Agitbrigada
Daten |
Agitbrigada 123 Min., Comicverfilmung RUS 2007 REGIE: Vitaly Melnikov KAMERA: Sergej Asthakov |
Regie: Vitaly Melnikov
Die Sowjetunion zur Zeit des Zweiten Weltkrieges: Fünf Menschen – ein ausgemusterter Soldat, ein Künstler, eine Sängerin, ein jüngeres, etwas korpulentes Mädchen und ein etwa fünfzehnjähriger Junge – sollen in Sibirien auf einem Fluß von Dorf zu Dorf fahren, um den Menschen die kommunistische Propaganda näherzubringen. Dabei haben sie einen Filmprojektor und einige kleinere Filme, beispielsweise über die Erfolge der sowjetischen Truppen an der Front. Zusammen machen sie sich auf die Reise und es wird schnell ersichtlich, dass, abgesehen vom Soldaten, niemand ein wirklich großes Interesse an der Mission besitzt. Den Menschen, die sie besuchen, geht es ähnlich. Zwar freuen sie sich über die Filmbilder, die Botschaft hinter diesen ist ihnen jedoch egal. Von Dorf zu Dorf fährt die kleine Gruppe, hin und wieder treffen sie auch nur auf ein Gehöft, und immer auf teils traurige, teils skurrile Geschichten. Mehr und mehr rücken auch die einzelnen Mitglieder der Agitationsbrigade in den Vordergrund: Der Künstler und die Sängerin kennen sich bereits von früher, sie sind ein Liebespaar, doch die Umstände machen es ihnen nicht leicht, zusammen zu leben. Das Mädchen sehnt sich verzweifelt nach einem Freund, der Junge jedoch erwidert ihre Zärtlichkeiten nicht unbedingt, und die Heldengeschichten des Soldaten werden von Dorf zu Dorf beeindruckender.
Vitaly Melnikov, der mittlerweile 80-jährige Regisseur des Films, erzählt in der Geschichte der bunt zusammengewürfelten Agitbrigade aus seinem eigenen Leben. Der fünfzehnjährige Junge ist er selbst, der durch diese Reise zum ersten Mal mit dem Film in Berührung kam. Diese Nähe ist es, die „Agitbrigada" etwas Ruhiges, Unaufgeregtes und trotzdem sehr Intensives verleiht. In einer Episode schildert Melnikov die Begegnung mit einem jungen Deutschen, der aufgrund einer Verletzung gezwungen ist, leichtere Arbeiten zu machen, was ihn aber beschämt. Nach einem Streit mit dem Jungen der Agitbrigade beschließen die beiden Jungen, sich zu duellieren. Zwar sind es dann nur Holzpistolen, doch sie einigen sich darauf, in dieser Situation wie Männer gehandelt zu haben.
In eben diesem Dorf leben neben dem Jungen nur noch Frauen, alles Deutsche, die irgendwann einmal unter Katharina der Großen in das Land gekommen und unter Stalin nach Sibirien deportiert worden waren. Ausgerechnet hier verliebt sich der steife und autoritäre Soldat und findet zu etwas Lockerheit.
In einem anderen Dorf wird die Agitbrigade zum ersten Mal begeistert begrüßt: Von einer Jugendabteilung der KPR und deren fanatischer Leiterin. Als diese die Aufführung in der alten Kirche stattfinden lassen wollen, kommt es zur Konfrontation mit der stoischen Dorfältesten, der jedoch am Ende nichts anderes übrigbleibt, als in Würde die Kirchenglocke mit zu sich nach Hause zu nehmen. Der Soldat, selbst ein Bauer, geht, von schlechtem Gewissen geplagt, zu der alten Frau und gräbt ihren Garten um.
Diese und ähnliche kleine Geschichten führen durch die Sowjetunion der 40er Jahre, durch abgelegene Welten an einem großen Fluß, in die der Kommunismus mal mehr, mal weniger gedrungen ist, immer in Konfrontation zu alten Riten, Bräuchen und Traditionen und letztendlich zu jeglicher Menschlichkeit. Letztere müssen die Mitglieder der Agitbrigade, besonders der Soldat, untereinander wahren. In Gestalt der heftig aufflammenden Liebe des Mädchens zu einem eingeborenen Jäger, der sich weder um Ideen noch um Kriege kümmert, wird diese Menschlichkeit einer Prüfung unterzogen, die sie besteht und doch auch wieder nicht.
Am Ende des Filmes kehrt die Gruppe zu jenem Gehöft zurück, welches das erste gewesen ist auf ihrer Reise. Hier zeigen sie einen kurzen Film, welcher „Um sechs Uhr Abends nach dem Krieg" heißt. Doch die Bauern verstehen nicht, dass es sich hierbei nur um eine Fiktion handelt. Sie sehen die feiernden Menschen und glauben in diesem Moment ebenfalls, dass der Krieg ein Ende gefunden habe.
Dies ist das tragisch-komische, nachdenkliche Ende des Films. Die Mitglieder der Agitbrigade werden wieder entlassen in die Unberechenbarkeit des Stalinismus, die auch nach dem wirklichen Ende des Krieges anhielt. In dieser an sich unmenschlichen Welt siedelt Melnikov eine leise, still dahinfließende Geschichte an, die betont, dass sich trotz der gewaltigen Gegensätze und Unterschiede letztendlich immer Menschen gegenüberstehen, die, bis zu einem gewissen Punkt, die Wahl haben, wie sie sich verhalten.
gesehen von Paul Mittelsdorf