von Christophe van Rompaey
Kinostart: 16. Oktober 2008
Daten
OT: Aanrijding in Moscou
106 Min., Komödie, Belgien 2008
Regie: Christophe van Rompaey, Musik: Tuur Florizoone, Kamera: Ruben Impens, Schnitt: Alain Dessauvage, Produzent: Jean-Claude van Rijckeghem, Darsteller: Barbara Sarafin, Jurgen Delnaet, Johan Heldenbergh, Anemone Valcke, Sofia Ferri, Julian Borsani
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Die Geschichte erinnert anfangs ein wenig an „Sommer vorm Balkon" von Andreas Dresen: Eine Frau fährt mit ihrem Auto gegen einen Lastwagen und gerät in Streit mit dessen Fahrer. Auf diese Weise lernen die beiden sich kennen und später lieben, auch wenn es am Anfang nicht so aussieht. Und wie bei Dresen spielt die Geschichte nicht gerade in einem armen, aber auch keineswegs wohlhabenden Milieu, in dem der Alltag immer wieder zur Last zu werden vermag. Doch dann erschöpfen sie sich bereits, die Gemeinsamkeiten.
Matty, die 41-jährige Hauptdarstellerin (Barbara Sarafin), erscheint in ihrer ersten Einstellung im Film desillusioniert, müde und abgespannt. Dies liegt vor allem an der Affäre ihres Mannes Werner, eines Künstlers (Johan Heldenbergh), mit einer 22-jährigen Studentin. Daraus wird kein großes Drama gemacht, es ist eben so und nun erscheint der Ehegatte hin und wieder zu Hause und weiß nicht so recht, für welches Leben er sich entscheiden soll. Matty hofft natürlich, dass er eines Tages zurückkommen wird und wünscht sich überhaupt nichts mehr als die Rückkehr ins normale Leben. Ansonsten erfährt man über Matty und ihren Mann Werner nicht viel, außer, dass sie sich einst sehr geliebt haben. Bis auf einige Bilder sieht die Wohnung, die sie sich mit ihren drei Kindern in einem hässlichen Wohnblock in der Nähe einer lauten Fernverkehrsstraße teilen, nicht gerade so aus, als sei sie mit (künstlerischer) Liebe ausgestattet, so dass Mattys Mann in ihr meistens wie ein Fremdkörper wirkt. Überhaupt vermag man sich, auch aufgrund der konfusen, beinahe karrikaturähnlichen Art, in der Werner dargestellt wird (dunkle Sachen, modisch verwirrte Haare, ständig unentschlossen), eine Beziehung zwischen diesen beiden doch sehr unterschiedlichen Menschen (Matty scheint keinerlei Interessen zu haben und arbeitet bei der Post) nicht vorzustellen. Da passt dann der unbedarfte, etwas naive und grundehrliche Fernkraftwagenfahrer Johnny (Jurgen Delnaet) eher zu ihr, auch wenn er nicht im Ansatz so launisch ist wie Matty. Diese schwankt von Anfang bis Ende des Films zwischen der Zuneigung, die ihr Johnny entgegenbringt und ihrer Abneigung gegen eine für sie so außergewöhnliche Situation in einer Zeit, in der sie sich einfach nur Ruhe ersehnt. Johnny muß natürlich um sie kämpfen, was nicht wirklich überzeugt, da diese Beziehung letzten Endes eher eine Chance für Matty darstellt. Dass ihr die oft sehr bildliche Verehrung Johnnys („Du bist meine Mona Lisa", „Du bist mein Horizont") Selbstvertrauen gibt, verdeutlicht der Film in einigen Szenen sehr schön. Doch bis zum Ende des Films bleibt Matty reserviert. Es scheint, dass neben dem Verlangen nach Nähe, Zärtlichkeit, Bewunderung und Anerkennung jedoch kaum Liebe zu dem um 12 Jahre jüngeren Johnny in ihr existiert.
So übertrieben Matty in ihrer Gleichgültigkeit manchmal dargestellt wird, so wenig nachvollziehbar sind auch die stetigen Sinneswandlungen ihrer ältesten Tochter Vera (Anemone Valcke), die eher einem klischeehaften Konfliktpotential (rebellische Jugendliche) innerhalb der Geschichte gerecht werden als einer Charakterzeichnung. Es bleibt in diesem Sinne unverständlich, wie sie ihrer Mutter einerseits und immer wieder Vorwürfe aufgrund der Beziehung zu dem jüngeren Johnny macht und das Abenteuer ihrer Mutter andererseits vor dem Vater auf lässig-tolerante Weise verteidigt („Sie hat eben so einiges nachzuholen"). Auch als Johnnys Knastvergangenheit herauskommt, verhält sich die Tochter außerordentlich konservativ und steht sogar vom Tisch auf („Mir ist der Hunger vergangen"). Irgendwann aber spielt diese Selbstgerechtigkeit überhaupt keine Rolle mehr. Die Abneigung gegenüber dem Fernkraftfahrer ist plötzlich verschwunden und es stellt sich heraus, dass die Tochter lesbisch ist, ein Aspekt, der ihre Engstirnigkeit, ihre Pseudomoralität und ihr fehlendes Verständnis für die Beziehung ihrer Mutter erst recht vollkommen fehl am Platze erscheinen lässt.
Dies sind Schwächen in einem Film, der die Problematik seiner Hauptfiguren, auch durch deren überzeugendes Spiel, ansonsten gut zu verdeutlichen weiß. Wie geht man um mit einem Leben, mit dem man nicht zufrieden ist, wenn die Alternativen eine gewisse Unsicherheit in sich bergen? Am Ende fällt zwar, indem sie eine Entscheidung getroffen hat, eine Last von Matty und ihr Gesicht beginnt sich zu entspannen. In Erinnerung bleibt Matty jedoch als schwierige Person, der man am Ende nicht wirklich zutraut, ein glückliches Leben mit Johnny zu führen, weil sie jenem nie wirklich Liebe zu schenken fähig war. Man fragt sich am Ende, ob Matty überhaupt eine so definitive Entscheidung hat fällen müssen und ob das eine das andere ausschließen muß. Da erscheint die Unentschiedenheit ihres Mannes weitaus glaubhafter, eine Unentschiedenheit, die mehr als einer Sehnsucht unterworfen ist und die womöglich keine klaren Antworten kennt.
Gesehen von Paul Mittelsdorf