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Kinostart: 05.04.2018
Regie & Buch: Yaesmin & Nesrin Samdereli
D 2017
FilmlÀnge: 97 Min
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In einer Partnerschaft mit ein und demselben Menschen mehr als fĂŒnfzig Jahre seines Leben zu teilen, scheint fĂŒr viele junge Paare heute unvorstellbar. Ganz zu schweigen von der JungfrĂ€ulichkeit vor der Ehe. Doch solche Beziehungen waren vor ein paar Jahrzenten noch völlige NormalitĂ€t. Wie schaffte die Generation unserer GroĂeltern das? Und was bleibt da am Ende, wenn man ein ganzes Leben miteinander verbracht hat?
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Diese Fragen hat sich der Film â Die Nacht der NĂ€chteâ zum Thema gemacht. Nach der Komödie âAlemanya â Willkommen in Deutschlandâ ist es der zweite Film der der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli. Der Dokumentarfilm nĂ€hert sich gleichermaĂen unterhaltsam wie tiefsinnig dem Thema und stellt dazu vier Paare aus drei Kontinenten in den Mittelpunkt, die seit 55 oder mehr Jahren zusammen sind. Die Protagonisten erzĂ€hlen dabei mit groĂer Offenheit ĂŒber Liebe, Partnerschaft und Sex, aber auch ihre ĂŒber Probleme und die Gesellschaft.
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Da ist einmal das indische Ehepaar Kamala und Hampana, zwei humorvolle Menschen die viel Lachen und sich trotz mancher Streitpunkte immer wieder gern in den Arm nehmen. Dabei begann ihre Beziehung alles andere als leicht. Beide lernten sich auf der UniversitĂ€t kennen und Hampala war sofort angetan von der fleiĂigen und schlauen Frau, die unter den nur wenigen Frauen auf der UniversitĂ€t einen groĂen Wissensdurst hatte. Die beiden verliebten sich, doch die Familie von Hampala war gegen die Beziehung, da dieser aus in einer höheren Kaste stammte als Kampala. Seine Mutter drohte ihm sogar mit Selbstmord, andere Familienmitglieder sorgten dafĂŒr, das Kampala ihren Job verlor. Aber die beiden blieben hartnĂ€ckig und heirateten ohne es jemandem zu erzĂ€hlen. Obwohl sich die GemĂŒter nach deren ersten gemeinsamen Kind etwas beruhigten, geht besonders Kamala die damalige Erfahrung selbst heute noch sehr nahe.
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Auch das japanische Ehepaar Shigeko und Isao weiĂ wie es ist gesellschaftlichen Normen unterworfen zu sein. Shigeko wuchs als Tochter eines Reisbauern auf, sie wusste wie hart die Arbeit auf den Feldern war und wĂŒnschte sich sehnlichst Schneiderin zu werden. Doch nach dem Krieg war das Essen knapp und Shigekos Eltern wollten ihre Tochter versorgt wissen. Die Familie suchte ihr einen Ehemann aus und fand Isao. Obwohl es fĂŒr sie ein Fremder war, wurde geheiratet und sie fand sich bald hart arbeitend auf dem Feld oder im Haushalt wieder. Es war eine schwere Zeit fĂŒr Shigeko, die sogar einmal floh, aber die Familie schickte sie zurĂŒck zu ihrem Ehemann. Erst nach der Geburt ihres Kindes nĂ€herten sich die beiden an. Shigeko sah in ihm endlich den fĂŒrsorglichen und weichen Menschen, den sie sich gewĂŒnscht hatte. Noch heute macht Isao sich groĂe VorwĂŒrfe, dass er Shigeko damals nicht mehr Arbeit abnahm. Man merkt, dass Shigeko sich vielleicht ein anderes Leben gewĂŒnscht hĂ€tte, doch spĂ€testens als sie an Neujahr im Kreise der Familie sitzen geht sie auf.
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In einem ganz anderen Kulturkreis leben das Ehepaar Hildegard und Heinz auf einem kleinen Hof in Deutschland. Die beiden scheinen Grund auf verschieden und verpassen keine Gelegenheit sich kleine Seitenhiebe zu verpassen. Ganz offen sprechen sie darĂŒber wie sie es geschafft haben ihre Beziehung ĂŒber die Jahre hinweg immer wieder zu ârettenâ. Sie sind wohl das komischste Paar des Films, erinnert ihr Verhalten doch manchmal auch an das von Kindern. Zum einen machen sie was wollen und möchten auch immer Recht haben behalten, zum anderen schaffen sie Streiteren entweder mit einem KĂŒsschen oder mit schierem Auseinander gehen kurzerhand wieder aus der Welt.
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Und dann ist da noch das homosexuelle Paar Norman und Bill, die es in den USA der sechziger Jahre nicht leicht hatten mit ihrer SexualitĂ€t. Schon frĂŒh lernten sie sich kennen und lieben, ihre Familien akzeptierten ihre HomosexualitĂ€t, doch offen wurde nie darĂŒber gesprochen. Als ihnen klar wurde, dass sie nach der damaligen Gesetzeslage weder ein Anrecht auf das jeweilige Erbe des anderen hatten, noch den anderen im Krankenhaus besuchen dĂŒrften, beschlossen sie sich als âVaterâ und âSohnâ zu adoptieren, um sich abzusichern. Doch ideal war diese Lösung nicht und als einige Jahre spĂ€ter die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt wurde, war klar: sie wollen heiraten. Der Richter schrieb mit ihrem Fall Geschichte, als er erlaubte die Adoption zu annullieren, um den Weg fĂŒr eine Hochzeit freizumachen.
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Die Interviews mit diesen tollen und individuellen Paaren machen den Film zu einem ganz besonderen Erlebnis. Man spĂŒrt ihre Liebe und Verbundenheit, fĂŒhlt aber auch ihre Wut und Trauer ĂŒber unfaire Zeiten oder ihren Unmut ĂŒber den Egoismus oder die Sturheit des jeweils anderen. Und immer wieder muss man auch einfach ĂŒber die SprĂŒche und schrĂ€gen Eigenheiten der Paare lachen, z.B. wenn Heinz mit einem GolfschlĂ€ger die Pinienzapfen von seinem GrundstĂŒck entfernt indem er sie ohne RĂŒcksicht auf Verluste einfach Nachbarn rĂŒberschieĂt und auch noch gröĂten SpaĂ daran hat.
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Neben der emotionalen Berg- und Talfahrt werden hin und wieder Knetanimationen der Paare von der KĂŒnstlerin Izabela Plucinska gezeigt. Diese sind zwar ohne Zweifel sehr speziell und interessant vom Look, doch der Mehrwert fĂŒr den Film lĂ€sst sich nicht ganz erschlieĂen. Weder kommen wir den Figuren dadurch nĂ€her, noch scheint uns der tragikomische Kommentar etwas zu nĂŒtzen. Wer sich jedoch nicht ĂŒber die tiefere Bedeutung dieser Szenen Gedanken macht und sich allein an deren OriginalitĂ€t erfreuen kann, dem werden diese Sequenzen sicherlich auch gefallen. Das einzige was das emotionale Erlebnis etwas stört ist die schnelle, auf Komödie geschnittene Musik, die vielleicht zu dem vorherigen Film der Samdereli Schwestern gut passte, in einem so tiefsinnigen und schon von allein so komischen Dokumentarfilm, wirkt sie jedoch fehl am Platz. Der Film lohnt sich trotzdem, nicht nur weil er schön anzusehen ist, sondern weil man etwas daraus mittnehmen kann.
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Gesehen von: Daniela Magnani HĂŒller
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