Am Anfang war die Verführung
Kasch
Can't touch this !
Wenn man sich die Nosferatu-Darsteller Max Schreck und Klaus Kinski in Erinnerung ruft, so dürfte es einem schwer fallen, sie mit erotischen Sehnsüchten in Verbindung zu bringen. Ganz anders hingegen die namhafte Riege der Dracula-Darsteller von Bela Lugosi über Christopher Lee bis hin zu Gary Oldman:
Dracula war schon immer ein Frauenschwarm. Obwohl der Graf sich zumeist zugeknöpft und wenig nackte Haut zeigt, verfallen ihm die Frauen scharenweise. Seine mächtige, männliche und aggressive Ausstrahlung, sowie seine unbändige Körpersprache erlauben es ihm, jeden Morgen bei Anbruch der Dämmerung blut- und lustgestärkt in sein Versteck zurückzukehren. Eigentlich seltsam, denn der eigentliche Sexualverkehr findet nicht statt. Der Vampir begattet seine Opfer nicht mit dem Geschlecht, sondern mit dem Mund, in dem seine langen Zähne nach Blut lechzen.
Der Biss
Der Biss des Vampirs hat auf sein Opfer meist exstatische Wirkungen, die an einen Orgasmus erinnern lassen. So schreibt Horrorpapst Stephen King über eine Szene in Stokers Roman: „[...] Stoker deutet an, dass Lucy einen Orgasmus hat, der ihr das Gehirn wegpustet.“ Dass King mit dieser Annahme nicht allein dasteht, zeigt Coppola in seinem Film in folgender Sequenz: Lucy wacht in einer Gewitternacht auf, sie räkelt sich lustvoll in ihrem Bett. Plötzlich springen die Fenstertüren auf, und ein Windstoß erfasst das durch Kerzen erhellte Zimmer. Durch wehende Gardinen sucht Lucy, nur mit einem seidenen Nachthemd bekleidet, den Weg ins Freie, ins tosende Unwetter. In einem majestätischen Irrgarten streift sie lustvoll lachend umher, bis sie schließlich auf einer Empore völlig nackt von einem wolfsähnlichen, riesigen Monstrum vergewaltigt wird. Völlig von jeglicher Vernunft verlassen, gibt sich Lucy dem Werwolf hin und bezahlt es mit dem Leben.
Stilisierte Vampire
Filmische Stilmittel, die hier verwendet werden, um den Koitus zu verbildlichen, wären einmal die eher altmodische Wahl von Blitz und Donner, der stetig bedrohlich anschwellende Score von Wojciech Kilar und zu guter letzt massive Blutfontänen, die das Bild und den dargestellten Moment in sich zu ertränken scheinen. Eine atemberaubende Szene, die ihresgleichen sucht! Seine Verkörperung als erotisches, sexuelle Konventionen durchbrechendes Geschöpf fand der Vampir allerdings häufiger in seiner weiblichen Darstellung.
So wurden schon in den britischen Filmen der Hammer-Studios die vampirischen Gefährtinnen des potenten Dracula als laszive, sexhungrige Nymphen verheizt. Bis auf einige gewichtige Ausnahmen ist das leider bis in die heutigen Tage so geblieben, man denke an die Sexhäschen von Deacon Frost in „Blade“, an die drei Vampirluder in dem enttäuschenden „Dracula 2000“ oder auch an den erotischen Höhepunkt von „From Dusk Till Dawn“, Salma Hayeks wilden Schlangentanz. Als lesbische Verführerinnen hingegen konnten auch die weiblichen Vampire im männerdominierten Genre Fuß fassen. Dieses Anfang der 70er Jahre aufkommende Subgenre des Vampirfilms beschränkte sich zu Beginn auf blutige Softpornos und bedarf keiner besonderen Erwähnung; allerdings gibt es auch hier wenige Ausnahmen. Eine davon ist Jesus Franco Maneras „Vampyros Lesbos“ (Deutschland/Spanien 1970), wie der Titel schon erahnen lässt, nicht gerade inhaltlich ein Meilenstein auf dem Friedhof der Vampire, jedoch ein durchaus prickelnder Erotik-Cocktail mit hübschen Darstellerinnen, schrägen Kamerafahrten und einem scharfen, swingenden Soundtrack.
Grufties
Einer der wohl einzigartigsten Vampirfilme überhaupt rückte den weiblichen Vampir Anfang der 80er Jahre in ein völlig neues Licht: Tony Scotts 80er-Schocker „Begierde – The Hunger“ (USA 1983). Mit einer qualitativ hochwertigen Besetzung (Catherine Deneuve, David Bowie und Susan Sarandon) schuf Scott eine bitterböse Abrechnung auf die 80er Jahre und auf die Überheblichkeit der Untoten. Die weibliche Verführerin Deneuve treibt mit ihrem Partner Bowie ihr Unwesen in heruntergekommenen Grufti-Nachtclubs; wie wilde Tiere fallen sie über ahnungslose Twens her. Scott verstärkt diesen Eindruck, indem er zeitgleich den brutalen Todeskampf zwischen zwei Affen zwischenschaltet.
