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Seit Otar fort ist

Daten

 

Seit Otar fort ist...

F, B 2003, 103 Min

REGIE: Julie Bertucelli
DARSTELLER: Esther Gorintin, Nino Khomasuridze, Dinara Droukarova

 

 

Regie: Julie Bertucelli

 

Kinostart: 06. Mai 2004

 

Hoch gelobt von großen Filmfestivals und mit großen Preisen bedacht, wartet ein Film auf seinen Kinostart am 6. Mai 2004 in Deutschland. "Seit Otar fort ist..." ist eine französisch-belgische Produktion, der Kritiker gerne ihre Loblieder mitgeben möchten. Doch Vorsicht, geben wir dem Werk von Regisseurin Julie Bertuccelli kein glitzerndes Gewand aus Aufzählungen der Preise, starken Superlativen der Pressestimmen oder üblichen Marketing-Aktionen. Denn der Film ist gut, sogar sehr gut. Einfach, klar und liebevoll erzählt er eine Geschichte und man möchte seinen Freunden einfach nur raten, "geht hinein".

Nun läuft ein solcher Film gegen die Gewalt zahlloser amerikanischer Produktionen und seichter europäischer Komödien an. Und selbst wenn der einfache Charme und die Natürlichkeit des Filmes durch die Werbetrommeln nie richtig angekündigt werden können, so ist es doch unsere Aufgabe als Kritiker den Zuschauer auf einen guten Film aufmerksam zu machen.

Der Film "Seit Otar fort ist..." von der Regisseurin und Drehbuchautorin Julie Bertuccelli erzählt die Geschichte von drei Frauen in Georgien. Es sind Großmutter Eka, ihre Tochter Marina und deren Tochter Ada, die gemeinsam in ihrer Wohnung in Tiflis leben und von einem mühevollen Alltag bestimmt werden. Der einzige Mann, der wirklich Einfluss auf die drei hat und ihrem Leben etwas zu geben scheint, ist Otar, Ekas Sohn und Marinas Bruder. Er ist nach Paris gegangen und versucht dort als illegaler Einwanderer Arbeit und eine Wohnung zu finden.

Eka, die verwitwete Großmutter, gespielt von Esther Gorintin, ist alt und krank. In ihrem Leben gibt es nichts mehr außer die gelegentlichen Briefe und Anrufe von Otar, den sie über alles liebt und der ihr, wie es scheint, wichtiger ist, als die bei ihr lebende Tochter Marina. Diese, dargestellt von Nino Khomassouridze, ist eine ausgebildete Ingenieurin ohne Arbeit, welche die Familie nur durch geborgtes Geld und den Verkauf ihres Hausrates auf dem Flohmarkt mühselig versorgen kann. Sie leidet darunter, dass sich die Liebe ihrer Mutter nur auf den abwesenden Otar bezieht. Selbst Marinas Tochter Ada scheint der Großmutter wichtiger zu sein. Die junge Frau, gespielt von Dinara Droukarova, studiert, unsicher darüber, ob das in Georgien etwas bringen könnte, und ist zugleich auf Jobsuche. Da die Großmutter viel Bewunderung für Frankreich hat und Onkel Otar dort lebt, hat Ada schon früh französisch gelernt. Aber auch ihre sehr guten Sprachkenntnisse lassen sie keinen ordentlichen Job finden und so bleibt ihr neben dem Studium nichts anderes, als der Großmutter Otars Briefe vorzulesen und ihr die Briefe an den Onkel zu schreiben.

So leben die drei bis eines Tages Marina die Nachricht erreicht, dass Otar in Paris tödlich verunglückt ist. Da sie sich nicht traut, es Eka beizubringen, überredet sie Ada nun Briefe in Otars Namen zu verfassen und damit die Großmutter weiter glauben zu lassen, es ginge dem Sohn gut und er würde ein einfaches, doch zufriedenes Leben in Paris führen. So geht es eine zeitlang, bis Eka ihren Sohn ein letztes Mal sehen möchte und beschließt nach Frankreich zu reisen.

