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Stein der Geduld F, D, AF 2012, 102 Min. REGIE: Atiq Rahimi
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Regie: Atiq Rahimi
Kinostart: 10. Oktober 2013
Stein der Geduld - ein zunächst seltsam anmutender Name. Was kann man sich vorstellen, was darf man erwarten von diesem Film? Und wie passt dieser Titel dazu, dass "Stein der Geduld" eigentlich ein Kriegsdrama ist?
Dazu muss man erst einmal einen Blick auf die Mythologie des Landes Afghanistan, besser gesagt auf die persische Mythologie, werfen. Der Stein der Geduld, schöner im Originaltitel "Syngue Sabour", ist ein magischer schwarzer Stein. Findet man diesen Stein, muss man ihm alles über sich erzählen - Geständnisse, Geheimnisse, Ängste und Hoffnungen - denn der Stein hört stets still zu, ohne zu urteilen oder überhaupt eine Reaktion zu zeigen.
Aber eines Tages wird der Syngue Sabour soviel Leid in sich aufgenommen haben, dass er schließlich in tausend Teile zerspringt. Dies ist der Tag, an dem der Träger des Steines frei von Sorgen und Angst ist und endlich in Frieden leben kann.
Aber was hat dieser Stein mit dem Film zu tun? Eine junge Frau (gespielt von Golshifteh Farahani) kniet zu Beginn des Filmes neben ihrem Mann, der, getroffen von einer Kugel, im Koma liegt. Er atmet, aber das ist auch schon alles, was er tut. Sie kümmert sich um ihn, selbst, als der Krieg zunehmend seinen Lauf nimmt und zahlreiche Opfer fordert. Die Front verläuft genau durch das Viertel, in dem die kleine Familie einst lebte, und doch kommt sie immer wieder zurück, um ihren Mann zu pflegen. Währenddessen beginnt sie, ihm alles zu erzählen, als wäre er ihr Stein der Geduld. Von ihrer Kindheit, dem, was sie fühlte, als sie ihn, den großen Kriegsheld heiratete, der sie nie beachtete, und ihrer Angst, was geschehen wäre, wenn sie ihm keine Kinder geboren hätte. Als der Krieg sich zuspitzt, flieht sie mit ihren beiden kleinen Töchtern zu ihrer Tante, die als Prostituierte arbeitet, und doch kehrt sie immer wieder zu ihrem Mann zurück.
Aber die Legende besagt, dass der Stein der Geduld zerspringen wird, wenn er alles Leid in sich aufgesaugt hat. Wie viel wird er also aushalten, bevor er entzwei geht?
"Stein der Geduld" ist ein sehr ruhiger Film. Golshifteh Farahani gelingt es, die Rolle der jungen Frau so überzeugend zu spielen, dass man trotz oft fehlender gespielter Handlung dranbleibt und weiter mit ihr fühlt. Es gibt nur wenige Interaktionen, kaum Flashbacks (was man erwarten könnte, da sie viel von ihrer Vergangenheit erzählt), denn tatsächlich besteht die Handlung überwiegend aus den Monologen der Hauptdarstellerin. Selbst die Kriegsthematik wird bis auf eine Szene, die zwar kurz, aber sehr schockierend und intensiv ist, nicht in großen Bildern dargestellt.
Stein der Geduld verleiht symbolisch einer afghanischen Frau eine Stimme, die immer in dem Bewusstsein lebt, dass ihr Mann sie töten würde, wenn er hören würde, was sie ihm erzählt. Gleichzeitig wird auch die Prostitution aufgegriffen, nicht jedoch unbedingt nur in dem typischen negativen Licht, sondern auch in der Hinsicht, dass sie den Frauen eine gewisse Macht verleiht, wenn die Männer zu Wachs in ihren Händen werden - und dass in einer Gesellschaft, in der eine Frau, die keine Kinder bekommt, einfach in Schande fortgeschickt wird.
Gesehen von Teresa Schießl
2. Kritik
Krieg, Unterdrückung und Selbstbefreiung. In "Stein der Geduld" spiegelt sich all das wider. Mit der bereits dritten Verfilmung seines eigenen Romans gibt Regisseur und Autor Atiq Rahimi die innersten Gedanken und Geheimnisse einer afghanischen verheirateten Frau preis.
Seit ihr Ehemann von einer Kugel im Nacken getroffen wurde, kümmert sich eine junge Frau (Golshifteh Farahani) tagtäglich um ihren Mann. Dass er sich in einer Art Komazustand befindet und sie weder verstehen noch mit ihr reden kann, lässt sie in ihrer Hilflosigkeit verzweifeln. Sie hat weder Geld für benötigte Medikamente, noch Geld für Essen, um sich und ihre Kinder über die Runden bringen zu können. Zudem wird ihr Viertel in einer afghanischen Stadt fast täglich bombardiert und die Häuser nach Überlebenden durchsucht, um sie schließlich qualvoll auszuliefern.
Nach und nach fängt die junge Frau an, ihrem Mann ihre Gedanken anzuvertrauen. Gedanken, die sie sonst nie wagen würde auszusprechen. Er wird ihr "Stein der Geduld". In der persischen Mythologie absorbiert dieser Stein all die Gedanken und Geständnisse eines Menschen, bis er letztendlich durch all die aufgenommene Trauer, Leid und Schmerz zerspringt.
Während die junge Frau sich also ihr Leid von der Seele redet und einen innerlich wie auch äußerlichen Wandel der Selbstbefreiung durchlebt, ist es nur eine Frage der Zeit bis auch ihr "Stein der Geduld" zerspringt.
Auf eine faszinierende Art und Weise wird eine Thematik aufgegriffen, die vielen afghanischen Frauen eine Stimme gibt. Unterdrückung durch den eigenen Ehemann ist in der muslimischen Kultur Gang und Gebe und die Art der Selbstbefreiung, die Golshifteh Farahni in der Rolle der jungen Frau durchlebt, ist weitaus bemerkenswert.
Der Film besteht größtenteils aus Monologen ihrerseits, dennoch wird es nicht langweilig. Ganz im Gegenteil: die Zugeständnisse und Geheimnisse die nach und nach preisgegeben werden, steigern sich von Mal zu Mal und nicht zuletzt durch Farahni's schauspielerische Glanzleistung, bleibt man gebannt am Geschehen dran.
Schlussendlich lässt sich sagen, dass "Stein der Geduld" es schafft eine schwierige Thematik mit einer gelungenen Methode aufzugreifen und ein Kinobesuch durchaus lohnenswert ist.
Gesehen von Ronja Preißler