Die anmutige Geschichte zweier sehr ungleicher Frauen.
Wrong Side Up
|
Regie: Petr Zelenka
In "Wrond side up" hat Petr Zelenka sein eigenes Theaterstück (Tales of Common Insanity) adaptiert- ein Vorgehen, das bei Geldgebern im Normalfall Kopfschmerzen hervorruft, hier jedoch zum Glücksfall wird. Denn dem Film ist das Theaterstück überhaupt nicht anzumerken (im Gegensatz zu z.B. Mike Nicholl's "Closer"). Mit einem fantastischen Gespür für absurden Humor zeigt Zelenka die Beziehungsunfähigkeit seiner Protagonisten. Und es ist eine beeindruckende Sammlung illustrer Personen, die diesen Film bevölkern.
Da wären die Eltern von Petr. Die Mutter, die dem Vater einredet, er hätte Alzheimer, süchtig ist nach Blutspende und in eine Lebenskrise fällt, als ihr Blut die Qualitätskriterien nicht mehr erfüllt. Der Vater, einst Sprecher für Wochenschauen, der erst aus seiner Lethargie gerissen wird, als er eine junge Künstlerin kennen lernt. Ab sofort rezitiert er die Nachrichten aus Sowjetzeiten auf Parties oder Vernissagen.
Außerdem: die Nachbarn, die Petr dafür bezahlen, ihnen beim Sex zuzusehen- Petr selbst betrachtet es als Nebenjob. Der Chef, der eine leidenschaftliche Beziehung zu einer Schaufensterpuppe hegt. Last but not least die Ex-Freundin, die die einzig Normale in diesem Haufen zu sein scheint- bis herauskommt, auf welche Weise sie auf die Trennung von Petr reagiert hat und so zu ihrem neuen Verlobten gekommen ist.
Der Flughafen, in dem Petr als Paketverteiler arbeitet, fungiert dabei als Sinnbild für die Plan- und Orientierungslosigkeit der Figuren. Nach einem zum totlachen komischen Film raubt einem noch der Schluss den Atem- das Ende ist so geschickt vorbereitet, dass einen die Erkenntnis wie ein Faustschlag in die Magengrube trifft. Auch der Filmtitel findet in diesem Zusammenhang seine Erklärung.
Diese tschechische Produktion braucht den Vergleich mit den ganz großen Komödien nicht zu scheuen. Man hatte bei den deutschen Komödien in den letzten Jahren ja das Gefühl, dass sich "lustig" und "intelligent" gegenseitig ausschließen. Hier ist der Beweis (und die Anregung), dass eine Fusion nicht nur möglich ist, sondern der Film und das, was er erzählen möchte, dabei auch noch gewinnt.
Gesehen von Johannes Prokop
XXY
Daten |
XXY Argentinien, Spanien 2007 REGIE: Lucía Puenzo LITERATURVORLAGE: Sergio Bizzio TON: Fernando Soldevilla DARSTELLER: Inés Efron, Valeria Beruccelli, Ricardo Darin, Martin Piroyansky, German Palacios |
Visiones Latinoamericanas
Regie: Lucía Puenzo
Alex ist ein Junge, Alex ist ein Mädchen. Alex ist 15 Jahre und ein Zwitter. Die Eltern flohen mit ihrem Kind aufs Land, um es nicht an eine unverständige Umwelt auszuliefern und um ihr Kind vor sich selber zu schützen. Aber dieses Vorhaben scheint, je älter es wird, zu misslingen. Alex Körper nimmt die Gestalt eines Mädchens an, wobei sie beide Geschlechtsorgane hat. Im Ort spricht sich herum, dass mit ihr etwas nicht stimme. Dem Willen der Eltern Hormonpillen zu schlucken, um die weibliche Ausformung des Körpers zu stärken und die männliche zu unterdrücken, widersetzt Alex sich. Alex fängt eine Beziehung mit dem Sohn von Bekannten an, wird von Jugendlichen zwar nicht vergewaltigt, aber sie wollen zu ihrem Vergnügen mal sehen, wie das aussieht. Ihr Versteck fliegt auf, die behütete Existenz bröckelt. Die Eltern erkennen an, dass man Alex nicht ewig zurückhalten kann. Alex erkennt, dass sie sich nicht zu einem bestimmten Geschlecht entwickeln will, nur um sich anzupassen.
Ein Film über ein schwieriges Thema. Zweigeschlechtliche Menschen sind selten. Die gesellschaftliche Akzeptanz eines solchen körperlichen Zustands ist nicht vorhanden, ist man doch gerade erst dabei, Homosexuellen und Transsexuellen das gleiche Recht anzuerkennen, wobei es sich dabei um psychische Zustände handelt. Die Probleme eines unentschiedenen Körpers und die direkte Auswirkung auf das Leben werden glaubhaft dargestellt. Die Verteufelung durch die Mitmenschen durch ihre Angst vor Fremdem und Unbekannten, die Schwierigkeiten, eine Bindung zu einem Menschen eingehen zu können, die Schwierigkeit, nicht zu wissen, ob man sich zum männlichen oder weiblichen Geschlecht hingezogen fühlt und schließlich die Schwierigkeit sich selbst in einer Gesellschaft und Kultur zurechtzufinden, die auf der festgelegten Rollenverteilung basiert, in die man sich ja nicht wie alle anderen einfach einsortieren kann. Alex führt einen stillen Kampf gegen das von allen Seiten ausgehende Unbehagen und die Demütigung, die er/sie erfahren muss.
Es ist ein beeindruckender Film mit einer eindringlich spielenden jungen Hauptdarstellerin. Die Charaktere sind glaubhaft gezeichnet, die Wendungen nachvollziehbar. Oft gibt es scheinbar eindeutige Szenen, die erst später eine andere Richtung bekommen. Vieles bleibt unausgesprochen, der moralische Zeigefinger wird vermieden. Es wird deutlich, dass die Akzeptanz eines solchen Menschen ein hohes Maß an Toleranz und Abstraktion verlangt. Die Schwierigkeit mit solch einem Menschen "normal" umzugehen, zeigt unsere kognitiven Grenzen auf. Es offenbart die Unfähigkeit, zwischen Fleisch und Seele, zwischen Körper und Geist zu differenzieren. Eine bedingungslose, aufrichtige Liebe jenseits des "Behältnisses" einer Seele scheint nicht möglich. Ist Liebe als gegenstandsloses, formloses Gefühl illusionär? Gibt es die reine Liebe? Oder können wir ohne Bedürfnisevozierung nicht lieben? Ist der Mensch zu so etwas überhaupt in der Lage? Und wenn ja, warum hat er dann diese Probleme damit? Ist es die kulturelle Prägung? Ist der Mensch mental tatsächlich noch nicht so weit oder wird dieses Dogma der geschlechtlichen Separierung gar künstlich aufrechterhalten? Nur von wem? Und warum?
Gesehen von Johannes von Alten