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Poem D, USA 2003 REGIE: Ralf Schmerberg
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Regie: Ralf Schmerberg
So stelle ich mir einen gelungenen Kinoabend vor. Nach 90 Minuten verlässt der, vom eben gesehenen, berauschte Zuschauer mit beeindrucken Bildern im Kopf und wunderschönen Worten im Herzen den Kinosaal. Nicht wie so oft mußte man sich durch mühsame Dialoge und holprige Handlungen quälen, stattdessen erwarten einen bewegende, geheimnisvolle, abstrakte, suggestive, verstörende oder bizarre Bilder voller Magie und Ausdruckskraft.
Dem Problem der fortschreitenden Auflösung der Sprache hat sich der Regisseur Ralf Schmerberg mit "Poem" auf eine ganz eigene und besondere Art gewidmet. Sprache ist hier der einzige Grund weswegen der Film überhaupt existiert. Hier ist sie so lebendig und leuchtend wie es selten der Fall ist.
19 Gedichte von Lyrikern wie beispielsweise Ernst Jandel, Hermann Hesse, Paul Celan, Kurt Tucholsky oder Rainer Maria Rilke bilden die Vorlage für diese Liebeserklärung an die Macht des gesprochenen Wortes. Jedes dieser Gedichte wurde zu einer eigenen visuellen Episode. Namhafte Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer, Meret Becker, Jürgen Vogel, Hannelore Elsner, Anna Thalbach oder Richy Müller standen für dieses Projekt vor der Kamera oder rezitierten die lyrischen Werke. Bevor ich mir den Film angesehen habe, konnte ich mir nicht vorstellen, daß man die Kraft der Poesie in einer derartigen visuellen Schönheit und Klarheit umsetzen kann. Doch glücklicherweise irrte ich mich.
Die visuelle Umsetzung der Lyrik sprüht nur so vor Originalität, Ideenreichtum und Mut. Es ist nie die nahe liegendste Lösung und doch könnte sie jeweils nicht treffender gewählt sein. Die oft gegensätzlichen Episoden verlangen dem Zuschauer einiges ab, denn aufgrund der schnellen Abfolge der Geschichten, bleibt keine Zeit das Gesehene wirklich in seiner Komplexität auf sich wirken zu lassen. Mal findet sich der Zuschauer an Schauplätzen wie Island, im Himalaya oder Rio wieder, ein anderes mal in einer Sozialwohnung, in der Jürgen Vogel umgeben von Spielzeug, Chips, einer nervigen Ehefrau und Kindergebrüll einen Proll im ganz alltäglichen Wahnsinn gibt. In einer Episode rezitiert Richy Müller Heiner Müllers Gedicht "Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen" während man auf mehrere sich entflammende Hochzeitskleider blickt. Doch das Herz des Betroffenen steht nicht in Flammen. Hier findet die Zerstörung der Illusion Liebe statt.
"Poem" ist eine Reise durch die vielen Stationen unseres Daseins. Gefüllt mit Leben, Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Die Zuschauerreaktionen waren gemischt. Während einige früher gingen, gab es von anderer Seite Zwischenapplaus. Nach Filmende ging ein vereinzeltes Buhrufen im ansonsten zustimmenden Applaus unter. Ralf Schmerberg, der sich bisher vor allem als Werbefilm- und Musikvideoregisseur einen Namen gemacht hat, musste seinen Film in erster Linie aus Honoraren früherer Aufträge finanzieren, da er mit seiner Idee bei Filmförderern und Redaktionen auf taube Ohren stieß. Deutsche Lyrik im Zusammenspiel mit Film wollte man sich dort scheinbar nicht vorstellen. "Eher hätte ich ein fickendes Pärchen auf dem Alex durchgekriegt als diesen Film", so der entäuschte Schmerberg. Am heutigen Donnerstag läuft der Film bundesweit in den Kinos an. Nicht entgehen lassen!
gesehen von Birgit Bagdahn