Produktion: Mary Bell und Adam Dawtrey/ BofA Productions/ Großbritannien 2024
Deutsche Premiere, DOK.fest München 2025 – Preisträger des DOK.edit Awards
Der schottische Dokumentarfilm „A Sudden Glimpse To Deeper Things” erzählt die bewegende Geschichte von Wilhelmina Barns-Graham, einer britischen Malerin des 20. Jahrhunderts, deren künstlerisches Schaffen unter die Räder einer patriarchal geprägten Geschichtsschreibung geriet.
Mark Cousins („The Story Of Film: An Odyssey“, 2011; „Marcia Su Roma“, 2022“) gelingt im Rahmen einer visuell assoziativen Darstellung und Replikation von Barns-Grahams einzigartiger Betrachtungsweise der Welt und ihrer Kunst, wonach eine biografische Dokumentation im Kern stets strebt: Die ungezwungene und intime Heranführung des Publikums an seine Protagonistin.
Bedingt durch ihre Synästhesie-Diagnose – eine besondere Form der Sinneswahrnehmung, die es der betroffenen Person ermöglicht, bestimmte Reize wie Farbeindrücke mit Zahlenfolgen oder Ähnlichem zu kombinieren – entwickelte Wilhelmina bereits in ihrer Kindheit die Gabe, scheinbar banale Aspekte der Welt um sie herum in faszinierende, künstlerische Formen zu gießen. Sei es die farbliche Visualisierung von Gedichten oder die Abstrahierung von bunten Kieselsteinen in einem Flussbett.
Der Film bedient sich, angelehnt an Barns-Grahams eigene Arbeitsweise, einer breiten Palette kreativer Gestaltungsmittel, um die Vision der Künstlerin erneut zum Leben zu erwecken. Begleitet von Auszügen aus Wilhelminas privaten Tagebucheinträgen, die mit Tilda Swintons Voice-Over als roter Faden durch die Dokumentation führen, nutzt Cousins nicht nur gezielt in Szene gesetzte Gemälde-Fotografien, sondern auch atmosphärische Aufnahmen aus ihrer alten Heimat, um einen bildgewaltigen Essayfilm zu kreieren.
Eine Reise in das Schweizerische Grindelwald bescherte Wilhelmina Barns-Graham 1949 ein künstlerisches Erweckungserlebnis. Die Besteigung des örtlichen Alpengletschers blieb ihr so stark im Gedächtnis, dass sie die komplexen Strukturen und Symmetrien des Gletschers fortan bis zum Ende ihrer Schaffensphase immer wieder neu malte. Der Gletscher, so betont Cousins, habe Wilhelmina wie eine fundamentale Wahrheit in der Identitätssuche ihrer frühen Jahre ereilt.
„A Sudden Glimpse To Deeper Things” ist reflektierte Auseinandersetzung und liebevolle Hommage zugleich – an eine Frau und Visionärin, die selbstbewusst ihrem eigenen Kompass folgte, statt sich dem launenhaften Zahn der Zeit anzupassen.
Der Film bleibt sich in seiner gleichermaßen analytischen wie poetischen Natur auf ganzer Linie treu und hält sein Versprechen für all jene, die sich hinter der Fassade einer bloßen Künstlerbiografie einen Blick auf die wahrhaftigen, „tieferen Dinge“ erhoffen. Deshalb - eine klare Empfehlung.
Seht auch das Interview mit Timo Langer in unserem YouTube Channel, dem Editor des Films und Preisträger des DOK.edit Awards 2025, dem wir zu seiner Auszeichnung herzlich gratulieren.
Gesehen von Sophia Schönberger