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Spontane Genialität?

Improvisation klingt verlockend, jahrelange harte Drehbucharbeit einfach einsparen,- ist das wirklich so einfach? Die Improvisation im Film ist beinahe so alt wie die Filmgeschichte selbst. Die allerersten Filme waren dokumentarisch oder improvisiert, erst später kamen Drehbücher dazu, als die Filme länger als ein, zwei Minuten wurden. Bei Texten, Vorträgen aber auch Theateraufführungen nannte man so etwas lange Zeit "aus dem Stehgreif" reden oder spielen. Besonders bei frühen Slapstick Komödien beruhten viele der Gags und Handlungsabläufe auf Improvisation. So soll angeblich an vielen stellen in den Drehbüchern der Marx Brothers schlicht gestanden haben, "Harpo does something funny". In einem der letzten Deutschen Stummfilme, "Menschen am Sonntag" (Regie: Robert Siodmak, Rochus Gliese, Edgar G. Ulmer, D 1930) arbeitete man mit einem Laiendarsteller-Ensemble. Improvieirste Spielfilmteile wurden gemischt mit dokumentarischen Anteilen. Viele Filmemacher glauben fest daran, dass die Improvisation mehr Authentizität ermöglicht. Für ausgebildete Schauspieler*Innen ist Improvisation überhaupt nichts Ungewöhnliches,- in den allermeisten Schauspielschulen stand sie auf dem Lehrplan.

Werden ganze Filme als Improvisation erstellt, gibt es häufig eine andere Art von Zusammenarbeit zwischen Schauspieler*Innen und Team, man versteht das dann eher als Gruppenarbeit, als Teamwork. Das bedeutet weitgehenden Verzicht auf Hierarchien. So etwas geht am einfachsten, wenn das Budget klein ist. Je größer die Produktion, je höher das Budget, desto mehr Zwänge beschneiden die Improvisationswünsche von Regie und / oder Schauspieler*innen. Ab den 40er Jahren spielten in den Filmen des italienischen Neorealismus häufig Laienschauspieler, die viele Dialoge improvisierten. Bereits John Cassavetes Erstling "Shadows" war letztlich ein längerer, gefilmter Workshop der in den Jahren 1957 bis 1959 gedreht wurde. Etwa zur gleichen Zeit arbeitet Jean-Luc Godard bei seinem Nouvelle-Vague Film "Außer Atem" ebenfalls mit sehr viel Improvisation, nicht nur was die Szenen anging, sondern auch was die spontanen, nicht genehmigten Drehs mitten in Paris betraf.

In Deutschland ist Klaus Lemke Ende des vergangenen Jahrhunderts durch seine wilden Improvisationsfilme bekannt geworden.

 

Variationen des Improvisierten

Improvisation kann höchst unterschiedlich ausfallen. Es kann sich dabei um spontane Dialogergänzungen oder Änderungen handeln, kann das"mit leben erfüllen" von groben gerüsten sein bis zu einem kompletten Film für den es nur hier und da Eckpunkte gibt. Inspiration liefern beim Improvisieren alle Bedingungen rund um die Drehsituation, also Location, Requisiten, Kostüme, das Verhalten, die Dialogsätze der Anderen, das sich Hochschaukeln einer Situation.

Für das Filmteam, insbesondere Kamera und Ton sind das extrem fordernde Situationen, weil Dinge wie Positionen oder wer gerade spricht, sich schnell und überraschend verändern können. Man muss also enorm flexibel sein.

Francois Truffaut hat mal gesagt, Improvisation ist, wenn man die Vorbereitung nicht mag. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Denn eigentlich darf man sich Improvisation nur erlauben, wenn man zugleich auch einen Plan, ein Konzept, eine Vorstellung hat, wohin die kreative Reise gehen soll. Improvisationen können gelingen, sie können aber auch schief gehen. Eines der größten Probleme an Improvisation ist, dass man quasi das Entstehen von Ideen filmisch mit beobachtet. Diese Prozesse sind natürlich unterschiedlich schnell und effektiv. Meistens benötigen die Schauspieler*Innen beim Improvisieren schlichtweg mehr Zeit, mehr Optimierungsrunden, bevor sie die optimale Aussage oder Form gefunden haben. Dieses "mehr" an Zeit kann Szenen und Situationen leicht langweilig oder zäh werden lassen, was man, soweit man genügend Schnittvarianten hat, in der Montage teilweise wieder korrigieren kann.

