Wie das Kino der Zukunft aussieht versucht der Zukunftsworkshop CINEMATHON gemeinsam mit dem VDFP (Verband Deutscher Film Produzenten) und einem breiten Netz an Partnern, herauszufinden. Erwin M. Schmidt, Gründer des Kreativworkshop, nahm sich eine Auszeit um neue, Innovationsstrategien für das Kino von Morgen zu entdecken. Zunächst einmal nahm er die Start up Branche unter die Lupe und bemerkte, dass diese meist einen engeren Kontakt zu ihren Kunden pflegen. Zudem verwenden Start Ups vor allem disruptive Prozesse (Bsp. Von Buch zum Kindle) statt incrementaler (Bsp. Optimierter VW Golf). Können solch disruptive Prozesse auch für Filme genutzt werden?
Ein Workshop, welcher ein Klima zum freien denken ermöglicht, 25 Interdisziplinäre Teilnehmer und 48 Stunden Zeit, sollte auf diese Frage Antworten liefern. Es waren Teilnehmer aus allen Möglichen Branchen wie Architektur oder Design und nur sehr wenig Filmemacher.
Prototypen
Das Ergebnis waren Fünf verschiedene Prototypen, welche als Open Source der Öffentlichkeit verfügbar gemacht wurden, um eine Bewegung zu fördern:
1. Cinema Coop - eine Toolbox welche einzelne Kinos benutzen können um ihren Kunden Mitgliedschaften, zusätzlichen Content, ein Network, Special Events, Q&As mit Filmproducern, Lesungen und vieles mehr anbieten könnten. Auf diese Weise könnten die Besucher interagieren und auch außerhalb des Kinos eine Verbindung zu ihm haben.
2. Collab – neue architektonische Konzipierung der Kinos. Innenraum als cineastisches Amphitheater, wo mehr Interaktionen möglich sind.
3. Gorilla Kino - ermöglicht dem User selbst Film Vorstellungen zu veranstalten am Ort ihrer Wahl. Die benötigten Materialien um urban, in der Öffentlichkeit, einen Film zu zeigen, könnten günstig ausgeliehen werden.
4. Cine Hotel – vom passiven Zuschauen bis zur aktiven Teilnahme sind keine Grenzen gesetzt. Der Besucher kann sich bestimmten Sets anschließen und selbst Teil eines Films werden oder laufende Szenen ausspionieren.
5. Agenci (Audience GENerated Creative Input) – Voraussetzung wird benötigt, dass körperliche Reaktionen auf gesehene abgreifen und gemessen werden können. Reaktionen aus dem Publikum führen zu einer Veränderung in der Geschichte. Keine Vorstellung gibt es zweimal, jede einzelne ist einzigartig und exklusiv.
Und die Wünsche der Zuschauer?
Außerdem wurde im Rahmen einer Umfrage versucht herauszufinden welche Bedürfnisse die Zuschauer haben. Am größten war die Nachfrage nach Experience (Erlebnis), Engagement (Teilnahme) und Community (Zugehörigkeitsgefühl).
Wie können wir mit neuen Modellen die Branche fit für die Zukunft machen?
Laut Dr. Thomas Negele, Vorstandsvorsitzender der HDF Kino, sind uns Firmen wie Amazon, Netflix und Co. um einiges voraus. Während Verleihe viel Geld ausgeben um Besucher ins Kino zu bekommen und keine Garantie haben, ob letztere ein weiteres mal vorbei schauen werden, kennen die digitalen Markführer ihr Klientel ganz genau. Sie wissen wer ihre Kunden sind, woher sie kommen, was sie mögen, was sie suchen und wohin sie gehen. „Artificial Intelligence „ sollte laut ihm auch in der Film und Kinobranche angewandt werden.
Dass die Kinobranche Schwierigkeiten hat, in der heutigen Zeit zu überleben, liegt seiner Ansicht nach, an einem veralteten Rahmendesign und Ort, einem Mangel an digitaler Ansprache und einer zu großen Auswahl für den Endverbraucher. In unserem fall gehe der Kunde rein und raus sei aber nicht mehr mit uns verbunden. Potentielle Kunden sollten Vorschläge entsprechend ihrer Lieblingsgenres erhalten und einen so genannten Buzz bzw. eine Erinnerung erhalten, wenn der Film ihrer Wahl ins Kino kommt.
Da oftmals Filme in unterbesetzten Kinos laufen empfiehlt Dr. Negele eine Fragmentierung der Zielgruppe bei der in kleinen Sälen mit 40 bis 100 Sitzplätzen gezielt und seltener Filme ausgestrahlt werden.
Wie das Kino der Zukunft aussieht? Seiner Ansicht nach sollten disruptive Elemente mit bestehenden gemischt werden. Wegen benötigter Exklusivität wird es laut Negele neue Finanzierungs-Modelle geben.
