Die Sache mit den Automatiken
Im Profilager sind sie bis heute wenig geliebt, die elektronischen Helferlein, die es selbst Amateuren ohne jegliche Vorkenntnisse erlauben, akzeptable Video- Aufnahmen und Fotos zu machen. Doch was, wenn die Consumer-Geräte von anspruchsvollen Filmemachern verwendet werden, die sich so wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten wie die Schärfe oder die Belichtung nicht so einfach von irgendeiner Elektronik aus der Hand nehmen lassen wollen.
Der Übergang vom Consumer- zum Semi Profigerät ist fließend, die Abschaltbarkeit der wichtigsten Automatikfunktionen und die vernünftige manuelle Einstellbarkeit scheint zu den Kriterien zu gehören, die ins Profi-Lager verweisen.
Autofocus
Die meisten Camcorder haben heute einen akzeptablen bis guten Autofocus, solange es hell ist und im Bild ausreichend Kontrast vorhanden ist. Neueste Mirrorless Kameras von den großen Kameraherstellern bieten inzwischen hervorragende Messmethoden und erlauben es, auch das Verhalten und die Geschwindigkeit für das Nachregulieren oder Schärfeverlagerungen, einzuprogrammieren. Kameras wie Sonys Alpha IV, Canons R 5 und 6 oder Panasonics S5 II X sind inzwischen hervorragend in all diesen Aspekten.
Doch wehe, wenn es dunkler wird und das Bildmotiv kaum Kontraste aufweist. Dann fängt der Autofocus an zu pumpen und zu suchen, kurz man solte auf manuelle Schärfe umschalten. Das ist grundsätzlich auch nichts Verwerfliches, im Gegenteil, bei Profikameras ist es Standard, die Schärfe von Hand einzustellen und gegebenenfalls zu ziehen.
Der Schalter Focus Manuell ist noch leicht umgestellt, doch die Einstellung der Schärfe selbst stellt bei den semi-professionellen Mirrorless Kameras schon ein kleines Problem dar. Der Schärfering ist nämlich nicht mechanisch mit einer Linse im Objektiv gekoppelt, sondern nur mit Sensoren, welche die Linse entsprechend nachführen.
Dieser Umstand bewirkt, dass die Schärfe meist mit einer kleinen Verzögerung umgesetzt wird, will man Schärfe mit sich bewegenden Personen mitziehen, muss man fast ein wenig vorausdenken. Spätestens wenn wir mit der Schärfe kreativ umgehen wollen, etwa durch Schärfeverlagerungen auch die Aufmerksamkeit des Zuschauers lenken, dann hat das manuelle Schärfeziehen gewisse Vorteile.
Weißabgleich
Obschon der automatische Weißabgleich sehr gut arbeitet, liefert der manuelle meistens das genauere Ergebnis. Voraussetzung ist natürlich, dass die Lichtsituation während des Drehs gleich bleibt. Ändert sich das Licht, muss neu abgeglichen werden. Hat man es mit kontinuierlich sich änderndem Licht zu tun, etwa bei einem Dreh bei Sonnen- auf oder Untergang, kann es vorkommen, dass man mit dem automatischen Abgleich den permanenten Wechsel der Farbtemperatur auffangen muss. (Auto White Balance)
Wer den Weißabgleich nutzen möchte, besondere Farbstimmungen zu erzeugen, kann die Automatik abschalten und entsprechend modifizierte (kältere oder wärmere) "Weiss-Karten" zum Abgleich verwenden. Man kann das aber alles viel besser in der Farbkorrektur steuern.
Belichtung
Auch wenn die heutigen Kameras über zahlreiche Messfelder (Mehrzonenmessung) hinweg die Helligkeit messen und daraus gültige Mittelwerte errechnen, so kann dennoch keine Belichtungsautomatik allen Lichtsituationen gerecht werden. Das Problem ist einfach, dass die Kamera nicht weiß, was sie aufnimmt. Und speziell die Frage, welche Belichtung von uns gewünscht wird, was wir als richtig empfinden, kann die Kamera schon gar nicht beantworten. Deshalb müssen Anwender*Innen stets passende Vorgaben machen, damit die intelligenten Belichtungs-Algorithmen die besten ergebnisse liefern.
Die Belichtungsautomatik einer Kamera kann nicht wissen, welches Helligkeitsniveau Bildbestimmend ist. Leider ist der Belichtungsumfang der Videokameras geringer als der unseres Auges (und auch geringer als der von Filmmaterial). Bei vielen Lichtsituationen (z.B. Person vor hellem Hintergrund oder Häuserdächer und Sonnenuntergang) muss deshalb entschieden werden, was richtig belichtet sein soll. Entweder die Person oder der Hintergrund wird richtig belichtet. Man kann das über die Belichtungskorrektur steuern oder per Spot-Messung den Bildteil ausmessen, der einem am Wichtigsten ist.
Die Automatik reagiert zudem recht undifferenziert darauf, wenn sich im Bild die Helligkeit aus welchem Grund auch immer verändert. Selbst wenn wir eine Totale drehen und jemand geht im Vordergrund durchs Bild, fängt die Automatik unter Umständen an, bereits die Belichtung zu verändern, das Bild wird je nach Kleidung der Person heller oder dunkler. Kaum ist sie vorbei, stellt die Belichtungsautomatik sich wieder auf den Hintergrund ein. Aber auch dieses Verhalten können wir in den Menüeinstellungen beeinflussen und für derartige Veränderungen eine gewisse Verzögerung einbauen, sodass kurze Helligkeitswechsel von der Automatik nicht berücksichtigt werden.
