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© Richard Hübner / Berlinale 2018, Adina Pintilie

 

Der Gewinnerfilm der Berlinale 2018 sorgte für umstrittene Kritiken und Meinungen. Nicht selten heißt es der Film sei „verstörend“ oder ein „expliziter Sexfilm“. Viele Zuschauer verließen während der Vorführung sogar den Saal. Ein Beweis dafür, dass solche Filme dringend gebraucht werden, um den Horizont der Gesellschaft zu erweitern.

 

Der Experimentalfilm wirkt wie ein persönliches Forschungsprojekt der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie. Nachdem die Kamera demonstrativ aufgebaut wird, beginnt die Erkundung von Intimität in kalt-weißen, steril anmutenden Bildern, die dem Thema genügend Raum lassen und zugleich einen gewissen Abstand zu den Figuren ermöglichen. Gezeigt werden drei Protagonisten, die sich nach körperlicher Nähe sehnen und sich dabei ihren Ängsten stellen müssen. Gleichzeitig scheinen wir selbst beobachtet zu werden. Nicht nur weil die Kamera zu Beginn direkt auf uns gerichtet wird, sondern weil wir zu jedem Zeitpunkt des Films gezwungen werden, unsere eigenen Wertvorstellungen von Körperlichkeit und Begehren zu reflektieren.

 

© Manekino Film/ Rohfilm /Pink /Agitprop /Les Films de l'Etranger, Touch Me Not (Laura Benson)

 

Laura, eine Frau um die fünfzig, kann sich nicht berühren lassen. Bereits wenn jemand zu nahe bei ihr sitzt, fühlt sie sich unwohl. Sie hofft, dass die transsexuelle Hanna Hoffmann und der spirituelle Sexarbeiter Seani Love ihr helfen können, sich von ihren Zwängen zu befreien. Diesen beinahe therapeutischen Sitzungen haben mit Obszönität nichts zu tun. Das Ziel Lauras körperliche Freiheit wiederzufinden, steht stets im Vordergrund. In einem anderen Workshop lernen behinderte und nicht-behinderte Menschen, sich gegenseitig zu berühren. Tómas fällt es sichtlich schwer das Gesicht des behinderten Christians zu betasten. Christians Körper ist durch eine Krankheit klein und vollständig gelähmt, aus seinem Mund, den er nicht schließen kann, läuft Speichel und heraus ragen drei angefaulte Zähne. Er nimmt es gelassen, als Tómas sagt, dass es ihm unangenehm sei ihn zu berühren. Es ist Christian, der in diesem Film am meisten beeindruckt. Ein intelligenter und mutiger Mann mit schönen blauen Augen beweist uns mit jeder seiner Aussagen, dass er mit sich und seinem Körper völlig im Reinen ist. Die Beziehung zu seiner Frau, die ihn schützend trägt und liebkost zeigt eine Intimität von einer zärtlichen Schönheit auf einer völlig anderen Ebene.

 

© Ali Ghandtschi / Berlinale 2018, Christian Bayerlein & Grit Uhlemann

 

Was genau an dem Film „verstörend“ sein soll erschließt sich mir nicht. Ja, es gibt Sex-Szenen und ja, auch in einem SM-Club. Diese Szenen haben jedoch weder etwas Unmoralisches noch Perverses an sich. Was im Swinger-Club gezeigt wird, gilt nicht etwa dem voyeuristischen Blick des Zuschauers (Vielleicht ist es ja gerade das, was das Publikum stört?) - gezeigt wird vielmehr ein Raum, in dem jeder Mensch (behindert, transsexuell oder sonstiges) willkommen ist, seine Sexualität zu genießen. So finden sich dort auch die Protagonisten wieder, die sich unabhängig von Schönheitsidealen und konservativen Normen frei fühlen können. Es wundert schon sehr, dass in Zeiten der allzugänglichen Pornografie 2.0 und nach zahlreichen Sexszenen in Film und der expliziten Thematisierung in der Populärliteratur („Fifty Shades of Grey“) Sex im Film noch so „verstört“. So ist es wohl kaum der Sex, sondern eher das Tabuthema Sexualität und Körperlichkeit von Behinderten, das die Gesellschaft aufschreien lässt. Höchste Zeit also, diesem Thema mit einem Film Beachtung zu schenken.

 

Doch der Film bietet noch so viel mehr. Der Anblick von unperfekten Körpern in Großaufnahmen, das Kennenlernen von für uns fremden Beziehungen und der unkonventionelle Geschlechtsverkehr eröffnen uns ganz und gar neue Perspektiven. Dabei zeigt uns der Film unsere noch immer vorherrschende Abhängigkeit von lächerlichen Schönheits- und Beziehungsidealen à la Hollywood auf, die wir nach außen hin nur zu gern leugnen. Er eröffnet uns einen Weg zur Akzeptanz von Andersartigkeit und vielleicht auch der eigenen Makel. „Touch Me Not“ berührt ganz im Gegensatz zu seinem Titel auf eine so unmittelbare Weise, dass es einen nicht mehr loslässt.

 

Gesehen von: Daniela Magnani Hüller

 

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