Keine andere Frage führt in Familien häufiger zu Konflikten, als die nach dem Medienkonsum. „Mach das Ding endlich aus!" ist eine der Standardaufforderungen in Familien. Früher hat man vielleicht vom Fernsehen gesprochen, doch durch die verschiedenen Anzeigegeräte von Medien, kann man die Diskussion nicht mehr auf ein einziges Gerät beschränken.
Früher nannte Mancher die Fernbedienung des Fernsehers auch „Macht", heute geht um die Frage, wie viel Medienkonsum am Tag in Ordnung geht, oder wann es schädlich wird. Nicht wenige Spezialist*Innen für Wahrnehmungspsychologie oder auch Neurowissenschaft sind inzwischen davon überzeugt, Computer aller Art, allen voran Tablets und Smartphones haben auf Kinder und Jugendliche eine ähnliche Wirkung wie Drogen.
Vieles von dem, wie das Internet funktioniert, aktiviert ganz direkt das Belohnungssystem der Menschen, also die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin. Dieser ist verantwortlich für emotionale, aber auch motorische und geistige Befindlichkeiten und Reaktionen. Längst ist wissenschaftlich belegt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Mediennutzung, auch Screentime genannt, und Phänomenen wie Unglücklichsein, Depression, ja sogar Hyperaktivität.
Wer ständig gewohnt ist, seine Dopaminproduktion durch Bildschirmnutzung anzukurbeln, verliert das Interesse an Dingen, bei denen wenig bis kein Dopamin ausgeschüttet wird, die aber vielleicht menschlich und für die Persönlichkeitsbildung extrem wichtig sind. Dazu gehören Spaziergänge, Quality Time im Freundeskreis, Hobbies, Kreativität. Wenn Kinder und Jugendliche das Interesse an diesen für die Persönlichkeitsbildung unersetzlichen Tätigkeiten verlieren, werden bestimmte Regionen im Gehirn weniger aufgebaut. Sie sind gelangweilt und enttäuscht, wenn die gewohnte Dopaminbelohnung durch Bildschirmnutzung fehlt. Psychologen, die sich mit diesen Forschungsgebieten befassen, schlagen inzwischen Alarm.
Selber Schuld?
Auch wenn Eltern genau ahnen oder wissen, wann es zu viel Bildschirmkonsum ist, auch wenn sie wissen, das Spielen, Basteln, Rumtoben, all die Highlights von Kindheit tausendmal besser wären, lassen sie es immer wieder zu, dass ihre Kinder deutlich zu lange vor irgendwelchen Geräten sitzen.
Dafür ist es einfach zu verlockend, die lieben Kleinen mal für eine überschaubare Zeit „Los" zu sein, sie beschäftigt zu wissen, statt sich zu sorgen, dass sie wieder das halbe Zimmer auseinander nehmen. Man kann in der Zwischenzeit Haushaltsarbeit erledigen, kann Zeitung lesen, kann telefonieren. Ob unterwegs, auf Reisen oder auch nur im Alltag, die Versuchung, selbst Kleinkinder mit zappelnden Bildschirmen ruhigzustellen, ist groß.
Erwachsene sind zudem Vorbild für ihre Kinder. Wenn sie selbst ständig mit Handy, Tablet, Notebook und Fernseher beschäftigt sind, hat dies natürlich prägenden Einfluss auch auf ihre Kinder. Nur wer sich selbst gegenüber kritisch im Umgang mit Medienkonsum ist, wird diese Haltung auch seinen Kindern vermitteln können.
Was hilft?
Kinder brauchen Grenzen, bei dieser Frage sollte man Zeitkontingente für jede Art von Medien festlegen, also die Beschäftigung mit Handy, Internet, Fernsehen etc. Außerdem muss, auch wenn es den Kindern gar nicht gefällt, eine qualitative Reglementierung her, dass nicht jeder Mist angeschaut wird. Es muss unbedingt medienfreie Zeiten geben, etwa beim gemeinsamen Essen oder während gemeinsamer Gespräche. Ein vollständiges Medienverbot wäre nicht mehr zeitgemäß, außerdem weiß man, dass viele Kinder, die so aufgezogen wurden später als Erwachsene unendlich viel ferngesehen haben.
