Professionell daneben
Es ist schon erstaunlich, wie häufig in Filmen seltsam bis grob falsch mit professionellen Verhaltensweisen und Fachbegriffen umgegangen wird. Zu den Aufgaben von Drehbuchautor*Innen gehört es, den verschiedenen Filmfiguren jeweils ein authentisches Verhalten und eine adäquate Sprache zu geben. Das wird besonders dann wichtig, wenn es sich um bestimmte Berufsgruppen handelt, in Krimis etwa die der ErmittlerInnen oder die von Pathologen und Mediziner*Innen. Aber gerade wenn es um Krimis geht, halten sich die meisten von uns ja automatisch für erfahrene Fachleute. Schließlich hat man ja unzählige Krimis und Krimiserien gesehen und um die Wahrheit zu sagen, viele der gesehenen Krimis stammten zu allem Überfluss aus den USA. Nun und genau da beginnen die Probleme...
Berufssprache
Faule DrehbuchautorInnen nehmen da auch gerne medizinische Texte, die sie im Internet finden per Copy & Paste rüber in Dialogbereiche ihrer Drehbücher und erzeugen damit Textwüsten voll von Fachbegriffen, welche das Berufsfeld der jeweiligen Figur unterstreichen sollen. Als wenn das Realismus wäre. Tatsächlich würden diese in der Realität nie so reden, es sei denn, sie halten Vorlesungen an der medizinischen Fakultät und außerdem langweilt so etwas die Zuschauer zutiefst. Hier muss also eine gute Balance zwischen Zuschauer- tauglichen Dialogen und hier und da ein paar Hinweisen auf den beruflichen Hintergrund gefunden werden. Ganz besonders peinlich wird es in vielen Krimis beispielsweise, wenn die Autor*Innen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Das beginnt schon bei Begrifflichkeiten.
Wie oft sprechen ErmittlerInnen in Krimis von Morden, Mördern und Mordopfern? Das ist aus Sicht von tatsächlichen Polizisten absoluter Unsinn. Diese sprechen von einem Tötungsdelikt und von einem Täter oder einem Tatverdächtigen. Die Begriffe Mord und Mörder werden erst in einem späteren Gerichtsverfahren als Ergebnis der Verhandlung verwendet, ebenso wie Totschlag oder Affekt.
Ebenso gibt es den "Durchsuchungsbefehl" nicht, es gibt lediglich den "Durchsuchungsbeschluss". Andererseits gibt es den "Haftbefehl" tatsächlich.
Sehr häufig werden bestimmte Funktionsträger*Innen in Krimis nicht mit ihrem Namen, sondern ihrer Berufsbezeichnung angesprochen. "Frau Staatsanwältin", "Herr Kommissar",- das ist in der Realität abgeschafft und unüblich,- hilft aber beim Storytelling, damit die Zuschauer*Innen die verschiedenen Personen im Film besser zuordnen können. Anders verhält es sich mit Gerichtsverhandlungen, dort sind Nennungen von Berufsbezeichnungen immernoch üblich.
Manchmal unterscheiden sich auch die Benennungen von Land zu Land. Wenn die Krimis in Koproduktion etwa zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz (z.B. "Tatort" oder "Zürich-Krimi") entstehen, dann stellt sich die Frage, ob die Schweizer Abteilung "Delikte Leib und Leben" in der synchronisierten Fassung für Deutschland und Österreich vielleicht auch "Mordkommission" genannt wird.
Filmische Verhaltensweisen
Manche Unterschiede oder streng genommen Fehler gegenüber der Realität sind allerdings auch inhaltlich gewollt, weil dramaturgisch wirkungsvoller. Oder man möchte die Zuschauer*Innen nicht durch allzu viele Personen verwirren und lässt die Hauptfiguren Jobs erledigen, die in der Realität Andere ausführen würden.
Verhaftungen etwa werden in der Wirklichkeit gerade nicht von Kommissar*Innen vorgenommen, doch wie langweilig wäre der Krimi, wenn die Ermnittler nach 90 Minuten mühsamer Tätersuche nicht einmal die Verhaftung selbst vornehmen dürfen. In der Realität sind es so gut wie immer separate Polizisten, welche Verhaftungen vornehmen, in den Krimis aber überlässt man das berühmte "Ich verhafte Sie wegen...." am liebsten den Hauptfiguren des Krimis,- den KommissarInnen. Ein Fehler, der gewollt ist und den die Zuschauer geradezu erwarten.
Es ist nicht mehr zu rekonstruieren, wer damit begonnen hat, aber dass an einem Tatort Kaffee getrunken oder gar etwas gegessen wird, stellt eine Verunreinigung dar und behindert die Spurensuche. Gleiches gilt für die Obduktionen. Doch wenn die Ermittler besonders cool dargestellt werden sollen, werden derartige professionelle No Gos einfach übergangen.
Auch wenn es natürlich emotional und dramaturgisch sehr dankbar ist- man führt nahe Angehörige der Toten nicht in die Gerichtsmedizin um diese zu identifizieren.
Und Obduktionen werden stets von zwei personen vorgenommen, nicht von einer Person allein, selbst wenn es vielleicht sogar eine der Hauptfiguren des Krimis ist und das absolute Vertrauen der Zuschauer besitzt.