Die Improvisation muss nicht zwingend vor laufender Kamera stattfinden. Man kann auch die Schauspieler*Innen in den Proben, den Vorbereitungen an der Entwicklung und Veränderung der Szenen oder Plots teilhaben lassen. Dann wird die Improvisation quasi vor den Dreh vorverlegt und wenn dann die Kamera läuft, ist bereits alles fixiert. Regisseure wie Robert Altman und Mike Leigh sollen so gearbeitet haben. Ein spannendes Beispiel war auch der französische Spielfilm "Entre Les Murs" (Die Klasse, Laurent Cantet, F 2009) über Jugendliche im Pariser Banlieue, der über die Dauer von einem Jahr in zahlreichen Workshops mit Schüler*Innen und Lehrer*Innen entstand.

 

Risiken

Eine gescriptete Szene ist also in der Regel kompakter, weil alle Optimierungen und Verknappungen bereits auf Drehbuchebene stattgefunden haben. Regisseure, die vorhaben, einzelne Szenen oder ganze Filme auf Improvisationsbasis zu drehen, sollten dennoch ein Shooting-Treatment oder Shooting-Script zur Verfügung haben. Darin sind die Grundzüge für die Motive der handelnden Filmfiguren, die Konflikte, das Ziel der Szene etc. definiert. Auf welche Weise die Schauspieler*Innen dann zu diesem Ziel oder Endpunkt der Szene kommen, ist eben genau die Herausforderung der Improvisation. Improvisationen können auch scheitern.

Andreas Dresen, der bei Filmen wie "Halbe Treppe" (D 2002) mit Improvisation gearbeitet hat, wusste das sehr genau, deshalb hat er morgens vor Drehbeginn auch gesagt: heute "versuchen wir mal" die Szene X zu drehen. Diese Formulierung signalisierte einerseits dem Team und den Schauspieler*Innen, dass das Scheitern auch möglich wäre und öffnete zugleich den Weg, am nächsten Drehtag einen neuen Anlauf zu unternehmen, die betreffende Szenen erneut zu "versuchen". So wie es Cassavetes dereinst bei "Shadows" getan hat, nannte Dresen im Abspann von "Halbe Treppe" seine Hauptdarsteller*Innen Steffi Kühnert, Gabriela Maria Schmeide, Axel Prahl und Thorsten Merten als Autoren.

 

Erfolgsstories

Viele andere Beispiele für Improvisation waren erfolgreich, stellvertretend sei hier "Love Steaks" (D 2013) von Jakob Lass genannte, der im "Grant" in Ahrenshoop mitten im laufenden Hotelbetrieb improvisierend drehte. Interessanterweise gewann der Film neben anderen Auszeichnungen auch einen Drehbuchpreis,- nicht schlecht für einen Film, der ohne Drehbuch entstand. Genauso interessant "Klassentreffen" von Jan Georg Schütte aus dem Jahre 2019. Oder "Altersglühen – Speed Dating für Senioren" von Jan Georg Schüttes in dem Mario Adorf, Senta Berger, Michael Gwisdek und andere improvisierte Flirts spielten. Und auch Schüttes "Wellness für Paare", aus dem Jahre 2016 setzte auf Improvisation ohne vorgefertigte Dialoge, lediglich mit Rollen,- und Konfliktbeschreibungen.

Es gibt sogar einen selbsterdachten Genrebegriff der Freunde des improvisierten Films, "German Mumblecore". Seit 2015 sind unter diesem Label diverse Low bzw. No-Budget Filme entstanden, bei denen die Improvisationen der Schauspieler*Innen elementarer Bestandteil des Konzepts waren. Aron Lehmanns Film "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel" etwa steht für ein freches, frisches Deutsches Kino. Axel Ranischs Filme "Dicke Mädchen" und "Ich fühl mich Disco" gehören ebenso dazu wie "Familienfieber" von Nico Sommer.

Sie alle entstanden abseits von Einflussnahmen durch Fernsehredaktionen oder Produzenten mit erstaunlich wenig Geld. Das war natürlich dem fehlenden Budget geschuldet, stellt aber die Technik des Improvisierens nicht in Frage, die funktioniert auch, wenn man ein vernünftiges Budget hat. Aber unvorbereitet entstehen erfolgreiche Impro-Filme nie,- man muss sich sehr genau überlegen, wie sind die Gegebenheiten, was können die Konflikte werden usw. Und natürlich braucht es spielfreudige, mutiges Schauspieler*Innen, um die skizzierten Entwicklungen auch lebendig werden zu lassen.

Improvisation sollte eigentlich an keinem Filmset fehlen, auch dort nicht, wo es komplette Drehbücher gibt. Im Idealfall sollte jede Filmszene, sobald man an ihr arbeitet, probt und inszeniert, ein Eigenleben entwickeln, sollte die Figurenkonstellation aus sich selbst heraus sprechen. Dafür muss es möglich sein, dass man Dinge, die im Drehbuch stehen, verändert, dass man die besten Ideen, die in der Umsetzung am Set aufkommen, austestet und ggf. übernimmt. Erst dann wird das Storytelling optimal.

 

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