Regie: Darren Aronofsky, USA 2000
Wie viel kann ein Filmtitel über ein Werk aussagen? Wie viel verrät er? Wie viel verfälscht er? Requiem for a Dream, das kann niemand ernsthaft bestreiten, ist ein sehr schöner Titel, poetisch und ohne süßlichen Nachgeschmack. Zurecht wurde er deshalb auch weder in Frankreich noch in Deutschland – zwei Länder, die mit Vorliebe ihren eigenen sprachlichen Stempel auf ein amerikanisches Produkt setzen – in irgendeiner Form verändert. Requiem for a Dream erweckt im Zuschauer nämlich Vorstellungen von einem traurigen, sanften Film, mit langsamen Kamerafahrten und blauem und blassem Licht. Ganz so gewaltlos wie erwartet erweist sich das neue Werk von Regisseur Darren Aronofksky allerdings nicht. Diejenigen, die seinen Film Pi bereits gesehen haben, erwarten das auch nicht, ebenfalls mit Drehbuchautor Hubert Selby, Jr. entwickelt. Interessant in diesem Fall aber, dass der Titel nach der Vorführung eine gänzlich andere Bedeutung bekommt. Er bezieht sich nämlich weniger auf das, was die Bilder zeigen, als auf das, was die Bilder nicht zeigen, auf das nämlich, was der Zuschauer selber fühlen und erkennen soll. Der Titel gibt in diesem Fall interpretatorische Ansätze, ermöglicht aber vor allem dem Zuschauer den Film überhaupt zu überstehen, indem er ihm eine Ruhe verleiht, die er nicht hat.
Ein Traum, das ist, was alle Personen in Aronofskys neuem Film gemeinsam haben. Sara (Ellen Burstyn), eine einsame Witwe, bekommt eines Morgens einen Brief, in dem sie als Kandidatin zu einer Fernsehshow eingeladen wird. Für diesen Anlass möchte sie abnehmen, um bei der Show ihr altes, rotes Kleid zu tragen. Das hatte sie nämlich bei dem High School-Abschluss von ihrem Sohn Harry (Jared Leto) an. Der wiederum, ein verletzlicher, einsamer Junge, träumt vom gemeinsamen Laden mit seiner neuen Freundin Marion (Jennifer Conelly), die endlich neue Hoffnung in sein Leben bringt. Um sich seinen Drogenkonsum zu finanzieren, verkaufte Harry bislang regelmäßig den Fernseher seiner Mutter, die ihn seit Jahren ohne Klagen immer wieder bei dem selben Trödelmarkthändler abkaufen musste. Doch Harry liebt seine Mutter und möchte auch ihr ein besseres Leben ermöglichen. Um all diese Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen, beschließt er mit seinem besten Freund Tyrone C. Love (Marlon Wayans) vom Konsumenten zum Dealer aufzusteigen – mit Erfolg.
Doch der Traum ist auch das, was alle mit in den Abgrund stürzt. Die Abmagerungskur von Sara bei einem dubiosen Doktor erweist sich als verkappte Drogentherapie. Doch sie ist ihrem Traum bereits zu nahe, um sich dessen bewusst zu werden. Die verschiedenfarbigen Pillen, morgens, mittags, abends, nachts betrüben allmählich ihren Wahrnehmungssinn, während die Geldsuche von Harry und Tyrone C. Love und die zunehmende Drogensucht von Marion das Leben der drei jungen Menschen in ähnlich angsterregende Situationen versetzt.
Zu Beginn wirken die Drogenszenen – durch gelungene Sound-Effekte, extravagante Bilder und schnellen Schnitt an die Aspirineinnahmen von Pi erinnernd – noch harmlos und amüsant. Genau diese Sequenzen erscheinen dem Zuschauer jedoch kurz darauf bedrohlich und angsterregend. Die Schönheit der Hauptdarsteller, ihrer Gesten, ihrer Worte schlagen allmählich in das Gegenteil um. Schwitzend und leidend irrt jeder seinem eigenen – bereits unerreichbaren – Traum hinterher. Auch der Zuschauer, der durch den schnellen Schnitt bis an die Grenzen der Bilderwahrnehmbarkeit – und der Erträglichkeit geführt wird. Mit ihren Träumen scheinen auch die vier Menschen zugrunde zu gehen und so erweist sich der Film auch als ein Requiem für die vier Hauptpersonen.
Gesehen von Julie Kreuzer