Die so genannte Gegenüberstellung bei der Zeugen durch eine verspiegelte Glasscheibe eine Reihe von Personen begutachten um eine*n davon zu identifizieren, sieht zwar cool aus, ist aber wegen zu vieler Fehlerquellen längst nicht mehr üblich.
Gerne werden auch in Krimis die selbstverständlichsten Ermittlungsschritte ausgelassen. Wenn eine Person einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen ist und man lässt aus, nach Verwandten zu suchen oder die Wohnung des Opfers zu durchsuchen, dann ist da grundlegend etwas schief gelaufen in dem Aufbau des Krimis. Aber solche Dinge kommen regelmäßig vor...
Fehler die das Bild optimieren
Manche Fehler in Krimis sind auch technischen oder visuellen Gegebenheiten geschuldet, Film ist natürlich ein visuelles Medium, die Zuschauer wollen tolle, spannend ausgeleuchtete Aufnahmen sehen.
So wären Ermittler, die vom Auto aus irgendwelche Observationen tätigen, niemals beleuchtet, doch die Kamera braucht nunmal Licht, um die Mimik der Filmfiguren attraktiver zeigen zu können.
Genauso ist die Seitenscheibe dann meistens heruntergelassen,- das verhindert Spiegelungen auf dem Glas,- ist aber ebenfalls unüblich.
Polizeifahrzeuge, die zu einem Einsatz fahren, tun dies mit Blaulicht und Sirene, um im Straßenverkehr schneller voran zu kommen. Am Einsatzort angekommen, wird das Blaulicht aber ausgeschaltet. Doch für die Kamera sind die blauen Lichteffekte einfach viel spannender, also bleibt das Blaulicht im Film an.
Auch die Spurensicherung, in den Krimis liebevoll Spusi genannt, macht viele Dinge vor der Kamera anders als in der Realität. Häufig wuseln am Totort bereits Leute von der Spurensuche herum, wenn die Ermittler eintreffen, tatsächlich läuft es immer genau umgekehrt, es sind die Ermittler, welche die Spurensicherung beauftragen, die dann definitiv nach ihnen eintrifft.
Auch das Kostümbild übersieht gerne mal gängige Regeln an Tatorten. Nicht nur die Leute von der Spurensicherung, sondern auch die Kommissar*Innen müssen weiße Schutzkleidung tragen, um den Tatort nicht zu verunreinigen. Aber dann würde man das coole Outfit der Kommissare ja nicht mehr sehen, und viele Schauspieler*Innen wollen schlicht nicht in so blöden Plastikoutfits stecken.
Wird auf ein Fahrzeug geschossen und der Benzintank getroffen, so würde das Fahrzeug normalerweise nicht explodieren, es würde höchstens zu brennen beginnen. Aber mal ehrlich,- was sieht eindrucksvoller aus?
Verschlossene Türen werden nicht aufgeschossen,- erstens funktioniert das nicht und zweitens wäre die Gefahr von einem Querschläger verletzt zu werden, viel zu groß. Aber natürlich ein toller Moment im Film.
Die überaus beliebten Verhörzellen, gerne auch komplett aus Glas und mit Jalousien versehen um den Einblick zu steuern, gibt es so im Fahndungsalltag überhaupt nicht. Das wird für die Zuschauer*Innen so gebaut, die Realität ist ganz anders. Da finden Verhöre einfach im Büro am Schreibtisch statt.
Auch die Pinboards mit Fotos, Karten und Querverbindungen, bei den Filmteams auch "Fallwand" genannt, sind nur für die Zuschauer*Innen gemacht, um ihnen das Verständnis der oft sehr wirren Storys zu erleichtern und den Kommissar*Innen besonders planvolles Vorgehen zu attestieren. Real ist das nicht.
Fachberatung
An Filmsets gibt es häufig Fachberater, welche gravierende Fehler vermeiden helfen. So wie kürzlich in einem Tatort gesichtet das Pistolenhalfter, welches der Kommissar verkehrt herum am Gürtel trägt. Gerne falsch dargestellt wird in Krimis auch, wie die Ermittler einen Tatort betreten und was sie dort tun. Doch bereits auf der Drehbuchebene würde manchmal etwas mehr Fachberatung gut tun.
Dabei wäre es gar nicht so schwer, sich das notwendige Wissen um die Abläufe und Begrifflichkeiten zu verschaffen. Die Polizei hat Pressestellen, die einem gerne einen Konktakt und ein Gespräch mit realen PolizistInnen vermitteln oder man greift auf Fachbücher zurück,- auch für die Berufe bei der Polizei gibt es Lehrbücher, welche alle Basics zuverlässig erläutern.
Filme sind anders
Nun kann man sagen, es sei kleinlich, solche Dinge für wichtig zu erachten, doch genau diese Details schaffen die notwendige Authentizität. Manche Dinge werden in den Krimis aus dramaturgischen Gründen trotzdem anders gemacht und wenn der Film dadurch spannender wird, drückt man natürlich auch ein Auge zu. Grundsätzlich aber schadet es nicht, wenn in den verschiedenen Arbeitsschritten bis hin zum fertigen Film (Drehbuch, Dreharbeit und Filmschnitt) darauf geachtet wird, möglichst viel Realismus zu wagen. Und der beginnt nun mal bei der gründlichen Recherche...