Für viele klingt es überraschend, aber der Siegszug des Dokumentarischen wird gerade ziemlich ausgebremst. Es steht 2025 nicht so gut um den Dokumentarfilm, nun hat eines der größten Doku Produktionshäuser Insolvenz angemeldet. Die Firma hatte gerade erst 2021 mit "My Octopus Teacher", (in Koproduktion mit "The Sea Change Project") einen Oscar für den besten Dokumentarfilm geholt. Die Nachricht war elektrisierend für die Doku-Filmbranche, Off the Fence B.V. eine Tochterfirma von ZDF Studios hat Insolvenz angemeldet.
Eigentlich sah es im letzen Jahrzehnt nach einem Aufschwung für den Dokumentarfilm aus, immer mehr Produktionen fanden ihren Weg auf die Kinoleinwände und vor allem auf die Bildschirme der Fernsehzuschauer. Doch in den vergangenen paar Jahren hat sich die Situation dramatisch verändert.
Ursachen
Generell sind überall im Film,- und Medienbereich Einsparungen zu spüren. Im Fiktion und im Doku Bereich kommt es durchaus vor, dass Sender den Auftragsproduzenten anbieten, eine langjährige Reihe nur fortsetzen zu können, wenn man diese in gleicher Qualität für 70% des bisherigen Budgets herstellen könne. Etablierte Produktionsfirmen lehnen das häufig ab, weil diese beim Durchrechnen merken, dass sie da draufzahlen würden. Dafür springen dann gerne Newcomer Firmen ein, die dann wieder junge Filmemacher unter Vertrag nehmen, die bereit sind für kleine Budgets zu arbeiten. Wie lange sie das durchhalten können, steht auf einem anderen Blatt...
All spüren es deutlich,- die ursprüngliche Streaming-Boom-Phase ist vorbei. Und mehr noch der Unterschied zu öffentlich rechtlichen Sendern tritt immer mehr zutage,- man produziert nur massentaugliche, erfolgversprechende Sujets. Die Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime meiden nicht erst seit Trump politisch heikle Themen, um Kontroversen und Beziehungsrisiken mit Regierungen oder Sponsorfirmen zu vermeiden. Außerdem holen Dokumentarfilme nie die Zuschauerquoten wie erfolgreiche Serien und Spielfilme, das schwächt ihre Verhandlungspositionen. Die Streamingplattformen haben also alle ihre Doku-Budgets gekürzt, die Verkaufspreise sanken und was sich immer deutlicher abzeichnet ist, dass mehr Wettbewerber aus dem KI- und Self-Publishing-Bereich preiswerteren Content anbieten.
Auch öffentlich-rechtliche Sender zeigen ein weniger riskofreudigeres Auswahlverhalten – kommerziell orientierte Projekte mit klaren Gewinnchancen werden bevorzugt, politische oder experimentelle Dokus kaum noch finanziert. Dabei ist es gerade im Dokumentarbereich extrem schwierig Finanz- und Vertriebskonzepte – und vor allem Vertriebsgarantien bereits in der Entwicklung zu erhalten.
In den USA hat die Trump Administration die Budgets für Dokumentarfilme brutal zusammengestrichen. Bundesprogramme wie NEH/NEA verlieren ihre Fördertöpfe, PBS (eine nicht kommerzielle TV-Senderkette in den USA) muss Kürzungen hinnehmen, teils sogar massive politische Einflussnahme ertragen. Kontroverse Themendokumentationen geraten zunehmend ins Abseits – selbst große Festivals und Sender ziehen sich zurück. Der globale Markt für hochwertige Non-Fiction-Dokumentationen ist nahezu überall massiv unter Druck.
Riesenlücke
"Off the Fence" hatte sich im Bereich hochwertiger Natur- und Wissenschaftsformate ein internationales Renommee erarbeitet und hatte einen riesigen Katalog an Titeln zu bieten. Besondere Schwerpunkte waren Klimawandel, indigene Kulturen, Meeresbiologie, Politik in Afrika etc. Im Bereich der Natur-/Umwelt-Doku-Vertriebe gehörte das Unternehmen zu den Top 10 unabhängigen Distributoren weltweit. Seine Produktionen waren regelmäßig bei IDFA, Sheffield DocFest, Sunny Side of the Doc und anderen Festivals vertreten. Die Firma arbeitete regelmäßig mit Netflix, BBC, National Geographic, ZDF, ARTE, PBS und Discovery zusammen. Der Verlust dieser Firma reißt eine spürbare Lücke für europäische Doku-Exporteure und internationale Doku-Programmanbieter.
Mitte Juni 2025 wurde das Unternehmen durch Gerichtsbeschluss in Amsterdam offiziell als insolvent erklärt. Die Nachfrage nach Factual-Content ist derzeit global schwach, was zu einer schwierigen Liquiditätssituation führte. Die ZDF Studios, seit 2019 Hauptanteilseigner konnten trotz Umstrukturierung (OTF Originals, OTF Studios, OTF FAST) und finanzieller Unterstützung kein tragfähiges Geschäftsmodell bei "Off the fence" erkennen.
Da die ZDF Studios ein eigenwirtschaftlich arbeitendes Tochterunternehmen des ZDF sind, arbeiten diese trotz der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dies bedeutet zugleich, dass man defizitäre Tochterfirmen nicht unbegrenzt mitfinanzieren möchte. Noch ist unklar, wie es mit der Firma, vor allem mit den Vertriebsrechten für über 6.500 Stunden Content weitergeht.
Dokumentarfilmfans fragen sich natürlich, wie mag es kleinen Dokumentarfilmproduktionen finanziell ergehen, wenn es so einen großen Player in dem Bereich erwischt hat? Der Fall wirft jedenfalls zahlreiche Fragen bezüglich der künftigen Finanzierbarkeit von hochwertigen, aufwändigen Dokumentarfilmen auf.
Wie geht es weiter?
Die Situation um den Dokumentarfilm wird sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren auch wieder verbessern, aktuell jedoch müssen mehr noch als bisher Ko‑Produktionen & Hybridfinanzierungen angedacht werden. Internationale Partner, Fördermittel, Pre-Sales, Crowdfunding und Sponsoring müssen gemeinsam genutzt werden um neue aufwändige Projekte auf die Beine zu stellen. In Zusammenhang mit der Verwertung macht es Sinn, möglichst früh zu den jeweiligen Projekten auch schon Social-Media-Reichweiten aufzubauen, um Publikumsinteresse zu generieren was wiederrum bei der Finanzierung helfen kann. Für die Verwertung der Filme müssen Veranstaltungs-Touren und digitale Plattformen verstärkt genutzt werden.