In der Abhängigkeit zu dem fernen Otar wird der Zuschauer an die Beziehungen der drei Frauen untereinander herangeführt, aber es ist mehr noch ein Treffen dreier Generationen Georgiens. Regisseurin Julie Bertuccelli versteht es mit den drei Schauspielerinnen auf einfache und ehrliche Weise drei Leben vorzustellen in denen der ferne Sohn-Bruder-Onkel im Grunde keine weitere Figur ist, sondern vielmehr den Sinn im Leben jeder einzelnen ausmacht. Für die Großmutter ist er die Erfüllung des eigenen Lebens. Das Kind, das seinen Weg geht und sein Leben lebt. Die Generation dessen Leben am Ende ist und an einem ruhigen Lebensabend zurückblicken möchte und hofft, dass es den Kinder gut, ja "besser" geht. Es wundert nicht, dass Tochter Marina hier weniger wahrgenommen wird, als der ferne Otar, denn wie könnte Eka Zufriedenheit finden über das unglückliche Leben Marinas. Zudem ist Eka die Generation die bessere Zeiten des Landes erlebt hatte und Schwierigkeiten mit der neuen Zeit hat. Es ist die Zeit Marinas, in der das Großreich der Sowjetunion zusammenbrach und Georgien nicht nur wirtschaftlich abstürzte sondern auch die Gesellschaft in ihrem inneren. Ein falsches System, falsche Werte und ein falscher Glaube werden der Generation vorgeworfen und gleichzeitig wird sie in eine neue Welt gestoßen. Marina steht wie so viele Georgier ohne Arbeit da. Sie hat resigniert und ernährt mühsam die Familie mit dem Verkauf von Hausrat. Ihr ist der ferne Bruder nicht wirklich verhasst, weil ihn die Mutter ihr vorzieht. Die Zurücksetzung ist ihr Ansporn weiter zu machen und die Mutter zu umsorgen. Otar gibt auch ihr ein wenig Sinn im Leben. Doch vielleicht am nahesten geht dem Zuschauer die Tochter Ada. Allmählich wird sie im Laufe des Filmes zur eigentlichen Protagonistin. Die jüngste Generation Georgiens ist wie überall diese mit Kraft, Träumen und Hoffnung. Auf sie blickt man und fragt sich, ob die junge georgische Frau eine Zukunft hat oder wie Marina bald in einem tristen Leben gefangen sein wird. Der Onkel steht für sie als die Hoffnung. Briefe von ihm sind Berichte aus einer anderen Welt wo man noch Chancen hat. Und als Otar tot ist und Ada die Briefe schreibt, träumt sie in den Briefen laut was auch sie sich erhofft.

Ein gutes Drehbuch hat sich hier gefunden mit einer bezaubernden Einfachheit welche die Darsteller wunderbar übernehmen und in ebenso einfachen Bildern mehr als glaubhaft darstellen. Lange Einstellungen und wenige, einfache Schnitte lassen den Zuschauer zusehen und die vielen kleinen Details und Stimmungen wahrnehmen und verstehen. Man wird in die Gefühlswelt der drei Frauen eingeladen und erlebt einen Teil und das "Heute" Georgiens. Da ist eine Wohnung mit schönen alten Möbeln, aber die Tapeten sind vergilbt, das Telefon funktioniert nicht richtig, der Strom fällt immer wieder aus und das Mobiliar ist doch nichts wert. Ada erfreut sich an dem Bild eines Mannes, das sie im Kaffeesatz einer Tasse erkennen will; ein Bild Marinas steht im Regal, auf dem sie sich eine Pistole an den Kopf hält. Eka bindet Stofffetzen an einem so genannten Wunschbau, immer wenn sie an diesem vorbei kommt. Und da sind die klaren Blicke auf die Stadt Tiflis, die großen eintönigen Bauklötze, der große Flohmarkt, das alte Krankenhaus mit dem Arzt der verlegen nach seinem Geld fragt, die Post mit langen Schlangen an den Schaltern und einer jungen, unhöflichen Angestellten.

Die Stimmung des Films trägt sich über den Abspann hinaus. Wenn am Ende Ada eine Entscheidung trifft, kommt das nicht wirklich überraschend für den Zuschauer und dennoch wird damit ein sehr gelungenes Ende begründet. Es berührt und macht zufrieden, dass die alte Eka und die junge Ada nur einen kurzen Blick und ein leichtes Nicken brauchen um sich zu verstehen, dann ergreift Ada ihre Chance. Dennoch ist es kein plumpes "Happy-End". Erfreut über die Entwicklung der Figur der jungen Tochter bleibt man noch weiter in der Stimmung des Filmes und denkt über die erlebten Bilder nach.

 

Gesehen von Tankred L. Tumpach



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