DOKfest 2015
Ab dem 07. Mai 2015 ging das Internationale Dokumentarfilmfestival, kurz und knackig DOK.fest genannt, in die mittlerweile 30. Runde und beschert seinen Besuchern erneut ein abwechslungsreiches Programm. Insgesamt 140 Beiträge aus 39 Ländern stehen auf dem Spielplan und sorgen für anspruchsvolle Unterhaltung auf hohem künstlerischem und intellektuellem Niveau. Und damit es auch abseits der Leinwand nicht langweilig wird, können sich Interessierte zwischen den Filmen bei vielen Events und Specials zusätzlich die Zeit vertreiben. Die Eröffnung des Festivals findet im Deutschen Theater statt, der dazugehörige Film kommt aus Dänemark, trägt den Titel The Circus Dynasty und erzählt eine Liebesgeschichte vor dem ausgefallenem Hintergrund einer Zirkusmanege.
Kritik: L´Abri
Das ist schon sehr konsequent, wie Regisseur Fernand Melgar dem Umgang der Schweizer mit den Fremden nachspürt. Er tat dies bereits mit "La fortresse" und seinem grandiosen "Vol special" und nun ein drittes Mal mit "Lábri".
Erzählt wird von den Menschen auf beiden Seiten der Tore einer Obdachlosenunterkunft in einem Bunker in Lausanne, mitten im Winter, wo sich jeden Abend viel zu viele Bedürftige um einen von 50 Schlafplätzen und warmes Essen bemühen.
Das ist beinahe schon das europäische humanitäre Hauptthema Migration reduziert auf einen Betongang und ein Stahltor, an dem eine Handvoll Einheimische die Schleuse nach jeweils 50 Existenzen aus der ganzen Welt wieder verschließen und die Übrigen der Unbehaustheit des Winters überlassen.
Das ist beeindruckend, wie direkt der Regisseur die Afrikaner, Spanier oder Rumänen in ihrer Notlage beobachtet, nicht nur die Abgewiesenen, auch jene die das Glück haben, einen Schlafplatz zu ergattern und auch Jene, die als Torwächter die undankbare Aufgabe haben, den Einlass regulieren müssen.
Die Abgewiesenen schlafen irgendwo, in Schuppen, auf Lüftungsschächten, im Auto. Der Filmemacher hält sich komplett zurück, beobachtet, lässt uns mit dabei sein auch in Momenten, bei denen man eigentlich Niemand dabei wissen möchte.
Wenn man etwas kritisieren möchte an dem Film, so ist es neben einer etwas einseitig dunklen Grundstimmung vielleicht etwas, dass außerhalb des Filmes liegt. Nämlich die latente Gefahr, dass einige der ausgewählten Protagonisten geeignet wären, Vorurteile bei, wie man sie neudeutsch nennt, "Wut-Bürgern" zu untermauern. Der junge Afrikaner etwa, der vor allem dem Wohlstand wegen in die Schweiz gekommen ist oder das spanische Pärchen, das mangels Arbeitserlaubnis in Not gerät, dabei könnten sie in jedem anderen europäischen Land als Europäer sofort arbeiten.
Was bleibt ist jedoch der Gesamteindruck, hier im Reagenzglas die Probleme eines ganzen Kontinents als Konzentrat beobachten zu können.
Kritik: A Global Joy
Da geht einer auf Reisen und will mehr über Straßenmusiker erfahren und lässt sich dabei filmen. Und weil man dabei den Zweiten, nämlich Jenen der die Kamera führt auch spürt und hört, wird dieser nach etwa 30 Minuten dann endlich auch eingeführt und ab und zu beim Tanken etwa oder beim Essen gezeigt. Nachwuchsregisseur Bruno Fritzsche, der mit dem Thema Musik bereits einmal auf dem DOK.fest lief und sein Produzent / Kameramann Max Plettau haben einen Reisefilm gedreht, der sich den fahrenden Musikern widmen will.
Man reist also durch einige europäische Städte, Frankreich, Spanien, aber auch über den Balkan und filmt Straßenmusiker, lässt sie ein wenig erzählen, wie es so ist das Musizieren, erfährt dass die Behörden sehr restriktiv sind und es aber viel Spaß macht und man viele Leute trifft.
Damit erschöpft sich aber auch bereits die Dramaturgie, die weitgehend nach dem Prinzip "auf einen Straßenmusiker folgt der nächste" fußt, unterschnitten mit Aufnahmen des Regisseurs beim Obst kaufen, im Käseladen, beim Wegräumen von Hindernissen zum Ausparken oder wahlweise auch beim Vorbeischlendern an Touristenständen.
