Vom ersten Kennenlernen bis hin zum Happy Ending.
Sois sage
Daten |
Sois sage F, DNK 2008, 90 Min. REGIE: Juliette Garcias
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Regie: Juliette Garcias
Die 20-jährige Nathalie zieht in ein kleines französisches Dorf, um dort einem bestimmten Mann aus ihrer Vergangenheit wieder näher zu sein. Quasi als Alibi nimmt sie einen Job als Lieferantin für eine Bäckerei an. Während sie immer mehr Lügen über sich und ihr Liebesleben verbreitet, fragt man sich was tatsächlich hinter ihrem Interesse an dem um einiges älteren Pianisten liegt.
Nathalie beobachtet ihren Schwarm und schleicht sich in sein Haus ein. Dabei muss sie erfahren, dass der Pianist ein neues Leben begonnen hat und nun eine Frau und ein Kind hat. Doch dies hält Nathalie nicht davon von ab, die Nähe des Pianisten zu suchen. Denn ihre Beziehung mit dem Pianisten trägt ein dunkles Geheimnis.
"Sois sage" ist der Debütfilm der Cutterin und Kunst Historikerin Juliette Garcias. Kunstfertig und mit einem Auge für besondere Momente hat sie ihren ersten Spielfilm umgesetzt. Der Film beginnt mit einer Einstellung in der Nathalie zwei übereinander, aufeinander liegende Kissen auf einem Bett beobachtet. Während die Kamera sich um Nathalie herum auf die Kissen zugbewegt, wird eindeutig und auch spürbar, dass diese Kissen ein Liebespaar in fester Umarmung zeigen.
Nathalie ist fasziniert von Beziehungen. Bei einer Brotauslieferung findet Nathalie zwei tote Füchse neben einem Gebüsch liegend vor und zwingt die beiden Tiere behutsam zu einer ewigen Umarmung. Mit einem Blick, der Gegenstände eher erfühlt als sie bloß abzubilden, begleitet die Kamera die charismatische Nathalie durch ihre für den Zuschauer manchmal schwer fassbare Welt. Hier gibt es keine "Realität", sondern nur Nathalies Wahrnehmung der Welt, die durch Träume, Phantasien und Traumata beeinflusst ist.
Nathalie ist aber alles andere als naiv. In manchen Situationen hat sie klar die Oberhand und kontrolliert die Situation. Diese Zwiespältigkeit von Träumerei und Kalkül verkörpert die Schauspielerin Anais Demoustier hervorragend. In einer Szene wird sie von zwei älteren Herren aus dem Dorf begafft und belästigt. In dieser Situation lässt sie ihr bezauberndstes Lächeln langsam zu einem abschreckenden, respektlosen Blick verwandeln.
Der Film endet, wie Truffauts "Sie küssten und sie schlugen ihn" mit einem Blick der Protagonistin in die Kamera. Nicht jeder Film kann diesen Blick rechtfertigen. Dieser sehr persönliche Film schon.
Gesehen von Mareike Dobewall
Filmfest 2009
Someone Beside You
Daten |
Someone Beside You CHE 2006 REGIE: Edgar Hagen
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Links zum Film |
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Internationales Programm
Regie: Edgar Hagen
Psychosen und speziell die Schizophrenie sind ein beliebtes Thema im Spielfilm, da sie ein Drama in sich selbst bergen, schon durch ihre Andersartigkeit Spannung erzeugen. Viele dieser Darstellungen sind in Dekaden der Wiederholung zu Klischees erstarrt und haben mit ihrem ursprünglichen Gegenstand nichts mehr gemein, wenn das überhaupt je der Fall war. Im Dokumentarfilm gestaltet sich die Thematisierung gesellschaftlicher Randfiguren noch schwieriger, da hier tatsächliche Individuen, Bewohner unserer Lebenswelt dargestellt werden. Zu diesen steht der Film und seine Schöpfer in einer konkreten Beziehung, die eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten und moralischen Erwägungen mit sich bringt, an welchen schon so mancher Film auf inhaltlicher und ästhetischer Ebene gescheitert ist. Um so erstaunlicher ist es, dass Edgar Hagen mit seinem neuen Film "Someone Beside You" einen Film abliefert, der, was seine strenge Bildästhetik, seine ins Inszenatorische hinreichenden Arrangements und seine spannungsreiche Erzählweise betrifft, zum Besten gehört, was dieses Jahr auf dem Dokfest zu sehen war.
Hagen, der seine Karriere als Philosoph begann, näherte sich dem Thema Psychosen filmisch bereits mit "Dorothea Buck - Vom Wahn zum Sinn", einem Porträt der Begründerin von sogenannten Psychose-Seminaren, welche helfen sollten, die Sprachlosigkeit von Menschen mit psychotischen Erfahrungen zu überwinden. Überwindung von Sprachlosigkeit ist auch eines der Motive in "Someone Beside You". Menschen berichten über ihre Psychosen, die Ansätze damit umzugehen und die Versuche sie zu überwinden. Aber nicht nur Psychosepatienten sind die Protagonisten dieses Films. Jakob Litschig wäre Psychater, hätte ihn nicht sein eigenes psychologisches Gutachten daran gehindert eine Praxis zu eröffnen. So fährt er mit seiner mobilen Praxis durch die Schweiz und in die Welt, zusammen mit Menschen die vom psychiatrischen System als unheilbar aufgegeben, beziehungsweise vereinnahmt wurden, auf der Suche nach neuen Wegen des Verstehens und des Handelns. Herzstück dieser Odyssee und eine weitere zentrale Figur des Films ist ein amerikanischer Psychiater namens Edward Podvoll, der in seinem 1981 gegründeten Windriver Projekt alternative, stark von buddhistischen Erkenntnispraktiken geprägte, Behandlungs- und Heilungsverfahren entwickelt.
Der Film erzählt von Außeneitern, von "extremen Geisteszuständen", vom Denken und Verstehen wollen, aber auch ganz entschieden vom Handeln, vom Helfen. Er erzählt vom Menschsein mit großer Intensität. Dazu bedient sich Hagen großzügig und gekonnt auch der Stilmittel fiktionalen Erzählens, ohne inhaltlich seine dokumentarische Position aufzugeben. Der Film als Situation und seine Auswirkung auf die Beteiligten schwingt als Thema unterschwellig stets mit. Wie auch Fragen zu moralischen und erkenntnistheoretischen Grenzen des zu Zeigenden. Zusammen mit der bereits erwähnten anspruchsvollen Ästhetik in Bild und Ton, so wie seiner Klarheit und Offenheit ist der Film sowohl ein cineastisches, als auch ein intellektuelles Erlebnis.
Gesehen von Georg Göttlich