Um derartige Belichtungswillkür zu verändern, ist es alternativ sinnvoll, bei gleichbleibenden Lichtverhältnissen die Belichtungsmessung automatisch vorzunehmen und dann auf manuell umzustellen, damit die gefundene Belichtung beibehalten bleibt. Vorsicht,nicht vergessen die Belichtungsautomatik bei Lichtveränderung neu einzustellen. Bei einigen Kameras gibt es auch eine "Hold" Position beim Belichtungsumschalter, der verhindert, dass man versehentlich an das Belichtungsrad oder die +- Taster kommt. Wenn man an die falschen Taster kommt und ungewollt die Blende ändert kann man sich die Aufnahmen ruinieren.
Bei Aufnahmen für professionelle Verwendung sieht es amateurhaft aus, wenn sich in der laufenden Aufnahme die Bildhelligkeit verändert, die Belichtung pumpt. Andererseits kann aber eine Automatik Kameraleute sehr entlasten und liefert in der Mehrzahl der Fälle sehr gute Ergebnisse. Speziell im dokumentarischen Bereich, wo gar keine Zeit vorhanden ist, auszuleuchten und das Licht sorgsam einzurichten, und wenn kein Kameraassi zur Verfügung steht, ist Belichtungsautomatik sinnvoll. Es sind vor allem die besonderen Lichtsituationen, die eine manuelle Belichtung überlegen machen.
Tonaussteuerung
Hier verhält es sich ähnlich wie bei der manuellen Belichtung. Wenn man weiß, was man tut und die Aussteuerung überwacht, ist die manuelle Aussteuerung der automatischen (ALC) oder dem Pegelbegrenzer (Limiter) überlegen. Um vernünftig pegeln zu können ist eine vernünftige Aussteuerungsanzeige absolutes Muss. Einige Camcorder blenden hierzu recht brauchbare Bargraphs im Display ein. Wenn dann auch noch ein vernünftiger Regler oder ein stabiles Stellrad die manuelle Regelung erlauben, macht die manuelle Aussteuerung durchaus Sinn.
Kleinmischpulte, an die man auch gleichzeitig mehrere externe Mikrofone hängen kann, besitzen meistens geeignete Aussteuerungsanzeigen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die optimale Pegelanpassung. Unter Umständen liefert das Mischpult einen höheren Pegel, dann sollte man an der Kamera die Vordämpfung (-10, -20 dB) zuschalten.
Die Aussteuerungsautomatik pumpt unter Umständen, wenn kurze, lautere Geräusche auftreten oder sie zieht leise Grundatmos lauter als nötig. Nach einer bestimmten, voreingestellten Zeit ohne kräftige Tonsignale steigert die Automatik kontinuierlich die Empfindlichkeit. Dabei werden Grundgeräusche, selbst Rauschen oder Brummen immer weiter angehoben, bis dann wieder ein lautes Signal kommt und alles wieder heruntergeregelt wird.
Es kommt auch vor, dass der Beginn eines lauten Tonereignisses (Musik, Sprache, Geräusch) zunächst heruntergedrückt und etwas verzerrt wird, bevor sich die Automatik auf den richtigen Wert eingestellt hat. Die Folge sind kleine Schall-Löcher. Unter ungünstigen Umständen können sogar Regelimpulse der Automatik mit in den Signalweg gelangen. Der Limiter setzt unter Umständen schon sehr früh ein (-5 dB), wodurch die Dynamik der Aufnahme eingeengt wird.
Einige Kameras besitzen wie bereits erwähnt keine Aussteuerungsautomatik sondern lediglich einen Limiter. Auch hier gilt, manuell aussteuern ist netter. Professionelle Tonmeister lehnen die automatische Aussteuerung grundsätzlich ab. Nur in Ausnahmefällen arbeiten sie mit einem hochwertigen Limiter. Wie auch immer, man muss unbedingt vermeiden, dass der Ton übersteuert, d.h. clippt und damit unbrauchbar wird. Das lässt sich dann auch nicht mehr später mit Filtern oder Workstations beheben, der Ton ist dann ruiniert.
Wer sich nicht um die Aussteuerung kümmern kann, solltesich mal externe Recorder mit 32 Bit Floating Quantisierung anschauen, da gibt es praktisch kein Übersteuern mehr. Oder man nimmt das Tonsignal parallel noch ein zweites Mal auf eine andere Tonspur auf und senkt hier den Aufnahmepegel um 6 oder 9 dB. Dann kann man bei Übersteuerungen immer auf eine niedriger gepegelte Aufnahme zurückgreifen.
Fluch oder Segen?
Die Automatiken nehmen uns eine Menge Arbeit ab. Wenn wir sie abschalten müssen wir wissen, was wir tun und diese Arbeit selbst übernehmen. Dann stehen uns größere Gestaltungsmöglichkeiten offen. Einfach nur auf Manuell stellen und die Folgen vergessen, ist kaum professionell, da bleibt die Automatik, vorausgesetzt sie taugt etwas, die bessere Alternative.