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Kinosaal Rot

 

24/7. Sunset Boulevard

 

Regie: Eckhart Schmidt, Deutschland 2001

Das Münchner Filmfest kann verdammt anstrengend sein. 24/7. Sunset Boulevard ist ein vielversprechender Titel, aber im dunklen Kinosaal wartet für hollywoodverwöhnte Konsum-Kinogänger das (künstlerische) Grauen... Nun – Filme auf dem Filmfest sind eben keine normalen Vorführungen – und so warnte der Regisseur, ein sympathisch wirkender Mann um die 50, das Publikum vor der Vorstellung sinngemäß: „Dies ist die erste Aufführung des Films. Es handelt sich um einen Experimentalfilm mit nur einer Schauspielerin; der eigentliche Film soll im Kopf entstehen. Es kann am Anfang etwas schwierig sein, aber wenn Sie dem Film eine Chance geben, können Sie reinkommen." – sehr überzeugend.

Der Saal verdunkelt sich. Ein Sonnenuntergang und nur als Schatten zu erkennen ein Kopf. Eine weibliche Stimme erzählt, wie vergänglich das Schöne dieser Welt ist. Die Stimme gehört der einzigen Schauspielerin und diese erzählt vor verschiedenen Gebäuden des Sunset Boulevards 90 Minuten lang Ihre Liebesgeschichte zu Raoul. Alle Szenen spielen im Freien – wie auf den Urlaubsfotos meiner Mutter: Im Vordergrund immer die Hauptperson, im Hintergrund das Gewusel der amerikanischen Straßen. Zwischen den extrem langen Einstellungen taucht in verwischten, pixeligen Bildern einer DV-Handkamera immer wieder ein Schwenk des Sunset Boulevards auf. Ihre Geschichte, welche die Hauptperson sehr überzeugend vor der Kamera erzählt, ist – Zitat des Autors und Regisseurs – „eine meiner Liebesgeschichten" und erinnert an die 08/15-Liebesromane vom Bahnhofskiosk. Obwohl Raoul – der Lover – ständig fremd geht, zweimal Ihre Wohnung ausräumt und danach für Wochen mit ihrem Auto verschwindet, welches sie nie mehr wieder sieht, schwul ist, mit fiesen Typen einer Gang herumhängt und am Schluss wegen versuchter Erpressung eines Hollywood-Stars im Gefängnis landet, denkt die Protagonistin immer nur daran, Raoul „bedingungslos zu lieben" und ihm alles zu vergeben. Wenn sie ausnahmsweise nicht von Ihrer bedinungslosen Liebe zu ihm spricht, schwärmt Sie davon, mit ihm Sex zu haben.

Hört sich langweilig an? Diesen Eindruck hatte ich auch – allerdings erst nach gut einer Stunde. Die Schauspielerin spielt diesen Film, immerhin satte 90 Minuten Alleingang, absolut überzeugend und ich hätte nach dem Film nicht sagen können, ob es sich nicht doch um ihre wahre Lebensgeschichte handelt.

Schön, dass es keine normale Kinoaufführung war, denn dann hätte ich den Saal mit einem ziemlich negativen Eindruck verlassen. Als es im Saal wieder hell wurde, erschien zwischen den Reihen der Regisseur (und Autor) und fragte, wie sein Film denn nun angekommen sei. Seine größte Angst, der Zuschauer könne sich nicht in den Film hineinversetzen, erwies sich als unbegründet. Furchtbar wichtige Kinobesucher mit einem künstlerischen Verständnis, auf welches ich keinen Anspruch erhebe, lobten den Film sofort in den Himmel – so voller Ausdruck und künstlerischem Anspruch, eine Gratwanderung, trief...

Ich denke nicht, dass diesem Film ein großer Erfolg an den Kinokassen zuteil werden wird. Aber es ist sehr versöhnlich, wenn der Regisseur, in dem man beinahe einen voyeuristischen Verrückten vermutet, selbst sagt, wie unrealistisch die Handlung ist und dass man diesen Film symbolisch zu verstehen habe – es geht eben um die Liebe. Laut seiner Aussage war es sogar für die Darstellerin verdammt schwer, sich vorzustellen, dass sie Raoul noch immer liebt, obwohl er ein untreuer Herumtreiber ist. „Wir mussten diese Szene zehn mal drehen, und sogar beim letzten Mal hat Sie mir was reingewürgt – das haben wir dann rausgeschnitten."

 

gesehen von Dominik Leiner

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