Er gehört zu den Regisseur*Innen der Berliner Schule, wir sprachen mit ihm in München
Interview mit Jean-Pierre und Luc Dardenne
Zwei Auszüge von Ihren sehr ausführlichen Antworten können Sie im Original (französisch) als Windows Media Video ansehen. Die Brüder haben bereits mit ihrem Film "Rosetta" die "Goldene Palme" gewonnen sowie auch mit ihrem aktuellen Projekt "L' Enfant".
MC: Hat die Goldene Palme, die sie 1999 mit „Rosetta“ gewonnen haben, Ihnen bei Ihren weiteren Projekten geholfen?
Der Preis hat uns natürlich geholfen, Gelder für die neuen Projekte zu bekommen. Es ist immer dasselbe mit einem Erfolg: Er schafft eine Art von Spannung und liegt schwer auf den Schultern. Man muss jedoch weiter Filme machen und sich dabei frei fühlen können. Man muss den Erwartungsdruck vergessen.
Als wir die Goldene Palme bekommen haben, waren wir natürlich sehr froh, haben sie aber nicht in unser Büro sondern in einen Schrank im Keller gestellt. Den Preis wollen wir vergessen, wir haben ihn glücklicherweise gewonnen, nun wollen wir uns aber Neuem widmen.
MC: Haben Sie es geschafft, den Preis „zu vergessen“?
Nicht ganz. Wir haben mit derselben Crew diesen und auch den nächsten realisiert. Es ist auch eine Gefahr, dass man bei einem solchen Erfolg selbstzufrieden wird. Öfter ist es so, dass ein Scheitern einen künstlerisch weiter bringt - Was natürlich nicht heißen soll, dass das Scheitern Freude macht.
Unser Tipp: Machen Sie erst einmal viele Misserfolge. Dass heißt nicht, dass man schlechte Filme macht. Wenn man sich als Anfänger darüber im Klaren ist, dass man nicht so gut war, ist das sehr produktiv für den nächsten Film. Man muss bei jedem neuen Projekt die Arbeitsmethode finden, die dem Projekt entspricht und nicht immer die gleiche verwenden. Jeder hat seine eigene Methode.
MC: Manche denken beim Filmemachen direkt an das Publikum, wie es den Film aufnimmt etc. Andere lassen diesen Aspekt außen vor. Wie sehen Sie das?
Man sollte bei der Arbeit nicht in solcher Weise an den Zuschauer denken, wie intelligent er ist oder wie er „dies oder das“ beurteilt, das sollte einem nicht wichtig sein. Aber trotzdem muss man an die Öffentlichkeit denken. Letztendlich macht man ja den Film immer für einen Zuschauer. Das heißt also schon, dass man an ihn denkt.
Dass man ihn zum Lachen bringen will, oder man will ihm diese Landschaft zeigen – aber man sollte nicht an den Effekt denken. An aller erster Stelle ist die Absicht und das Bedürfnis, diesen Jungen, dieses Mädchen zu zeigen. Nachher geh es darum, wie man die Erzählweisestrukturiert. Ob man gewisse Dinge schon verrät oder erst später preisgibt. Darum machen wir uns Gedanken im Bezug auf den Zuschauer.
„Kann man ihm dass vielleicht schon verraten, dass aber noch nicht?“ Das ist ein imaginärer Dialog. Die Hauptperson hat keine Ahnung, dass sie einen Irrtum begeht in der Geschichte. Der Zuschauer weiß mehr. Man fragt sich „Hat er das nicht begriffen, was er da macht?“.
Es gibt in der Karriere jedes Regisseurs einen Film, der aus unerfindlichen Gründen eine Chemie zwischen dem Publikum herstellt. Das ist keine Frage des Marketings, sondern einfach eine... ja, Chemie. Die Art, wie man den Film erzählt, geht im glücklichen Augenblick synchron mit dem Zeitgefühl. In diesen glücklichen Augenblicken kommt dann diese Chemie zustande.
MC: Können Sie die Entwicklung Ihres Filmemachens charakterisieren, von „Rosetta“ bis zu ihrem jetzigen Film? Was hat sich geändert und was wurde beibehalten?
Wir sträuben uns gegen den Begriff „System“. Es geht darum, in jedem neuen Film auch eine neue Art und Weise zu finden, wie man mit der Thematik umgeht. Es kann natürlich sein, dass sie sich aufgrund der Begebenheiten auch wiederholt. Es ist aber keine Methode oder System. Wir versuchen, uns die Einfachheit zu erhalten. Und die Lebendigkeit am Leben.
MC: Die Einfachheit inwiefern?
Die Einfachheit, mit der man die Welt und die Dinge sieht. Und sich die zu bewahren, das ist nicht leicht. In dem Moment, in dem man mit einer „Methode“ kommt, geht das verloren. In zu vielen Filmen erstarrt das Leben. Wir wollen uns die Lebendigkeit bewahren. In anderen Filmen geht es um Effekthascherei. Dort sind so Schablonen. „Wie sieht ein glücklicher Mensch aus?“ „Wie küsst man sich?“ Die Werbung hat einen großen Einfluss darauf. Nie die gleichen Bilder produzieren, das ist ganz, ganz wichtig.
