Esmas Geheimnis - Grbavica
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Esmas Geheimnis - Grbavica 90 Min., A/BIH/D/HR, 2005 REGIE: Jasmila Žbanic DARSTELLER: Mirjana Karanovic, Luna Mijovic, Leon Lucev |
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Regie: Jasmila Žbanic
Kinostart: 06. Juli 2006
Die allein erziehende Esma lebt mit ihrer 12-jährigen Tochter Sara in Grbavica, einem Stadtteil von Sarajevo, in dem der Wiederaufbau nach den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre nur langsam vorangeht. Weil Esma mit der dürftigen staatlichen Unterstützung nicht auskommt, nimmt sie widerstrebend eine Stelle als Kellnerin in einem Nachtclub an. Esma, die noch immer traumatisiert ist durch die gewalttätigen Ereignisse der Vergangenheit, besucht die Gruppentherapie im örtlichen Frauenzentrum, hat jedoch nie über ihre Erlebnisse gesprochen. Auch vor der lebhaften Sara scheint Esma ihre Vergangenheit nicht preisgeben zu wollen: Alles, was Sara über ihren Vater weiß, ist, dass er ein "Schechid", ein Kriegsheld, ist, der nie aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Als Sara für einen Preisnachlass bei der anstehenden Klassenfahrt einen Nachweis über den Märtyrertod ihres Vaters benötigt, behauptet Esma, dass es schwierig sei, den offiziellen Nachweis zu bekommen, weil der Körper des Toten noch immer nicht gefunden wurde. Gleichzeitig versucht sie verzweifelt, das gesamte Geld für Saras Klassenfahrt aufzutreiben. Als Saras Klassenkameraden sie damit hänseln, dass sie nicht auf der Liste der Märtyrerkinder steht, rastet Sara aus und stellt ihre Mutter aufgebracht zur Rede. Esma bricht zusammen und konfrontiert Sara mit der grausamen Vergangenheit - der Wahrheit über Saras Vater.
Grbavica - diese unschönen Buchstaben bilden die passende Lautmalerei von Esmas Welt. Auch wenn wir Esma in ihren intimsten Momenten, sei es der Liebe oder der Verzweiflung, erleben, dringen wir nie ganz in ihr Innerstes vor. Der Zuschauer wird auf Distanz gehalten und erfährt nur, was Esma der Außenwelt von sich preisgeben will. Am besten zeigt sich ihr Innenleben in der Musik, die eine dramatische Funktion übernimmt. Iliahijas (Lieder die Gott gewidmet sind) drücken Esmas Gefühle aus, und ihre Sensibilität steht im Gegensatz zur aggressiven und rücksichtslosen Turbo Folk Music, die heute charakteristisch für den Balkan ist und u.a. mit dem Krieg assoziiert wird. Häufig wird die Musik als Kontrast zwischen Esmas und Saras Gefühlen eingesetzt. In ruhigen, detailverliebten, jedoch auch beklemmenden und verstörenden Bildern werden die Liebe und besonders der Schmerz, die die Figuren durchleben, fassbar gemacht. Selten habe ich die Verzweiflung in einem Film so stark wahrgenommen, dass sie fast körperlich schmerzt und unerträglich erscheint. "Grbavica" ist eine Geschichte über die Liebe, die unrein ist, weil sie mit Hass, Abscheu, Trauma und Verzweiflung vermengt ist, über Opfer, die, obwohl sie keine Verbrechen begangen haben, sich der nachfolgenden Generation gegenüber schuldig fühlen, und ein Plädoyer für die Wahrheit, die der erste Schritt zur Verarbeitung eines Traumas ist und Hoffnung auf einen Neuanfang gibt.
Zu Recht gewann dieser Film den "Goldenen Bären" auf der diesjährigen Berlinale.
Gesehen von Daniela Kellner
"Estrellas de la linea"
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"Estrellas de la linea" Spanien, Guatemala 2006 REGIE: José Maria Rodríguez |
Regie: José Maria Rodríguez
"La linea", das ist eine schäbige Kleinstadt in Guatemala. So schäbig und heruntergekommen, dass sie als der Hort des Abschaums schlechthin gilt, jedenfalls in der umliegenden Gegend. Kein Mensch kommt gern nach "La linea". Die, die hier leben, tun es, weil sie keine andere Wahl haben oder weil sie das Angebot wahrnehmen, für das die Stadt bekannt ist: Prostitution.
Die "Estrellas", das sind jene Frauen, die in "La linea" diesen verpönten Dienst anbieten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Natürlich heißen sie bei den Menschen, die hier leben nicht "Estrellas", was Sterne, oder Stars bedeutet. Für die Menschen hier sind sie einfach nur "putas". Nutten. Den Namen "Sterne" haben sie sich selbst gegeben. Es ist der Mannschaftsname ihres Fußballteams, das sie gegründet haben, um bei landesweiten Wettkämpfen teilzunehmen und bei dieser Gelegenheit Präsens zu zeigen. In Guatemala bilden die Frauen, die sich prostituieren generell die gesellschaftlich unterprivilegierteste Schicht. Tiefer kann man kaum sinken. In diesem Fußballteam organisiert, kämpfen sie nun im Fernsehen und im Radio für Anerkennung, gegen die Gewalt, deren Opfer sie immer wieder werden und gegen die Ächtung ihres Standes, in den sie v.a. die Not gezwungen hat.
Ein grandioser Film, dessen Tragik einem durch die immer wieder von den charismatischen Protagonistinnen aufgebrachte Lebenslust und Komik nur umso nachhaltiger durch Mark und Bein geht. Selten habe ich eine so erschütternde Wirklichkeit so hautnah erlebt. Sie wirkt deswegen so echt, weil die lebenslustigen Frauen ihr immer wieder durch den direkten und oft kurzlebigen aber dafür immer wiederkehrenden Frohsinn entgegensteuern. Ja, viel sagt dieser Film aus über die Welt in der wir und v.a. andere leben und leben müssen. Das Kamerateam scheint nahezu unmerklich und transparent durch die Wirklichkeit von "La linea" geglitten zu sein, denn alles bleibt von der Anwesenheit der Filmleute gänzlich unbeeindruckt und unbekümmert. Manchmal wirkt diese Doku wie ein Spielfilm, nur gibt es wenige Spielfilme, die einen in ähnlicher Weise mitnehmen!
Gesehen von Jérôme Gemander




