchte, kann alle denkbaren und undenkbaren Verheerungen in der Welt daheim ohne störende Emotionen und Berührung mit realem Leid virtuell austesten. Dass dies schleichend und kaum wahrnehmbar auch die Grundhaltung zu realen Ausnahmesituationen verändert, ist anzunehmen.

 

Die sicheren Bahnen von Religion, Ideologie und reiner Wissenschaft, die sich noch einen Teil des vergangenen Jahrhunderts als Leitlinien auch durch die Filme zogen, haben in der heutigen Zeit an Bedeutung verloren. Damit ist auch Hoffnung geschwunden, dass die Welt sich an absoluten Wahrheiten ausrichten könne. Was bleibt, ist Trauer darüber, dass Kinovisionen traurige Realität geworden sind. Die Trennlinie zwischen Simulation und Katastrophe ist dünner geworden.

 

Banner Regie GK 4000

Banner Regie GK 4000

Weitere neue Artikel

Eines der größten Probleme bei Auftragsfilmen sind Autoren, die ihre Hausaufgaben bei Drehbüchern nicht machen

Manche Vintage Objektive gelten als legendär. Weshalb gehören die Taylor Hobson Cooke Kinetal zweifelsohne dazu?

Wie die verborgenen Spiele der mächtigen High Tech Mogule ihren Weg auf die Kino Leinwände finden...

Was sagt ein Körper im Film wirklich aus? Ein Blick auf die Macht der Körperinszenierung - und darauf, wie sie Emotionen und Identität sichtbar macht.

Auf dem DOKfest 2025 sprachen wir mit dem Editor Timo Langer über den Schnitt des Films "A Sudden Glimpse To Deeper Things"

Wir bauen mit Euch einen schnellen Postproduktions-Rechner Stand 2025 auf. Die wichtigsten Tipps und Schritte...

Independent-Filmer haben es nicht leicht, wenn sie von dem, was sie am liebsten tun, leben möchten

Auf dem DOKfest 2025 sprachen wir mit dem Regisseur und Editor Sebastian Winkels über den Schnitt des Films "Soldaten des Lichts"

Wie Euer altes Handy als wertvolles Hilfsmittel für die nächsten Filmdrehs weiterleben kann... die besten Vorschläge

Welches sind die besten Sommerfilme, die das Kino hervorgebracht hat und was gibt diesen Filmen so eine Leuchtkraft?

Auf dem DOKfest 2025 sprachen wir mit dem Regisseur Arthur Franck über seinen sehr erhellenden und heiteren Film "The Helsinki Effect"

Die Art, wie Kreative in Filmtiteln genannt werden, sagt viel über deren Bedeutung, die Art der Zusammenarbeit und mehr aus.

Nun also hat er die Filmindustrie ins Visier genommen,- Nicht-US Filme sollen mit 100% Strafzöllen bestraft werden...

Es ist kein gutes Signal, dass die öffentlich rechtlichen Sender einen erhöhten „Finanzbedarf“ anmelden, statt dringende Reformen anzugehen

Viele Firmen sind bereits dabei, mit Hilfe von KI zu produzieren, manchmal öffentlich, manchmal im Verborgenen...

Der professionelle Sound Devices 633 Audiorecorder ist gebraucht inzwischen günstig zu haben. Lohnt sich das? Wir nennen seine Stärken und Schwächen...

Der Zoll Wahnsinn wird mit ziemlicher Sicherheit auch unsere Preise für Technik beeinflussen

Vieles im frühen Film war inspiriert durch das Theater und bis heute steht auch das Theater selbst im Mittelpunkt vieler Filme...