MC: Ja, die Zuschauer reagieren ja auch auf die gleichen Bilder immer gleich.
Stimmt, es gibt viele Filme heutzutage, in denen man das Gefühl hat, in einem Werbefilm zu sitzen. Weil das immer eine so standardisierte Bildwelt ist. Wie sich zwei Menschen am Flughafen begegnen. Was für Gesichter sie machen. Das ist wie in der Werbung. Es scheint eine 08/15 Art und Weise zu geben. Das heißt nicht, dass die Thematik an sich nicht neu und schön sein kann. Man muss dazu aber immer eine neue Bildsprache finden. Man muss sich nach dem Leben richten und keinen Stil bedienen. Der italienische Regisseur De Filipo hat gesagt: „Wenn man nach dem Stil sucht, begegnet man dem Tod. Und wenn du nach dem Leben suchst, findest du den Stil.“
MC: Mit Schauspielern zu arbeiten, besonders mit Kindern, verlangt sehr viel Feingefühl und Kommunikationskönnen. Was finden Sie am wichtigsten für die Beziehung „Regisseur – Schauspieler“?
Casting ist mit das Wichtigste, das kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Dass man den geeigneten Schauspieler – egal of professionell oder nicht – findet. Deshalb machen wir das Casting immer selber. Für alle Rollen – auch die kleinen Nebenrollen.
MC: Und bei der Arbeit an sich. Wie kommunizieren Sie mit den Schauspielern?
Ich muss das sehr reduzieren, was ich sagen will. Denn jeder Mensch ist natürlich eine eigene Persönlichkeit. Es gibt Schauspieler, die muss man erst einmal etwas „aufrütteln“. Die brauchen das. Und wenn man genauso mit einer anderen Person umgeht, die anders strukturiert ist, kann man sie zerstören. Was der eine braucht, ist für den anderen vielleicht schädlich. Wir unterhalten uns nie mit den Schauspielern über die Psychologie der Figuren. Alles geht nur über die Gänge, die Gesten, physische Vorgänge.
Ein Schauspieler fragte zum Beispiel „Wie lange soll ich da jetzt stehen bleiben an der Stelle?“ Wir antworten „Zähle leise bis 4 oder 5, dann gehe wieder weiter“. Das gibt dem Ganzen einen Rhythmus, den wir uns vorstellen. Wir können uns dabei natürlich täuschen, dann versuchen wir eben einen anderen Rhythmus. Wir arbeiten ganz stark „rhythmisch“.
Und manchmal stellen wir uns dieselbe Aufgabe: Wir machen genau die gleiche Einstellung, aber ein bisschen schneller – oder langsamer. Nachher schauen wir nach, was am besten passt. Während der Dreharbeiten zu "Le "Fils (Der Sohn), hatten wir noch keine ganz genaue Vorstellung von dem Rhythmus des Ganzen. Unsere Einstellungen sind ja extrem lang, manchmal fünf bis acht Minuten. Die Einstellung selber ist schon sehr strukturiert durch einen Rhythmus. Und an diesem arbeiten wir ständig.
MC: Letzte Frage. Vielleicht etwas wage, aber was wäre wohl der wichtigste Rat, den sie angehenden Filmemachern mit wenig finanziellen Mitteln geben?
Ein Freund, der eine Kamera hat, Leute, die spielen können. Das Drumherum ist völlig unwichtig. Das ist alles. Und ein Thema, z.B. jemand fünf Minuten zu zeigen, der traurig ist, nicht mit der Welt zurechtkommt. Und wie der aus irgendeinem Grund wieder glücklich wird. Daraus eine kleine Geschichte machen. An aller erster Stelle ist es eine Gruppe von Freunden, die man um sich schart. Erst einmal geht es um die Freundschaft unter denen, die etwas erzählen wollen - Natürlich besteht da immer das Risiko, dass die Freundschaft daran kaputt geht...
In Deutschland gibt es dafür ja ein Beispiel: Fassbinder. Hat auch ganz einfach angefangen mit einer Gruppe von Freunden. „Angst essen Seele auf“. Das ist ein ganz toller Film.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Sophie Gudenus
Elisa Fuksas
Die italienische Regisseurin Elisa Fuksas war mit ihrem ersten Spielfilm "Nina" auf dem Filmfest München 2013.
Dieser handelt von der gleichnamigen jungen Frau, welche sich über den Sommer um eine Wohnung kümmert und dort den Hund eines Freundes hütet. Eines Nachts trifft sie auf dem Dach des Hauses einen Jungen: Ettore. Zwischen beiden entsteht eine Freundschaft. Als mit Cellist Fabrizio ein zweiter Junge ins Spiel kommt, bildet sich ein mit Eifersucht gepflastertes Gestrüpp der Liebe.
Fuksas kunstvolle Inszenierung, die zeitweise an Werbeästhetik erinnert, lässt Erinnerungen an Jeunets "Amélie" aufkommen. Ihre Visualisierung findet in einem ein leergefegten, stilisierten Rom und ist poetisch anspruchsvoll und zugleich von leichter Hand erzählt.
In unserem Interview geht sie näher auf ihren Film ein, gibt Tipps für Regie-Neulinge und berichtet ein wenig über das Filmgeschäft in Italien.