Eigentlich eine tolle Idee, herausragende Straßenmusiker in mehreren Ländern aufzusuchen und mehr über sie zu erfahren. Einige der Musikdarbietungen sind richtig spannend, andere eher banal, irgendwann nach der Hälfte des Films ist das Erzählmuster allzu redundant, man ist den Machern ein wenig dankbar, dass nicht auch noch die peruanische Panflöten-Combo ein Ständchen bringen muss.
Zudem unternimmt der Filmemacher keinen wirklichen ernsthaften Versuch, diesen Menschen etwas näher zu kommen. Was sie genau leben, wie sie leben, wo sie schlafen, was sie zurückgelassen haben, wie ihre Zukunft aussehen könnte, was sie ersehnen, wovor sie sich fürchten,- keine der Fragen die etwas näher an die Menschen heranführen, wird gestellt. Lediglich einer der Musiker deutet an, dass er seine Freunde und Familie ja nicht wirklich verlassen habe und zurückkehren wolle.
Weshalb der Filmemacher bei all dem immer zuhörend im Bild ist, erschließt sich dem Zuschauer nicht wirklich. So hinterlässt der Film einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits sind da interessante Musiknummern und begabte Musiker zu sehen und zu hören, andererseits sind diese einfach nur aneinandergehängt, man weiß nicht so genau, wohin der Film den Zuschauer führen möchte.
Unter all dem liegen Voice-Over Texte die über weite Strecken pseudophilosophische Erkenntnisse abliefern, wie dass Straßenmusiker auch abends musizieren und dass Straßenmusik nun mal reglementiert ist in den Städten. Das erzählerische Defizit hat wohl der Filmemacher dann auch selbst irgendwann, vermutlich im Schnitt gespürt und sich dann gegen Ende dabei filmen lassen, wie er selbst relativ uninspiriert und erfolglos an verschiedenen einsamen Orten in München, wo nie ein Straßenmusiker spielen würde, musiziert.
Die Offton- Erkenntnis, dass es scheinbar nicht genügt, nur rum zu klimpern und man schon was drauf haben sollte als Straßenmusiker, leitet dann nach einem Zwischenspiel Münchner Musiker, über nach Amsterdam zu dem nun erfolgreichen Dub FX, der auch als Straßenmusiker begann.
So bleibt im Zuschauer eine Mischung aus Sympathie und Freude an den interessanteren Musiknummern und der Sehnsucht nach mehr planvoll erzählerischen Willen des Filmemachers. Aber vielleicht wollte der Film auch gar nicht den Atem eines Dokumentarfilms haben, sondern nur ein wenig gute Reisefilm-Laune im MTV-Stil verbreiten.
Reihen des DOK.festes
Neben den zahlreichen Wettbewerbsbeiträgen bietet das DOK.fest auch Reihen zu verschiedenen Schwerpunkten an, deren Beiträge außer Konkurrenz laufen. So zeigt DOK.guest Independent-Werke aus und über China, während DOK.panorama sich auf akzentsetzende internationale Beiträge konzentriert. Mehr als einen Blick wert ist auch DOK.special, eine Reihe, die sich auf Filmpatenschaften spezialisiert hat. Und Freunde des Rhythmus' dürfen sich im Rahmen von DOK.music auf Musik-Dokumentarfilme im Open-Air-Format freuen. In jeder Hinsicht hochaktuell ist DOK.money, wo interessante Dokumentationen zum Thema Geld präsentiert werden. Wirtschaftskrise, Staatsdarlehen, Schuldenerlass - bekannte Schlagwörter aus den Medien, zu denen DOK.money erhellende Blicke hinter die Kulissen wirft. Was ist Geld? Welche Zusammenhänge gibt es? Welche Auswirkungen haben digitale Zahlen auf den Menschen?
Apropos Geld: Insgesamt werden in diesem Jahr Preise im Gesamtwert von stolzen 43.000 Euro verliehen, was ohne die zahlreichen Stifter freilich nicht möglich wäre. So verleihen der BR und Global Screen gemeinsam den VIKTOR Main Competition in der Reihe DOK.international, dotiert mit 10.000 EUR. Der mit 5.000 Euro dotierte VIKTOR DOK.deutsch wird erstmals von Planet gestiftet und die Preisstiftung des VIKTOR DOK.horizonte, dotiert mit 3.000 Euro, hat die Petra-Kelly-Stiftung übernommen. Ganz neu sind die Preisstiftungen des DOK.fest Publikumspreises des BR Filmmagazins kino kino sowie der DOK.education Dokumentarfilmpreis für junge Menschen, gestiftet von der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag.