In grellen Farben und mit einem abgefuckten 80er-Soundtrack inszeniert er die erste Stunde des Films, die den Zuschauer zugleich ekelt und fasziniert. Susan Sarandon spielt eine junge Wissenschaftlerin, die an Affen ein Serum testet, welches den Alterungsprozess verzögern soll. Sie ist fasziniert von der eleganten, undurchschaubaren Deneuve, welche die ahnungslose Wissenschaftlerin bezirzt, um sie sich zur neuen Gefährtin zu machen, denn ihr bisheriger Wegbegleiter Bowie scheint auf rapide Weise zu altern und verwest zusehends... Nicht nur inhaltlich sondern auch stilistisch ein außergewöhnlicher Film, denn wenn „Begierde“ in der ersten Hälfte von kalten, apokalyptischen Bildern gepeitscht durch düstere Großstadtlandschaften hetzt, so wird er in der zweiten Hälfte von warmen, pastellfarbenen Bildern und einem Klavierscore weich aufgefangen. Der Sturz ins Verderben bleibt allerdings unausweichlich.
Action-Vampire
Wenn wir schon mal bei den 80er Jahren angelangt sind, wäre noch zu erwähnen, dass dies die Zeit des effekt- und actionreichen Prollvampir-Movies war. Das wohl bekannteste Beispiel ist Joel Schumachers „The Lost Boys“ (USA 1987), ein, trotz seiner schwachen Handlung und nicht immer gut getimeten Effekte enormer Box-Office-Hit weltweit. Zuvor beglückte uns Tom Holland mit seiner wirklich „rabenschwarzen“ Vampirkomödie „Fright Night“ (USA 1985), welche drei Jahre später eine Fortsetzung nach sich zog, die weniger gelungen war. Ebenfalls einen interessanten Ausflug in die Welt des neuzeitlichen Vampirmythos wagte Skandalfilmer Ken Russell („China Blue – Bei Tag und Nacht“, „Die Hure“) 1986 mit seinem Spukschloss-Schocker „Gothic“, in dem die menschliche Psyche außer Kontrolle gerät, jedoch lassen sich auch in den Verhaltensmustern der Protagonisten vampirische Züge erkennen.
Ein absolutes Highlight des 80er Jahre-Proll-Vampir-Horrors ist Kathryn Bigelows düstere Actionromanze „Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis“ (USA 1987), die deutlich die starken Bindungen der Vampire untereinander beleuchtet. Hier spielt der weibliche Vampir eine wichtige Rolle, wie auch in „The Queen of the Damned“ (USA 2002), einem Horrofilm, der lose auf den Romanen der Bestsellerautorin Anne Rice basiert. In der Hauptrolle ist hier die leider viel zu früh bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommene R’n’B-Sirene und Schauspielerin Aaliyah zu sehen, die eigentlich auch für einen Part in der Fortsetzung von „Matrix“ vorgesehen war.
Romantische Vampire
Anne Rice lieferte bereits 1994 die Vorlage für einen modernen Klassiker des romantischen Vampirfilms: „Interview mit einem Vampir“ überzeugte mit einer erlesenen Besetzung (Tom Cruise, Brad Pitt, Antonio Banderas, Stephen Rea, Christian Slater und der grandiosen Kirsten Dunst), die in samtig-weichen Bildern und einem unheimlichen Score von Elliot Goldenthal unter ihrer Existenz als leidend-liebende Untote zugrunde gehen. Ein weiterer Aspekt des brillant melancholischen Opus von Neil Jordan (Oscar für sein Drehbuch zu „The Crying Game“) sind die homoerotischen Untertöne zwischen den männlichen Vampiren. Obwohl die Frauenschwärme Pitt, Cruise und Banderas vielmehr das weibliche als das männliche Publikum verzückten, schienen sie in ihren Filmcharakteren keinerlei Interesse am anderen Geschlecht zu haben.
Auch hier bleiben die Frauen mit Ausnahme von Kirsten Dunst, eine nicht-alternde Vampirgöre, als willige Opfer mit üppiger Oberweite weitgehend unbeachtet. Das Beziehungsgeflecht unter den Vampiren scheint in diesem Film nicht von sexuellen Konventionen, vielmehr von Freundschaft und physischer sowie psychischer Anziehungskraft bestimmt. Die Homosexualität fand schon in der Gestalt des hübschen Sohnes des Graf Dracula-Doubles in Polanskis neckischem „Tanz der Vampire“ ihren Vorreiter, der sich natürlich prompt in einen der Vampirjäger verknallt. Die Verführung im Reich der Vampire kennt also viele Facetten.Verführung