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Zwischen Charme und Grausamkeit

Am Donnerstag lief im Berlinale Palast nun auch der zweite deutsche Wettbewerbsbeitrag "Gegen die Wand" und erntete dabei viel Applaus. Es ist wohl die persönlichste Arbeit des Regisseurs Fatih Akin, der bereits mit "Kurz und schmerzlos", "Im Juli" und "Solino" national und intertnational auf sich Aufmerksam gemacht hat. "Gegen die Wand" ist das Werk eines Menschen, der zwischen zwei Kulturen aufgewachsen ist und das Multikulturelle nicht als Abgrenzung, sondern als Selbstverständnis betrachtet. Sein Anliegen ist es, Klischees im internationalen Umgang abzubauen und eine größtmögliche Schnittmenge aus der deutscher, türkischer und deutsch-türkischer Sichtweise zu erzeugen. Eine Gratwanderung, die wahrscheinlich nur Fatih Akin ohne Klischeedarstellung gelingen kann und die im Film vor allem anhand dreier Sprachen (deutsch, türkisch, englisch) mehr als nur glaubhaft tranportiert wird.

In "Gegen die Wand" thematisiert Akin die Depression in Deutschland lebender Türken in der zweiten Generation. Cahit (Birol Ünel) und Sibel (Sibel Kekilli) treffen sich in der Psychiatrie. Er hat seinen Ford Granada vor die Wand gefahren, weil er lebensmüde ist, sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, weil sie aus den Zwängen ihrer traditionsbewußten Familie entfliehen will. Allein in einer Scheinheirat sieht sie die Chance, ihrer streng gläubigen Familie zu entkommen. Aus diesem Grund arrangiert sie sich mit dem verwahrlosten Cahit und heiratet ihn. Beide teilen sich fortan eine Wohnung, doch jeder lebt sein Leben voller Drogen und Affären weiter. Auf den ersten Blick ist dies eine reine nüchterne Zweckgemeinschaft. Doch Akin interessiert die verborgene Tiefe hinter solchen Begegnungen. Er verzichtet auf das Klischee eines bloßen, desinteressierten Nebeneinanders innerhalb einer Zweckgemeinschaft. Cahit und Sibel begegnen sich emotional, nehmen Anteil am Leben des anderen und verbringen nicht selten die Abende miteinander. Dies führt letztlich dazu, daß Cahit seine Frau mit anderen Augen zu sehen beginnt. Er wird umgänglicher, beginnt, auf sein Äußeres zu achten, statt wie früher sinnlos mit Platzpatronen auf Dosenbier zu schießen. Letztlich kann auch Sibel ihren unbewußten Gefühlen für Cahit nicht widerstehen, doch sie zieht eindeutige Grenzen. "Wenn wir jetzt miteinander schlafen, dann sind wir wirklich wie verheiratet".

Die Wendung für das junge Glück bringt natürlich der traditionelle und gesellschaftliche Druck auf die Paargemeinschaft. Es spricht sich herum, daß Sibel gern ohne ihren Ehemann ausgeht und Affären haben soll. Als dann schließlich ein enttäuschter Liebhaber Sibels Cahit provoziert, erschlägt er ihn im Affekt und zerstört zugleich die noch junge Ehe. Sibel wird verstoßen, Cahit geht für fünf Jahre ins Gefängnis. Mit dem Versprechen, auf ihn zu warten, geht Sibel daraufhin nach Istanbul. Doch auch in ihrem vermeidlichen Heimatland fühlt sie sich ausgegrenzt, fast so wie ein Ausländer. Das exsessive und liberale Leben wie in Deutschland erzeugt in der Türkei nur noch mehr Probleme.

Fünf Jahre vergehen. Nach der Haft reist Cahit zu seiner Frau nach Istanbul. Noch einmal möchte er sie sehen in dem Glauben, als könnte alles noch einmal anfangen. Doch weit gefehlt. Er verabredet sich mit Sibel am Busbahnhof, um mit ihr nach Deutschland zurückzukehren. Es wird das letzte Treffen für immer sein.

"Gegen die Wand" ist ein wunderbares Melodram und hat beinahe genau jene Direktheit und Vertrautheit wie Richard Linklaters "Before Sunset". Allein der Schluss, wirkt etwas lieblos abgefilmt, ohne den bisher so prägnanten Flair zu versprühen. Doch dies soll nicht über die Offenheit hinwegtäuschen, mit der Akin die Zerrissenheit und die Entscheidungsqualen der Figuren illustriert. "Gegen die Wand" ist ein spannender wie eindringlicher Film. Es ist mehr als nur eine Liebesgeschichte, es zeigt auch das Leben zwischen zwei Kulturen, geprägt von Gewalt, Selbstzerstörung und den Schwierigkeiten, einem scheinbar vorgezeichneten Schicksal zu entkommen.

 

Gesehen von Bogdan Büchner am 12.02.2004 im Berlinale Palast Berlin



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