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Wutzuschauer

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Es kann einem ganz schön schwindelig werden, wenn man liest, was so alles an Bewertungen über TV Filme, Reihen und Serien von Fernsehzuschauer*Innen so geschrieben wird. Wären es nur schlichte Meinungsäußerungen in Foren, könnte man das als Unzufriedenheit, dass der eigene Geschmack mancher Menschen nicht getroffen wird, abtun. Aber leider ist es etwas komplexer...

 

Meinungsbrei

Wem die Kriterien fehlen, dem fehlen auch die Worte. Seit jeder im Internet seine Meinung zu wirklich allem, dem Rest der Welt mitteilen kann, ist es schwierig geworden, noch irgendwo fundierte, kluge Kritiken über Fernsehen zu finden. Dabei kommen der professionellen Kritik so wichtige Aufgaben zu. Früher einmal waren die Kritiken wichtige Hinweise, ob es sich lohnt, Zeit und bei Kino auch Geld in ein bestimmtes Programmangebot zu investieren. Heute erreichen die meisten Online-Meinungsbekundungen nicht mal das Niveau gekaufter Produktbewertungen auf den einschlägigen Verkaufsportalen.

 

Starke Vorbilder

Die Französischen Filmkritiker haben ihre Kritiken viele Jahrzehnte lang so formuliert, dass sie sich stets Gedanken darüber gemacht haben, was man an dem jeweiligen Film auf welche Weise besser hätte machen können. Das setzte filmsprachliches Wissen voraus und führte beispielsweise bei der Nouvelle Vague dazu, dass viele Filmkritiker zu Filmemachern wurden. Davon sind die meisten selbsternannten TV Kritiker, die Fernsehfilme besprechen, so weit entfernt wie die Star-Wars Klingonen vom Lieblingscafé um die Ecke. Generell liegt hier in der Jobausschreibung ein grundlegender Irrtum vor,- nein, die Fähigkeit vor einem Flatscreen zu sitzen und einen  Film anzuschauen, ist eben noch keine Befähigung, seriöse Fernsehkritiken zu schreiben.

Eine qualitätvolle Kritik etwa in der Zeit, der FAZ, der Süddeutschen Zeitung etc. zu lesen, macht vor allem deshalb Freude, weil sie den Kern, die Haltung, die Tonalität und vielleicht auch Raffinesse des besprochenen Films erkennt, Hintergründe mit einfließen lässt, Vergleiche zieht und all das den Lesern vermittelt. Nicht so die Mehrzahl der Online-Fernsehkritiken.

 

Grundsätzlich ätzend

Da wird einem Kriminalfilm, der im Winter spielt, vorgeworfen, dass die Bilder so farblos sind. Der eigene Wohnort sei doch viel farbenfroher, ja bunter. Mal abgesehen davon, dass die Jahreszeit nicht gerade für bunte Blütenpracht bekannt ist, bemühen sich Kameraleute, Beleuchter und Grader, einem Krimi einen besonderen Look zu geben, der nun mal etwas düsterer daher kommt. Bei Skandinavien-Krimis finden Kritiker das gemeinhin genial, trifft es aber die eigene Stadt, dann wird der Tourismusverband im Kritikerherz hellwach und rebelliert polternd. "So hässlich, wie in diesem Tatort sieht unser schönes Saarbrücken aber nun wirklich nicht aus..."

Oder man bemängelt sichtlich enttäuscht, dass die Hauptfiguren einschlägiger Sonntagabend-Liebesfilme doch tatsächlich Probleme aus ihrem Arbeitsleben in das doch für reine Liebesprobleme reservierte Format hineintragen. So etwas hat in diesen Filmen einfach nichts zu suchen, so das klare fachkundige Liebesfilm-Urteil. Gerne wird auch kritisiert, dass zuviel oder zu wenig Musik verwendet wurde oder dass die Schauspieler*Innen (in der zärtlich geflüsterten Liebesszene) nicht laut genug gesprochen hätten. Irgendwie wird man den Verdacht nicht los, als wenn manche Autor*Innen neben Fernsehkritiken auch Kochrezepte, Stiling-Tipps und Dekorationsvorschläge schreiben.

 

Schwingende Keulen

Nein, nicht jede Sendung auf den linearen TV Sendern ist gelungen. Da könnte vieles verbessert werden, es gibt jede Menge Luft nach oben. Doch es entstehen immer wieder auch überraschend gute Filme, die einen die missratenen schnell vergessen lassen. Fast alles, was seit Jahrzehnten den jungen deutschsprachigen Film ausmacht, wurde irgendwie von Fernsehsendern mitfinanziert. Viele mutige Projekte, die nicht mit jedem Wohnzimmersessel kompatibel, dafür aber im Kino oder auf Filmfestivals erfolgreich waren, verdanken ihre Existenz dem Fernsehen. Viele Schwächen von Fernsehfilmen, Serien und Reihen entstehen erst, weil Redakteur*Innen aus Angst vor negativen Zuschauerkritiken in Drehbücher eingreifen und diese auf einen angenommenen Zuschauergeschmack hin verschlimmbessern.

