Der französische Kamerahersteller hatte viele Dinge richtig gemacht, sich aber von einem Patentstreit nie erholt...
Bevor er seine Firma 1968 in Grenoble gegrĂŒndet hat, arbeitete Jean-Pierre Beauviala an Kameramotoren fĂŒr Eclairs NPR und die ACL. Er erfand u.a. den Quarzmotor fĂŒr Filmkameras, eine enorme Verbesserung gegenĂŒber dem kabelgebundenen Pilotton. Das ungewöhnliche an dieser Geschichte ist, dass Beauviala eigentlich Professor fĂŒr Elektrotechnik an der UniversitĂ€t von Grenoble war. Und eigentlich beabsichtigte er gar nicht, solch eine Firma zu grĂŒnden, sondern eigentlich wollte er nur die schwerwiegenden VerĂ€nderungen des Stadtbildes und der sozialen Struktur von Grenoble in einem Dokumentarfilm festhalten. Bei dieser TĂ€tigkeit war er so enttĂ€uscht von den am Markt befindlichen kompakten analogen 16 mm Handkameras, dass er beschloss daran etwas zu verĂ€ndern.
Die ersten Aatons
Jahre spĂ€ter entwickelte die Firma ihre ersten eigene Kameras, die Aaton LTR die 1973 und die Aaton 7, die 1974 herauskam. Der Plan, vieles, was die Eclair NPR und die ACL konnten, noch viel besser zu machen, manifestierte sich in dieser laufleisen, ergonomisch prĂ€zise auf die Schulter des Menschen angepassten Kamera. Sie sollte wie eine Katze auf der Schulter liegen. Den Namen entlieh Beauvialla dem Ă€gyptischen Gott Aton und um in der Liste der Kamerahersteller nicht hinter Arri gelistet zu werden, fĂŒgte er dem A noch ein weiteres A hinzu. MitbegrĂŒnder der Firma und WeggefĂ€hrte war ĂŒbrigens Francois Weulersse.
Was die Kamera so besonders machte,- Beauvialla hatte Kontakt mit dem schwedischen Kameramann Rune Ericson (Ronja RĂ€ubertochter), der das Super 16 Format propagierte und so wurde Super 16 ein fester Bestandteil der Aaton. Man konnte sie mit wenig Aufwand von Super auf Normal 16 umbauen. (DafĂŒr mussten der Objektivmount und die Mattscheibe verschoben werden.) Das konnte zu diesem Zeitpunkt keine andere 16 mm Kamera. Die ĂŒbrigen Kameras, etwa von Arri mussten damals noch mĂŒhsam und fĂŒr viel Geld umgebaut werden.
Die Aaton 7 hatte noch eine starre, nicht verstellbare Spiegelumlaufblende mit 175 Grad Hellsektor. Sie besaà eine zu beiden Seiten der Kamera schwenkbare Sucherlupe, bei welcher man das Bild bzw. den inneren Spiegel je nach Position justieren musste um ein aufrecht stehendes Bild zu erhalten. Um diesen Mangel und die spÀtere Behebung sollte sich Jahrzehnte spÀter der gravierende Rechtsstreit mit Arri ranken.
Die Kassetten waren platzsparend Ko-Axial, also das frische (Rohfilm) und das belichtete Filmmaterial war praktisch nebeneinander in zwei getrennten Kammern der 120 Meter Kassette angeordnet und die Bildandruckplatte war Bestandteil der Kassette.
Mit einem variablen Motor konnte die Kamera mit 6, 12, 16, 18, 24, 25, 28 und 32 Bildern in der Sekunde betrieben werden.
Die XTR
Die nĂ€chste Kamerageneration, die Aaton XTR wurde zu einem richtigen Verkaufsschlager. Die Kamera wiegt mit Kassette und 12 Volt Akku zusammen nur 6 Kilogramm,- die deutsche Konkurrenz brachte es in der Kombination auf 10 Kilo. Sie arbeitete ungeheuer effizient, ein einzelner 12 Volt Akku konnte bis zu ĂŒber 20 Kassetten durchziehen, ganze Drehtage mit nur einem Akku waren möglich. Die Kassetten wurden mechanisch ĂŒber kreisförmig angeordnete Magnete mit dem Kameramotor verkoppelt, was der Kamera besondere Laufruhe verlieh. Die Sucherlupe zeigte in jeder Position ein aufrechtes, helles Bild und die Kamera war wie fĂŒr die Schulter der Kameraleute gebaut. Ein stabiler, ergonomisch perfekter Holzgriff an der Seite lag perfekt in der Hand.