Doch ganz egal, ob als Teilnehmer oder Zuschauer: Das DOK.fest lohnt sich auf jeden Fall für jeden, der weltoffen und filmbegeistert ist, bietet Kino zum Anfassen und Eindrücke zum Mitnehmen.
Die diesjährigen Kategorien im Überblick:
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DOK.guest China
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DOK.international
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DOK.deutsch
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DOK.horizonte
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DOK.panorama
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Retrospektive Avi Mograbi
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DOK.special
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Münchner Premieren
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DOK.music - Open Air
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Filmschulfestival
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DOK.money
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14jugendfrei
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Best of Oscars
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DOK.network Africa
Kritik: The Circus Dynasty
Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Ausgabe ist hochwertig gedrehtes und vertontes Dokumentarfilmkino. "The Circus Dynasty" von Anders Riis Hansen aus Dänemark erzählt von den beiden Zirkusfamilien Casselly und Berdino, ihrem Alltag und ihren Hoffnungen und Perspektiven als Vertreter einer vielleicht aussterbenden Spezies.
Zu Beginn lernt man vor allem die Familie Casselly kennen, Vater, Mutter und zwei Kinder, die als Artisten und Tierdompteure mit dem kleinen Zirkus der Familie Berdino durch Skandinavien ziehen. Zirkusnummern, Training und Alltagsszenen wechseln sich ab bis der Film sich langsam der Liebesgeschichte der Tochter Merrylu und Patrick, dem Sohn des Zirkusdirektors zuwendet. Nach gemeinsamer Kindheit im Zirkus in der sie eher abweisend miteinander umgingen, sind sie seit zwei Jahren ein Paar, auch artistisch unter der Zirkuskuppel. Eine ideale Verbindung, wie Mutter Casselly erklärt, weil Artisten sich immer Artisten als Partner suchen,- so ruhen nun alle Hoffnungen der beiden Familien auf eine Weiterführung von Zirkus und Artistentradition auf diesem Paar.
Auch die Verlockungen, einem Angebot aus Amerika zu folgen, widersteht Familie Casselly, um die beiden Familien nicht auseinander zu reißen. Als das junge Paar sich plötzlich trennt, der Grund bleibt diffus, scheinbar hat Merrylu Patrick verärgert, weil sie häufiger am Handy Nachrichten mit Freunden ausgetauscht hat. Aber so richtig begreift man den Streit nicht, die Kamera ist erst wieder dabei als beide Zirkuskinder trauernd über ihren Stolz und die Trennung berichten. Ob hier der wahre Grund aus Respekt vor den Protagonisten ausgeblendet wird oder das Team schlicht den Moment verpasst hat, bleibt unerzählt. Irgendwie wird einen diese erzählerische Ungenauigkeit wegen der folgenden Konsequenzen für beide Familien bis zum Ende des Films als Defizit begleiten. Man würde gerne mehr Anteil nehmen, am Schicksal der ehemals Liebenden.
Geradezu klassisch tragisch dann wieder Aufnahmen von Vater Casselly, der nun, trotz gerissener Sehnen und Schmerzen mit seiner Tochter jene Nummer, die sie erfolgreich mit Patrick aufführte, einüben will und parallel dazu Patrick, der die gleiche Nummer hilflos mit seiner Schwester einzustudieren versucht.
Dokumentaristen mögen es als Glück bezeichnen, was sich da während eines Jahres Drehzeit, vor laufender Kamera an Entwicklungen und Entscheidungen auftut, für die beiden Familien, die sich nach der Saison nach 21 Jahren gemeinsamen Zirkuslebens trennen werden, eine Tragödie.
Während man zu Anfang zwischen einem bunten Mix aus Zirkusnummern und Alltag im Wohnwagen längere Zeit etwas rätselt, wohin einen der Film führen will, nimmt man umso stärker Anteil, als die Liebes,- und Trennungsgeschichte ausgebreitet wird. In der Gesamtsicht ein starker Film, vor allem durch die Offenheit der Protagonisten, auch durch eine kluge Kameraführung, ein aufwändiges Sounddesign und durchgehend komponierte Filmmusik, die auch manche Montageschwächen überbrücken hilft. Am Ende sind nicht nur die Cassellys und die Berdinos traurig.
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