Regie: Stanislaw Mucha, 85 min., Dokumentation, Deutschland 2004
Kinostart: 27. Mai 2004
Auf der Suche nach der "einzig und wahren" Mitte Europas begibt sich Stanislaw Mucha mit seiner Crew kreuz und quer über den Kontinent. Dieses Vorhaben entpuppt sich jedoch als sehr schwierige Angelegenheit, denn schon alleine in Deutschland beanspruchen mehrere Orte diesen Titel für sich. Und auch über Deutschlands Grenzen hinaus wird das Team rund um den polnischen Regisseur fündig. Die Reise führt nach Griechenland, an das Nordkap, nach Portugal, Russland, Polen, Litauen, Österreich, in die Slowakei und die Ukraine.
Mit dem Abenteurer voller Spuren und Irrtümer, mit tragischen Geschichten der Einwohner und urkomischen Szenen gelang Mucha ein Film über Lebensweisen und religiöse Glaubensriten der Menschen. Irrtürmer auf ganzer Linie? Die Begegnungen mit den Einwohnern entpuppen sich auf der einen Seite als traurig, auf der anderen Seite widerum als super witzig. So betrachtet zum Beispiel eine Familie aus "Europas Centro" bei Vilnius (Litauen) Europa als "Scheusal" und trauert um den Untergang der Sowjetunion. Ein anderer Mann sieht sich selbst als Wunderheiler und hat nach eigenen Aussagen eine Menge zu tun in der "Alten Mitte" in Rachiv (Ukraine). Denn dort leiden viele Menschen unter "Schwermut, Impotenz und lästigen Dämonen". Spontan muss auch Stanislaw Mucha dran glauben und begibt sich vor die Kamera, um sich als Versuchskaninchen von Herrn Mofar liebesbringende Mittel verschreiben zu lassen... Auch sehr rührend fing die Kamera die Szene einer alten Frau am Fernseher ein, die verzweifelt drauf wartet, dass ihr Sohn das Kabel draußen so bewegt, dass man Bilder sehen kann. Man hat so sehr Mitleid mit der alten Frau, die leicht Verlegen auf der Coach sitzt, dass man ihr am liebsten sofort einen neuen Fernseher besorgen möchte.
Wunderbare 80 Minuten erzählen von so vielen Orten und Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch eines gemeinsam haben: die "Mitte Europas". Sehr amüsant auch Muchas Eintreten in das Geschehen, wobei er nicht nur witzige Momente (wie beim Wunderheiler), sondern auch heikle Situationen (durch derbe Beschimpfungen einer alten Frau auf der Straße) gut meistern kann.
Eine riskante Aktion geleitet von einer Satelitenberechnung, die ein wenig an das "Blair Witch Project" erinnert, bildet das Ende des Films. Die aktionreiche Suche führt durch Gestrüpp und Unterholz eines Waldes, voller Erwartungen auf die "Wahre Mitte". Schnelle Bilder und eine wackelige Kameraführung lassen die Spannung des Zuschauers fast zum Überkochen bringen. Man wartet auf den plötzlichen Fund und wird enttäuscht von einem apprupten Ende. Doch darauf kommt es gar nicht mehr an, denn wozu noch eine Mitte? Im Laufe des Films wurden viele Mitten gefunden, die auf ihre Art und Weise einzigartig sind, und nicht auf Satelitenberechnungen, sondern auf Überzeugung und Emotionen beruhen.
Auch wenn die Suche nach "Der Mitte" zwischenzeitlich ein wenig in Vergessenheit gerät, weil die jeweiligen Menschen eigentlich viel wichtiger sind (der Traum von einer einzigen Mitte hat sich ja mitlerweile erledigt), zieht sich doch ein kleiner Faden durch den Film, der zum Schluß zum eigentlichen Ziel zurückfindet.
Gesehen von Caroline Klenke