Ich besaĂ selber eine XTR und wir drehten (Kamera: Jörg Widmer) u.a. "Liebe, Leben, Tod" mit der XTR in Super 16mm. Sie war bereits fĂŒr die Video Ausspiegelung vorbereitet, eine wichtige Voraussetzung fĂŒr die Arbeit mit der Steadicam. Und sie besaĂ im Gegensatz zum BinĂ€rcode der Arri einen Klarschrift Timecode, den sehr zuverlĂ€ssigen AatonCode also eine Zeitinformation, die man ohne LesegerĂ€t mit bloĂem Auge ablesen konnte. Man kann also recht objektiv sagen, dass die XTR damals ihrer Zeit weit voraus und die beste Super 16 Kamera der Welt war.
Wer sich die Features der Kamera genauer anschauen möchte, findet unter folgendem Link ein rares Manual zur Aaton XTR: https://tfma.temple.edu/sites/tfma/files/site-pdfs/AatonXTRProd1.pdf
Mehr als nur Mechanik
Aaton baute nicht nur sehr schöne Kameras,- das Design war stets herausragend,- die Firma baute auch sehr innovative Kameras. Insbesondere Dokumentarfilmkameraleute liebten die Aaton-Kameras. Beauviala arbeitete mehrere Jahre mit Jean Luc Godard zusammen an der Entwicklung von einer spezialisierten FilmausrĂŒstung. Godard wohnte nicht weit von Grenoble entfernt, in der Schweiz in Rolle, einer Gemeinde im Bezirk Nyon des Kantons Waadt.
Die Idee war, eine so simple 35mm Kamera zu entwickeln, das man sie so einfach wie eine Amateurkamera bedienen konnte. Allerdings konnten sich der Erfinder und der Regisseur auf keine einheitliche Linie einigen und so entstand die von Godard ertrÀumte simple Kamera nie, statt dessen aber eine anspruchsvolle 35mm Aaton.
Die Sache mit der Lupe
Es war vor allem die Sucherlupe, welche Beauvialla aus der eigentlich weltweit sehr erfolgreichen Spur mit seinen Aatons herausbeförderte. Das System, welches dazu fĂŒhrte, dass das Sucherbild im schwenkbaren Okular der Aaton stets automatisch aufrecht blieb, Ă€hnelte jenem in den Arri 16 SR Kameras. Vieles, was man sich sehnslichst vom legendĂ€ren Kamera,- und Scheinwerferhersteller Arri wĂŒnschte (ergonomisch geformte Bodenplatte der Kamera, schnelles Wechseln von Normal auf Super 16 usw.), aber so viele Jahre lang nicht bekam,- die Aatons hatten es. Lediglich bei der Sucherlupe schien Arri damals in Sachen 16mm Kameras die Nase vorn gehabt zu haben. Arri, welche die zunehmende Konkurrenz durch Aaton gar nicht gerne sah, verklagte Beauvialla und Aaton verlor den Patentstreit. 1985 musste Beauvialla Insolvenz anmelden, dank einer Auffanggesellschaft konnte er die Firma jedoch weiterfĂŒhren.
VerspÀtete Innovation
Die in spÀteren Jahren entwickelten technischen Meisterleistungen, die A-Minima, eine sehr handliche, kleine Super-16-Filmkamera und die Pénélope, eine ebenfalls sehr handliche und leise Super-35-Filmkamera, kamen leider zu spÀt, um sich gegen die zunehmende digitale Cinematographie durchsetzen zu können.
Der Versuch, mit der PĂ©nĂ©lope Delta, einer digitalen Kamera mit S35âCCD-Sensor (von Dalsa) 2012 zu reĂŒssieren, wurde wegen QualitĂ€tsmĂ€ngeln des Sensors fĂŒr die Firma zum endgĂŒltigen Desaster. WĂ€ren die Sensoren nicht fehlerhaft gewesen, wĂ€re die PĂ©nĂ©lope Delta 2012 fĂ€hig gewesen in 8K RAW mit einer innovativen Sensor Shift Technik einen echten Film Look zu erzeugen. Beauvialla musste im April 2013 zum zweiten Mal Insolvenz anmelden.
Nur im Ton-Bereich konnte Aaton sich mit den Cantar-Audiorekordern, welche Beauviala 2002 einfĂŒhrte, in das digitale Zeitalter hinĂŒberretten, die Rekorder sind bis heute vereinzelt an Filmsets anzutreffen. Es gibt nicht wenige Toningenieure, welche die Cantar Rekorder (X1, X2, X3) fĂŒr die besten AufnahmegerĂ€te fĂŒr Location-Sound erachten. Am 15. Februar 2024 hat die Firma Insolvenz angemeldet.
In den letzten Monaten seines Lebens arbeitete der geniale Entwickler an einer neuen ultra-leichten Kamera, der Libellule. Im April 2019 ist Jean-Pierre Beauviala im Alter von 81 Jahren in seiner Pariser Wohnung gestorben. Sein WeggefÀhrte, Francois Weulersse, der bis 1996 Vertriebschef von Aaton war, verstarb im Juli 2023 in in Saint-Martin-d'Hres.