Erstmals an einem ersten Mai wurde das DOK.fest im Deutschen Theater München feierlich eröffnet. Ein fast ausverkauftes Musical-Theater, ein warmer, fast schon Sommerlicher Abend und jede Menge wohlwollende, am dokumentarischen Filmschaffen interessierte Gäste,- die Rezeptur für die Eröffnung des 39. DOK.fests konnte besser nicht sein. Alle waren gekommen, um dabei zu sein und natürlich den Eröffnungsfilm "Watching You - Die Welt von Palantir und Alex Karp" anzuschauen.
Bevor dieser allerdings startete, musste noch das übliche Ritual aus Begrüßungen, Danksagungen, Sponsorenvideoclips und Ankündigungen ausgehalten werden und auch wenn die Moderatorin des Abends, Christina Wolf beteuerte, dieses Mal sei man sehr schnell dran,- die etwa 105 Minuten plus 99 Minuten Filmlänge des Eröffnungsfilms rückten die Veranstaltung spürbar in die Nähe von Wagner-Opern. Andererseits, wenn es dazu beiträgt, dass die Preisstifter*Innen und Geldgeber das Festival weiterhin unterstützen, dann hält man das aus.
Christina Wolf, aber auch die auf die Bühne gerufenen Gäste betonten immer wieder, welche Bedeutung der Dokumentarfilm als Mittel der politischen und ethischen Meinungsbildung in unseren Tagen besitzt, nicht zuletzt auch als Gegenpol zu all den ungefilterten hochmanipulativen Posts und Fake-News in den sozialen Medien. Menschen, die sich ihrer Meinung absolut sicher seien, ohne Menschen anderer Meinung zuzuhören, seien beängstigend, so die einhellige Meinung auf der Bühne und auch im Saal. Vom ersten bis zum zwölften bzw. online bis zum zwanzigsten Mai bietet das DOK.fest jede Menge filmische Begegnungen mit unserer Welt, den Menschen in ihr und unzähligen Themen und Konflikten, welche sie bewegen. 109 Dokumentarfilme stehen zur Auswahl.
Doch das Publikum bewies Sitzfleisch und zollte Festivalleiter Daniel Sponsel und seinem Team Respekt für die unentwegte Arbeit, den Dokumentarfilm in München zu feiern. Um 21:15 starte dann der Eröffnungsfilm des Abends.
"Watching You - Die Welt von Palantir und Alex Karp"
Wie so manchmal beim Film, sind es Zufälle, welche einem ein Thema näher bringen. Und so waren es Gespräche mit einem Regiekollegen, die Regisseur Klaus Stern geführt hat und in denen dieser ihm berichtet hat, dass er vor zwei Jahrzehnten mit einem jungen Mann gedreht habe, den er kürzlich auf dem Titelblatt von "Forbes" wiedererkannt hat: Alex Karp. Seit damals hat sich vieles im Leben des einstigen Studenten in Frankfurt am Main verändert: Dieser war Mitbegründer der Firma "Palantir" welche mit der Datenanlyse-Software "Gotham" ein mächtiges und nicht ungefährliches Data-Mining Tool für Geheimdienste, Militär und Behörden von Staaten geschaffen hat, mit der eine Komplettüberwachung ihrer Bürger möglich ist. Und das Alex Karp praktisch nur bei von ihm kontrollierten öffentlichen Auftritten gefilmt wird und ansonsten sein Leben extrem vor der Öffentlichkeit verbirgt, beschloss Regisseur Klaus Stern, diesen Zugang durch seinen Regiekollegen zu nutzen um einen Film über Alex Karp und dessen Unternehmen zu drehen.
Der Filmregisseur geht bei seinem Film vermutlich ähnlich vor wie die Software "Gotham", indem er alles nur irgendwie verfügbare Material über Karp und sein im Verborgenen agierendes Unternehmen sammelt und sinnstiftend ordnet. Genau das ist eine der herausragendsten Eigenschaften der Software,- so viele Daten und Metadaten wie möglich über einen Menschen zusammenzutragen und diese sinnhaftig zu ordnen, Auffälligkeiten und Verbindungen sichtbar werden zu lassen. Diese Vorgehensweise ist bei diesem Film auch dringend nötig, denn Karp entzieht sich bei allen möglichen Gelegenheiten, zumeist öffentliche Auftritte, den Gesprächsbemühungen des Regisseurs. So jagd Stern letzlich einem Phantom hinterher und schafftdie größte Nähe zu der Person über die alten Dokumentaraufnahmen des Regiekollegen, über Interviews mit Weggefährten wie etwa die damalige Professorin an der Uni Frankfurt oder auch eine Journalistin die zu Palantir recheriert. Und natürlich gehören auch Aufnahmen von Klaus Sterns Kontaktversuchen zu der spannenden Collage einer filmischen Annäherung an Alex Karp.
Zugleich nähert sich Stern parallel aber auch der Geschichte und dem Phänomen des Data-Minings an und befragt dazu Politiker*Innen und Fachleute. Der Ex-Innenminister Baum berichtet von den frühen Versuchen, Daten zusammenzuführen, welche bereits in den Zeiten der RAF Fahndung in Deutschland als "Rasterfahndung" begannen und aber mit hoffnungslos rechenschwachen Großcomputern betrieben wurden. Angeblich soll Bin Laden seinerzeit durch Palantir ausfindig gemacht worden sein. All die Daten, die jeder Einzelne von uns als digitale Spur des eigenen Lebens auf zahllosen Servern von irgendwelchen Unternehmen hinterlässt, ist begehrtes Material für die Überwachungssoftware "Gotham". So beleuchtet der Regisseur auch diesen tief unter der öffentlichen Sichtbarkeit stattfindenden Einsatz von Palantirs Software, ein spannender und zugleich auch bedrückender Einstieg in eine Realität mit dystopischen Anklängen.
Dass sich der CEO des mächtigen Softwarekonzerns Palantir selbst als Neomarxisten und links gerichtet bezeichnet, lässt seine Person angesichts der Klientel, die seine Software kauft, recht undurchsichtig erscheinen. Die Software kann Gutes bewirken, sie kann aber genausogut Schaden anrichten. Klaus Stern öffnet den Zuschauer*Innen die Tür in diese unheimlichen Entwicklungen und stellt uns zugleich eine der schillernden Figuren des Silicon Valleys vor, die überraschend viele Bezüge zu Deutschland hat.
Gesehen von Mathias Allary