Kinobesitzer unter Druck
Weshalb viele Kino Besitzer sich vor räumlichen Veränderungen und Umbauten scheuen erklärt der Vorstandvorsitzende der HDF Kino, läge an dem dauernden Wechsel und Wachstum der Technologie und einem sehr geringen Budget. Trotzdem prognostiziert er, dass durch neue innovative Säle wie „Dolby Atmos", die Kino Besitzer unter Druck geraten werden, spätestens, wenn in Hollywood alle Filme nur noch mit dieser Technologie verknüpfbar sein wird: Ohne Filme, Kein Kino. Natürlich gäbe es – Gott sei dank – auch menschliche Grenzen wie Beispielsweise für Virtual Reality Content wo dem User nach etwa 8 Minuten schlecht oder schwindelig wird und er erstmal genug davon hat.
Last but noch least erwähnt Dr. Negele, könne nichts gutes bei rauskommen, wenn die Produzenten schlecht ausgebildet werden und sich keine Gedanken über ihr Publikum machen. Im Endeffekt laufe alles über den Film. Der Ort Kino sei im Grunde irrelevant, sofern der Kontent stimmt.
Disney's Repräsentant, Roger Crotti, (Vicepresident Walt Disney Deutschland) hält einen Workshop mit 25 Menschen für nicht sinnvoll. Seiner Ansicht nach gibt es eine gemeinsame Verantwortung innerhalb der Filmbranche eine Lösung für das Kino der Zukunft zu finden. Vielleicht, meint er, gehe es der Branche noch zu gut und deswegen würde Niemand investieren.
Bei Disney laufe es im Moment ganz gut aber es könne im nächsten Jahr schon wieder ganz anders laufen. Wir seien teilweise noch in der Steinzeit, so wie wir mit unseren Kunden umgehen. Es sei aufwändiger ins Kino zu gehen, als digital einen Flug nach Amerika zu buchen bin in 3 Clicks. Einen hohen Investitionsbedarf gäbe es auch im Bereich der Kino Räumlichkeiten.
Seiner Ansicht nach könnte man gemeinsam mit Plattformen wie Netflix funktionieren und müsse wissen was der Konsument möchte. Letzten Endes gehe es aber immer noch am meisten um den Inhalt eines jeden Films.
Oliver Koppert, Geschäftsführer von Constantin Film, sieht im Kino hohes Potential. Laut ihm ist die Erfahrung im Kinosaal vergleichbar mit dem Besuch eines Fußballspiels: es bringe Menschen zusammen. Ein Kinogast wolle Teil von Etwas sein.
Trotzdem hat er einige kritische Vorschläge und Kritikpunkte
Seine drei erwachsenen Kinder würden heute kein eigenes Auto mehr haben wollen, sondern car sharing betreiben. Die Usability habe sich erheblich geändert und es sei nun an der Zeit die eigenen Konsumenten besser wertzuschätzen.
Als Beispiel für einen gut gelungen Versuch neue Wege einzuschlagen, nennt der den Film „Terror", erstmalig eine Fernseh-Produktion aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, welche gemeinsam in den Prozess eingebunden wurden. Eine einmalige Kinovorstellung am Tag der Veröffentlichung von „Terror" hatte Zwanzig Tausend Besucher erlangt.
Seine Sicht der Zukunft? Bei dem großen Angebot in der Unterhaltungsindustrie dürfe Film nicht beliebig werden. Eine Relevanz sollte geschaffen werden.
Zersplitterte Rechte
Die Diskussion zwischen den Experten wurde von Arno Ortmair, CEO Film-Line Productions, geleitet. Ein immer wieder aufkommendes Thema war die problematische Tatsache, dass die Rechte und „Fäden" für die Filme und dessen Vermarktung nicht in einer Hand liegen. Beispielsweise wird in einer Zeit wo Smartphones teilweise sogar mit aufs Klo genommen werden, der Kinobesucher vor dem Film gebeten sein Handy auszustellen. Dieses Verbot geht jedoch weder von der Produktion, noch dem Verleih aus, sondern von den Kinoinhabern. Durch die vielen verschiedenen Entscheidungsmächte wird es schwierig Veränderungen vorzunehmen. Aus dem Publikum wurde außerdem mehrmals ein Abonnement System aus Frankreich angesprochen. Die Franzosen hätten die Möglichkeit über einen monatliche Beitrag so oft sie wünschen ins Kino zu gehen. Außerdem erhalten unter 26 Jährige aus ganz Europa in Frankreich Rabatt auf alle kulturellen Institutionen. Dazu gehören auch die Kinos. Vielleicht sollten sich die deutschen Filmproduktionen mal eine Scheibe von den Franzosen abschneiden.
Mehr zum Thema Cinemathon Workshop finden Sie hier: http://www.cinemathon.international/workshop
Bericht: Lucy Allary