Dass Redakteur*Innen in beständiger Angst leben, dass die von ihnen verantworteten Filme, vor allem die Auftragsproduktionen, nicht die gewünschen Einschaltquoten liefern und mit schlechten Zuschauerpostings bedacht werden, macht das Programm nicht besser. Je ängstlicher die Redakteure agieren, desdo charakterloser, unentschlosssener und lauwärmer werden die Produkte. Wenn man es allen recht machen möchte, hat man keine Haltung mehr, auch nicht erzählerisch.

Die Angst vor der Zuschauermeinung ist durchaus verständlich, wenn man in einschlägigen Foren mal querliest, was da so über Fernsehen abgelästert wird, kann einem Angst und Bange werden. Früher mussten die Fernsehwütenden zumindest noch einen Stift in die Hand nehmen, formulieren, einen Umschlag raussuchen und mit einer Briefmarke frankieren. Da gab es also verschiedene Schritte, bei deren Bewältigung man noch einmal darüber nachdenken konnte, wie wichtig die eigene Unzufriedenheit mit einem Programmangebot eigentlich war. Heute postet man seinen Zuschauerfrust innerhalb von Minuten einfach an die Gleichgesinnten und dann ist er unauslöschlich in der Welt.

Wer sich etwa auf Portalen wie Trust Pilot mal unter den Stichworten ZDF oder ARD umschaut, dem gefriert das Blut. Da wird etwa beklagt, dass im ZDF nur noch "männerabwertende" Filme gezeigt werden, weil da "zu viele weibliche oder farbige Schauspieler" zu sehen seien. Oder dass das ZDF "Linksversifftes Fernsehen" sei.

Oder man kritisiert mal grundsätzlich neue Folgen einer Reihe, die man, "schon mehrere Staffeln lang gar nicht mehr anschaut, weil sie eben so schlecht sind". Welch begnadeter Kritiker, der das Objekt seiner Kritik gar nicht mehr anschauen muss, um mehr oder (doch eher) weniger feinsinnige Verrisse zu schreiben... Wutzuschauer eben.

 

Subtile Hammerschläge

Doch auch im Print wird in einigen etwas schlichter ausgerichteten Publikationen mit größter Begeisterung gegen das Fernsehen ausgeteilt. Sehr gerne wird in Fernsehkritiken auch die jeweilige Verlegerhaltung öffentlich rechtlichen Sendern gegenüber mehr als durchsichtig verpackt und darauf hingewiesen, dass die Gebührenzahlungen der geneigten Leser doch keinesfalls in einem solchen Machwerk hätten landen dürfen. Derartiges steht vorzugsweise in Blättern, die jeden Musikantenstadl ausnahmslos als Geniestreich feiern.

 

Verstimmte Stimmen

Wenn man denkt, das ist nicht mehr zu toppen, dann braucht man nur ein wenig weiterzulesen. Da werden dann so bedeutsame wie absolut zutreffende Dinge bemängelt wie dass Hauptfiguren ohne Helm und Licht Fahrrad gefahren sind. Oder dass in einem Krimi mehrfach geraucht wurde. Mehrere grausame Morde in einer Folge gehen völlig in Ordnung, aber bei einer Zigarette hört der Spaß auf!

Es ist verständlich, dass Fernsehen, welches durch "Zwanggebühren" finanziert wird, stark polarisiert. Wer möchte schon, dass das schwer verdiente Geld per Gebühreneinzug Sendungen finanziert, die man gar nicht mag? Aber dafür finanzieren Andere auch jene Sendungen mit, die man selber anschauen möchte und die diese selbst überhaupt nicht mögen. Ich finanziere auch mit meinen Steuergeldern Hallenbäder, obwohl ich da nie einen Fuß hineinsetze, dafür haben andere, vor allem Kinder, viel Freude daran.

Verständlich, dass lineares Fernsehen welches bestimmte Inhalte zu bestimmten Sendezeiten vorschreibt, nicht mit jedem Zuschauer kompatibel sein kann. Verständlich auch, dass man, wenn man nur sehr begrenzte Formate einschaltet, die große kulturelle und inhaltliche Vielfalt, die nicht ein einziger der privaten Sender auch nur ansatzweise erreicht, übersieht. Aber dass man sich darüber öffentlich auf solch niedrigem Niveau darüber auslässt, lässt schon auf beträchtliche Schlafstörungen schließen, die man mit wütenden Posts zu füllen versucht.

Traurigerweise lassen sich viele Redaktionen von derartigen Posts einschüchtern. Vieles, was einem bei den zahllosen Auftragsproduktionen des Fernsehens seltsam abstrus vorkommt, etwa dass die einheimischen Hauptakteure in den vielen in Italien, der Türkei, Portugal, Frankreich oder sonstwo in der Welt angesiedelten Krimis akzentfrei Deutsch sprechen, ist vermutlich auf  Zuschauerkritiken zurückzuführen. Natürlich versucht man diese Absurdität ein wenig zu brechen, indem man die von Deutschen Schauspieler*Innen gespielten einheimischen Figuren, ab und an Fremdsprachiges wie "Commissario" oder "Avvocato" sagen lässt. Doch seltsam bleibt das dennoch.

Liebe Redakteur*Innen, liebe Produzent*Innen, liebe Drehbuchautor*Innen und Regisseur*Innen,- habt mehr Mut, mehr Haltung mehr Unabhängigkeit von dauermiesgelaunten Zuschauerposts. Dann werden Eure Filme besser, kreativer und glaubwürdiger.

 

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