Altersgemäße Inhalte
Gewaltszenen, ganz gleich ob als Film oder Spiel, sollte man grundsätzlich meiden. Viele Familien haben gute Erfahrungen damit gemacht, gemeinsam das Programm für die Woche auszusuchen. In Zeiten von „Second Screens" ist das natürlich schwieriger.
Zeiten / Screentime
Kleinkinder bis zu zwei Jahren sind an Bildschirmen nur mäßig interessiert. Bei kleinen Kindern zwischen 3 und 5 sollte der Medienkonsum, wenn er denn überhaupt stattfinden muss, auf etwa 20 bis 30 Minuten am Tag begrenzt werden und auch wenn man die freie Zeit gerne anders nutzen würde, es schadet nichts, mit dem Kind gemeinsam zu schauen und zu beobachten, wie es auf das Gesehene reagiert. Sie können noch nicht gut zwischen Gesehenem und der Realität unterscheiden. Es hilft, mit den Kindern über das Gesehene zu sprechen, um herauszufinden, ob ihnen vielleicht irgendetwas Angst gemacht hat.
Zwischen 6 und 9 Jahren gelingt die Trennung von Medieninhalten und Wirklichkeit etwas besser, dennoch braucht es eine längere medienfreie Phase (ca. 1 Std.) um sich davon wieder lösen zu können. Das gilt für Hausaufgaben wie für Schlafengehen. 60 Minuten Medienkonsum empfehlen Pädagogen als Maximum pro Tag. Doch selbst in diesem Alter gilt: Schnelle Bildersequenzen machen die Kinder nervös.
Zwischen 10 und 13 Jahren sind die Kinder in der Lage ganz klar zwischen dem eigenen Leben und den Medien zu unterscheiden. Hier sind maximal 90 Minuten Medienkonsum durchaus in Ordnung.
Grundsätzlich ist gar nichts Schlimmes dabei, wenn man die Zeiten bei harmlosen, kindgerechten Filmen auch mal als Ausnahme von der Regel zu überschreiten. Man kann dies auch für „Verhandlungen" nutzen. – Heute 15 Minuten länger, dafür morgen entsprechend weniger.
Manche Familien haben gute Erfahrungen mit medienfreien Tagen gemacht. Das muss dann aber auch für die Erwachsenen gelten. Vielleicht kommt an diesen Tagen sogar etwas längst vergessen geglaubtes, die Langeweile, wieder auf, ein erster Schritt, abschalten zu können. Fantasie wird eben viel stärker durch eigenes Handeln oder durch Bücher gefördert, wo man sich das Gelesene selbst in der Vorstellung visualisieren muss.
Langzeitfolgen von zu hohem Medienkonsum
Darüber, was Medienmissbrauch anrichten kann, wird viel spekuliert. Aber jeder der einmal beobachtet hat, wie Kinder vor eine Bildschirm einfach innerlich wecksacken, nur noch mit leerem Blick dem Film folgen, erahnt, dass das bei zu langen Phasen auf Dauer auch Wirkungen hinterlassen kann.
Einigermaßen seriöse Studien haben herausgefunden, dass zu den Negativfolgen ein gestörtes emotionales Verhalten, geringeres Konzentrationsvermögen, schlechte Schulleistungen und sprachliche Schwächen gehören. Kinder die zu viel Medien konsumieren, sprechen weniger als Andere, bewegen sich auch weniger, neigen zu Übergewicht, die Zeit für Sport und herumtoben fehlt einfach. Außerdem besteht eher die Gefahr, dass sie vereinsamen.
Eine neuseeländische Studie sieht sogar direkte Zusammenhänge zwischen übermäßigem Medienkonsum und der Wahrscheinlichkeit, später kriminell zu werden. Insbesondere fiel den Wissenschaftlern auf, dass durch den übermäßigen Medienkonsum Zeit fehlte, soziale Umgangsformen einzuüben. Die mangelnden Konfliktlösungsmöglichkeiten führten später zu aggressivem Verhalten.